Re: Wehret den Anfängen !

Geschrieben von Johannes am 23. September 2004 15:57:50:

Als Antwort auf: Wehret den Anfängen ! geschrieben von Sekhmet am 23. September 2004 14:41:42:

>hier ist was zum Nachdenken:


Hallo Sekhmet,

das läßt mich doch eher nachdenken über einen Tiefpunkt des Journalismus, meinst Du nicht auch?

Nur zwei Beispiele:

> In erstaunlicher Offenheit betonte die NPD ihre Verwurzelung in vordemo-
> kratischem Denken. Schon im Verbotsantrag gegen die NPD aus dem vorletzten
> Jahr hatten Verfassungsschützer den Rechtsextremisten eine geistige Nähe zum
> Dritten Reich unterstellt. Das bestätigte sich heute. Auf die Frage, welche
> Strophe der deutschen Nationalhymne er bei passender Gelegenheit im Landtag
> zu singen gedenke, antwortete Apfel: "Für mich besteht die Hymne in all
> ihren drei Strophen. Dazu bekenne ich mich ganz klar."

Wie bitte? Das Singen der Nationalhymne in allen 3 Strophen beweist die "Verwurzelung in vordemokratischem Denken" und "eine geistige Nähe zum Dritten Reich" ??? Okay, dann werfe ich dies jetzt auch Kurt Schumacher und allen anderen SPD-Politikern für, die nach Gründung der Bundesrepublik noch die 3 Strophen gesungen haben. Logisch, oder?

Kaum zu überbieten ist die Einstellung, die aus folgendem Zitat spricht:

> Die NPD liebt es konspirativ: Den Journalisten wurde nicht einmal verraten,
> wo die Pressekonferenz stattfinden sollte.

Wie wäre es, liebe Jounalisten, wenn Ihr dazusagen würdet, warum die NPD es "liebt", so konspirativ zu sein? Richtig, weil ansonsten sofort linke Schlägertrupps auftauchen, die den Zielort schon vorher kurz und klein schlagen und nachher die Versammlung bedrohen.

Was, Ihr Jounalisten, werdet Ihr morgen schreiben, wenn die Gäststätte, die nun so demonstrativ im Artikel genannt wird, dadurch morgen zum Angriffsziel wird? Tut es Euch dann wenigstens leid, daß durch den Angriff vielleicht eine Existenz vernichtet wird? Oder könnt Ihr da locker drüber hinweggehen, denn ein Lokalbesitzer ist ja selbst schuld, wenn er die falschen Gäste bewirtet?

Und, Sekhmet, wie konnte es überhaupt dazu kommen, daß in der NPD/DVU-Führung nun solch eloquenten Leute zu finden sind, die vor Intelligenz und Einfühlungsvermögen strotzen?

Da wurden doch über Jahre alle Positionen niedergemacht, die eine irgendwie geartete nationale Position vertraten. Beispiel Abschaffung der DM / Erweiterung der EU. Da wurde uns erklärt, wie bräuchten dazu ja keine Volksabstimmung, denn wir können ja dazu über die normale Wahl der Parteien abstimmen, die Parteien seien ja dazu da, die Wünsche zu bündeln und dann auch zu verteten.

Nur, ist es wirklich Zufall, daß Parteien, die die "falschen" Positionen vertreten, gezielt niedergemacht worden? Anders ausgedrückt: Welche Leute erwartest Du, daß sie sich bei diesem Gegenwind (inkl. Mobbing und Rufmord, selbst nach einem Interview in der falschen Zeitung wird man gebrandmarkt) in solchen Parteien versammeln, die die "falschen" Ziele vertreten. Das, Sekhmet, können doch nicht mehr Leute aus der ersten Reihe sein, sondern nur Hasadeure oder Leute, die sonst nichts zu verlieren haben und darin nun ihre einzige Chance sehen.

Quod erat demonstrantum - was zu beweisen war. Und nun kommt aus diesen Sammlungsbewegungen genau das raus, was drin ist, weil man ja nie andere Leute hineingelassen hat, weil dies die "falschen" Positionen waren. Vernünftige Leute, die sich ausdrücken können etc., die dürfen nur dann politisch groß werden, wenn sie für den Euro sind, für die EU-Erweiterung, etc., ansonsten werden sie gemobbt. Die Elite wird also entweder still sein (zumindest nach außen) oder in den etablierten Parteien mitarbeiten. Und für die, die die Wünsche vieler Durchwähler vertreten, bleiben nur noch die Randparteien.

Aber nochmal in der zeitlichen Reihenfolge:

- Es gab Leute, die sich von den etablierten Parteien nicht vertreten fühlten
- Es gab Leute/Parteien, die diese Positionen aufgriffen
- Die fähigsten Leute wurden herausgedrängt
- Als zwangsläufige Folge blieben Leute als Vertreter übrig, die nun wirklich nicht zur ersten Reihe zählen
- Und um dem noch eins draufzusetzen, wird von 3 Interviews, das ein Journalist führt, nur das veröffentlicht, in dem sich der Vertreter der "falschen" Positionen am schlechtesten ausdrückt oder den schlechtesten Eindruck hinterläßt. Von der bestenfalls 2. Reihe werden also nur die hinteren Positionen gezeigt.

Was bewußt unter den Tisch fällt, sind die inhaltlichen Positionen. Du siehst das ja sehr schön an diesem Artikel. Und eben deshalb frage ich mich, welchen Anfängen man denn nun wehren soll: Soll ich mit auf die einschlagen, die die "falschen" Positionen vertreten, weil sich zwangsläufig keine besseren Vertreter für diese Positionen etablieren konnten? Oder sollte man nicht endlich eine fairere Berichterstattung fordern (z.B. durch gezielten Kauf)?

Denn wenn die "falschen" Positionen auch von der ersten Reihe vertreten werden könnten, ohne daß sie ihre gesellschaftliche Existenz aufs Spiel setzen, würde sich das Problem der rechten Randparteien von selbst erledigen. Die Wähler, die derzeit dort ihr Glück suchen, hätten anständige Vertreter ihrer Position und könnten sich bei der Wahl zwischen fairen Alternativen entscheiden.

Nur, mir scheint, diese zweite Möglichkeit wird von der Presse gemieden wie vom Teufel das Weihwasser. Nein, es wird weiter festzementiert, welche politischen Positionen gedanklich mit der "2. Reihe" zu verbinden und somit auszugrenzen sind. Man spielt das gleiche "Spielchen" also weiter.

Mit Deiner Bewertung der "2. Reihe" dürfte ich so ziemlich einig sein. Nur sehe ich wohl etwas mehr den Punkt, daß diese "2. Reihe" geradezu in die bestehende Qualität ihrer Vertreter gedrängt wurde, um so politisch "falsche" Ansichten auszugrenzen. Nun hat der Wähler doch falsch gewählt, also wird der Wähler beschimpft und zusätzlich dafür gesorgt, daß sich in solchen Parteien nicht einmal mehr die 2. Reihe halten kann, sondern höchstens die 3. Reihe.

Und eben deshalb bin ich etwas skeptisch, wenn es um "Wehret den Anfängen" geht. Denn gegen wen wehre ich mich dann bzw. wen unterstütze ich? Und habe ich damit nicht genau das Spiel mitgespielt, das hier gespielt wurde?

Okay, nachdem Du den Artikel verlinkt hast, mußte ich das einfach mal loswerden. Weitere Diskussionen sollten wir dann aber vielleicht doch zu Henry verlegen, bevor das hier wieder abdriftet. Denn mir geht es um das "Spiel", was dahinter steht, nicht etwa um die Verteidigung von Randforderungen. Aber ich halte die Gesamtbetrachtung des "Spiels" für interessanter, als dem Spiegel für seinen Spielzug nun Beifall zu klatschen, auch wenn ich die "2. Reihe" durchaus ähnlich bewerte wie er. Nur, wie kommt das, daß die so sind?

Gruß

Johannes


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