@ Mabo
Geschrieben von andika am 03. September 2004 22:44:14:
>Hey Mabo,
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>Zu Beginn meiner Forumszeit war Deutschland gerade im Aktienfieber. Während wir hier düstere Wolken aufziehen sahen, war die sog. Fun-Gesellschaft auf ihrem Höhepunkt. Mein „normales“ Ich tanzte auf der Loveparade, mein inneres machte sich die ersten Sorgen. Auf der Arbeit hätte ich mit meinen Vorstellungen meinen Job riskiert, zumindest glaubte ich das, denn wer will schon einen Mitarbeiter, der keine oder nur eine finstere Zukunft herannahen sieht. Ist so einer noch der richtige für mehrjährige Projekte? Im Freundeskreis begann ich mich als Schwarzmaler zu brandmarken. Vielleicht ging, zumindest ein Stück weit, meine damalige Beziehung auch deswegen in die Brüche. Mit einem Kerl zusammen sein, der die Zukunft so negativ beschreibt? Auch ein paar guten Freunden bin ich mit meinem Geschwätz von Umwälzungen, Volkszorn und Aufständen, die schließlich in einen vernichtenden Krieg führen, auf den Wecker gegangen, so dass man mich sogar mied, oder zumindest versuchte, entsprechende Themenkreise weit zu umschiffen.
--------------------Das ist mir auch passiert. Bei mir ist zwar keine Beziehung in die Brüche gegangen, aber meine Umwelt konnte meine Ausführungen einfach nicht mehr hören. Wenn ich anfing, hieß es nur: Ach hör doch auf, nicht schon wieder!
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>Nun aber ist alles irgendwie anders. Meine Einstellungen haben sich etwas verändert und mein Umfeld seinerseits auch! Heute kann ich mit meinem Chef über die Zukunft sprechen ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen. Aber ich nehme ihn gleichzeitig auch von mir aus nicht mehr ganz so voll – nicht den Chef, den Mund! ;-) Denn wir konnten auch lernen, dass es im Einzelnen doch immer ganz anders kommt, als man es dachte. An meiner Grundüberzeugung jedoch, dass umwälzerische „Reinigungsprozesse“ kommen werden, wovon die heutigen sog. Montagsdemos nur ein minimaler Vorgeschmack sind, hat sich nichts geändert.
--------------------Stimmt, Menschen, die nichts davon hören wollten, nicken heute ganz zustimmend, wenn ich mal von den kommenden Veränderungen spreche. Es scheint wirklich so etwas wie unbewusste vorbereitende Gefühle bei ihnen zu geben.
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>Mittlerweile bin ich kein Schwarzmaler mehr und versuche in diesem Umbruch das Positive zu sehen, selbst wenn mir eines Tages einer die Birne wegschießt. Ich weiß nicht, wie harmonisch oder blutig diese Veränderungen kommen werden. Etwas in mir hofft fest, dass die Menschen noch die Kurve kriegen. Dieser Teil würde gerne mitgestalten, aufbauen, helfen, eine bessere Welt schaffen. Doch es gibt auch noch den Pessimisten in meiner Brust, wohl der Beobachter, der sich nicht die Finger an dem Untergang schmutzig machen will und lieber nur zuschaut, Hintergründe und Motivationen versucht zu verstehen, der, der darauf achtet, keine Schulden vor der Krise zu machen, der, der mir nahe legt, vorbereitet zu sein, wenn das Zeitgeschehen über uns hereinbricht.
>Wenn ich ganz ehrlich bin, dann würde ich in Wirklichkeit schon gerne teilhaben an gesellschaftlichen Dingen. Ich stand auch schon einmal kurz vor Hochzeit und Familie, hatte Garten, Garage und zwei Autos vor der Tür. Doch es fehlte mir die Perspektive, in dieser Welt etwas aufbauen zu wollen, die ich für die unmittelbare Zukunft in großer Gefahr wähnte. Ich wollte auch den Sachzwängen vorbeugen, die entstehen, wenn man erst einmal in einer Abhängigkeit ist. Das Thema Verantwortung auch im Kontext zum Thema Mittäterschaft. Um die Sache damals perfekt zu machen, hätte ich die Vorahnungen über die Zukunft vollkommen in den Wind schlagen müssen, hätte das Haus in dem wir zu Miete lebten per Kredit erwerben müssen, hätte dann meinem Verständnis von Leben nach auch Kinder zeugen sollen etc.
>Heute wäre ich vielleicht ein glücklicher Familienvater mit Heim und allem was das Herz begehrt, aber dieses Heim wäre dann heute immer noch Eigentum der Bank und ich hätte mich in eine Abhängigkeit begeben, in die ich heute freiwillig immer noch nicht geraten will. Ich verwendete damals immer den Begriff „Spielzeugwelt“, wenn ich mir meine Umwelt so anschaute. Alles war damals noch schön sauber, lauter Neuwagen auf den Straßen, überall wurde gebaut, irgendwie blühte es überall, die Leute kauften T-Aktien, alles schien einfach nur „geil“ und „cool“. Das alles stand unseren Bedenken im Forum diametral entgegen und ich musste aufpassen nicht zornig zu werden, ob dieser Ignoranz meiner Mitmenschen. Wir warteten ja nur darauf, dass diese Menschen endlich erwachen würden. Nicht zu heiliger Erleuchtung, aber zumindest aus dem Wahn dieser Scheinwelt, die sie sich immer mehr ausbauten und in die sie sich immer mehr verstrickten, ohne zu merken, dass Teile des Konstruktes schon mächtig ins Wanken gekommen waren. Und dann kam es zu 9/11 und der Ruck ging um die ganze Welt. (Die Welt war so fragil, es war egal was passierte, es würde weltweite Konsequenzen haben. Ein Erdbeben in Kalifornien hätte vermutlich ähnliche Konsequenzen gehabt auf die Finanzmärkte und den Tiefschlaf der Massen.)
-------------------Ich lebe mit einem Partner zusammen, der sehr in der materiellen Welt lebt und Prophezeiungen usw. für Märchen hält. Inzwischen gibt er zwar zu, daß etwas Vorsorge Sinn macht, aber bitte nicht zuviel!
Ich bin inzwischen an einem Punkt, an dem ich das Gefühl habe, für meine direkte Umwelt (Familie + Freunde) vorsorgen zu müssen, d.h. ich besorge Dinge, die später von Nutzen sein können, horte wie gesagt Wissen und lasse die anderen ihr Leben leben - frei nach dem Motto: Geniesst es, solange ihr noch könnt. Fast so wie eine Mutter, die weiss, das ihre Kinder nicht mehr lange den schönen Garten zum Spielen haben, es ihnen aber bis zur Abreise nicht sagen will, um ihnen nicht vorher schon Kummer zu machen.
Außerdem wird in mir das Gefühl immer stärker, ich solle mich auf die Zeit d a n a c h vorbereiten, dann erst würde meine Arbeit anfangen.
So lebe ich also ein sehr äusserliches Leben in dieser Gesellschaft, arbeite, besuche Veranstaltungen, gehe aus, verreise usw., aber bereite mich innerlich auf ein Leben d a n a ch vor. Im Prinzip führe ich im Moment ein Doppelleben.
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>Damals im September war ich gerade seit ein paar Monaten clean. Will heißen, ich mied das Forum, versuchte mein Leben neu zu ordnen und die negativen Gedanken zu vergessen. Mir ein Beispiel an meinem besten Freund nehmend, dem trotz allem immer die Sonne – wie ich immer sage – aus dem Arsch scheint. Zwar ärgerte mich sein Verhalten manchmal schon, steckte er doch einfach seinen Kopf in den Sand, aber ich machte mir dieses Modell versuchsweise zu eigen. Es gab Wochen, in denen ich nicht einmal die Nachrichten schaute. Wir bauten zu viert ein Haus aus und wollten dort in einer WG etwas autarker zusammen leben. Mitten bei der Arbeit rief mich unser Mischel an, den hier einige kennen dürften, und ich schaltete den Fernseher ein. Mit einem Schlag war ich wieder da, wo ich vor der Vogelstraußtaktik war. Ich war sogar noch weiter zurückgeworfen, hatte ich die Zeit doch viel zu ungenutzt verstreichen lassen.
-----------------------Nein, denn ich bin mir sicher, daß du diese Zeit unbedingt brauchtest. Wenn man nur in der Vorbereitung für die Zukunft lebt, verliert man die Verbindung zu der Welt, in der man körperlich lebt. Quasi die Erdung. Und die werden wir noch brauchen. Ausserdem, selbst wenn du nicht mit deinem Verstand an diesen Dingen arbeitest und auch deine Gefühle unterdrückst, dein Unterbewusstsein ist weiterhin fleissig. Siehe solche Phasen also quasi als "arbeitsfreies Wochenende" an, brauchen wir alle mal.
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Ich habe ständig das Gefühl, ein Wissen zu haben, das ich jetzt nach und nach entdecke und mir bewusst mache. Es geschehen Dinge, bei denen ich instinktiv weiss, wie, warum oder was etwas so oder so ist. Mit meinem Verstand kann ich das Ganze allerdings nicht erklären.
>Nur ich weiß deswegen noch nicht, trotz dieses innewohnenden Wissens, was auf uns zu kommt. Das Wissen ist wie ein Rüstzeug, was man mir vor meiner Expedition eingepackt hat, was ich einmal brauchen würde, aber ich habe trotzdem keine Ahnung, auf was für eine Mission ich mich da eingelassen habe. Plötzlich halte ich einen Kompass in der Hand. Huch, wo kommt denn der Feldstecher her? Wenn ich das nicht bereinige in mir, dann werde ich mit 80 immer noch nichts aufgebaut haben, nur weil ich ständig in Bereitschaft war. Ich habe meinen Einsatzplan irgendwie verloren und befinde mich hinter fremden Linien. Was zum Kuckuck mache ich hier?
>Fleecer schreibt weiter unten, dass er sich fließen lässt und wartet, auf seine Aufgabe, seine Bestimmung. Das geht mir genauso. Die aktive Suche danach habe ich auch aufgegeben. Heute gilt für mich: Sein Wille geschehe, nicht meiner! Aber auch hier bin ich Schizo genug um zu erkennen, dass in dieser Willensdelegation auch ein Stück eigene Unentschlossenheit und Feigheit steckt.
---------------------------Wieso Unentschlossenheit und Feigheit? Wir wissen, daß etwas kommt, aber was ???
Wie willst du an deiner Bestimmung arbeiten, wenn du noch nicht weisst, was es ist? Ich glaube, wie gesagt, meine Aufgabe gefunden zu haben, weiss aber gleichzeitig "irgendwie", daß dies nur meine momentane Aufgabe und nicht meine endgültige ist. Also kann man nur schauen, daß man alles , was man für nötig hält, für die Expedition einpackt. Aber alles vorausschauen kann man nicht, wenn unerwartete Situationen eintreten, muß man halt improvisieren. Aber wir haben wenigstens einen Rucksack und eine warme Jacke dabei, die meisten laufen nur in Shirt und Sandalen (bildlich gesprochen).
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>Ich habe aufgrund meiner düsteren Sichtweise bereits einiges verloren was ich hatte bzw. gar nicht erst bekam, weil ich es nicht in Angriff nahm. Man könnte etwas überspitzt sagen, dass meine Kinder bereits in dem Krieg gestorben sind, der sich erst in Zukunft ereignen wird.
-----------------------------Dieses "dunkle Tal" hatte ich auch und habe vieles deshalb nicht in Angriff genommen. Inzwischen halte ich es wie Luther, du kennst den Satz mit dem Apfelbäumchen?
Ich geniesse mein Leben, richte mir meine Umwelt so schön und angenehm wie möglich ein, aber geniesse es mehr als andere, da ich weiss, daß es nicht von Dauer ist.
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Und doch schaue ich heutzutage Nachrichten und erfahre beispielsweise aktuell von dem Geiseldrama und sehe die Bilder und die Lebenssituation der Menschen in der Region, schaue in die Gesichter und plötzlich überfällt mich ein emotionaler Schub und Tränen schießen mir in die Augen. Ich bin wesentlich empfindsamer geworden. Das trägt absurde Züge, denn heute werde ich selbst bei augenscheinlich banalen Dingen viel schneller ergriffen. Es mag ein Olympiasieger sein, dessen strahlendes Gesicht mich urplötzlich mitweinen lässt, obwohl ich weder den Sportler kenne noch ein besonderes Interesse für seine Sportart habe. Oder ein Kind sagt in einem Film was verdammt tapferes, wo sich Erwachsene eine Scheibe von abschneiden könnten, und ich Weichei habe plötzlich glatt Pipi in den Augen.
------------------------Früher, alle heulten bei Liebesschnulzen, ich saß daneben und sagte ohne Rührung: Ist doch nur ein Film.
Heute, ich höre eine Melodie, sehe irgendeine liebevolle Geste, sehe, wie unsere Katze sich in der Sonne rekelt und heule wie ein Schloßhund.
Unser Panzer, den wir um unser Herz gelegt haben, bröckelt, Mabo. Und das ist gut so und hat nichts mit einem Weichei zu tun.
Für mich sind die Männer Weicheier, die sich nicht trauen, Gefühle zu haben und zu zeigen. Denn die Männer sind feige, nicht diejenigen, denen es egal ist, was andere denken.
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>Durch diese Ausbrüche, wie auch am 11. September, wo ich meinen Rückfall hatte, weiß ich, dass ich es nicht unter bewusster Kontrolle habe. Das meinte ich auch mit den innerlichen Prozessen, dass im un(ter)bewussten die Dinge ihren Lauf nehmen, auch wenn wir bewusst meinen, alles im Griff zu haben. Das Bewusstsein mag akzeptieren und Distanz bewahren, aber im innern laufen Prozesse ab, die wir kaum bemerken uns aber doch modifizieren und überraschen können.
-------------------Bewusste Kontrolle wirft uns auch nur zurück, denn dann blockieren wir die nötigen Veränderungen.
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>Aber meine „nichtöffentliche“ Person, die, die ich eigentlich in Wahrheit bin, ist manchmal verdammt unsicher, schüchtern und jämmerlich feige. Ein Wesen, was nicht manipulieren und lügen will, was verständnisvoll ist, hilfsbereit und harmoniesüchtig, nicht Willens, diese Werte für schnelle Erfolge im weltlichen zu opfern. Es gab mal dieses Lied „Du musst ein Schwein sein in dieser Welt“, was ich einfach nicht akzeptieren will. Gerät man dann aber mal an so ein Schwein, an jemanden für den diese Prinzipien nichts weiter als Schall und Rauch sind, dann zieht man schnell den kürzeren, fühlt sich verunsichert und strahlt damit genau das aus, was der andere gebraucht hatte um schonungslos noch einen drauf zu setzen und wieder zerbricht ein Teil des Selbstvertrauens und des Vertrauens in die Welt und das große Erwachen.
-------------------Ja, manchmal kommt die "öffentliche" Welt doch wieder etwas nahe.
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>Ich will diese Minderwertigkeit aber noch mal konkret am Beispiel Beziehung aufzeigen. Denn in den Augen einer Frau ist ein Mann, der sich Sorgen macht, noch keine Kinder will, nicht bereit ist sich haushoch zu verschulden etc. schließlich minderwertig, sofern sie dergleichen anstrebt. Jemand, der ständig auf der Suche ist, letztlich auf der Suche nach sich selbst, der erscheint unentschlossen und unberechenbar, was eine ernsthafte Zukunftsplanung anbelangt. Aber ich müsste, wie im Beruf, eine Rolle spielen und eine Frau mit meiner „öffentlichen“ Person überzeugen, was mir in solcher Beziehung wie eine Lüge, wie Betrug vorkäme. Versteht das hier irgendjemand?
------------------------------Ja, vollkommen. Aber es gibt einen Kompromiss. Man kann mit jemanden auf einer Ebene eine Beziehung führen, die weder vollkommen im "öffentlichen" Leben, noch im "inneren" Leben ist. Es wird nie die 100 % Übereinstimmung sein, aber die findet man eh´ nie. Selbst Seelenpartner (kennst du den Begriff?) werden immer Unterschiede entdecken. Ein Teil von dir wird immer nur dein Bereich sein, ein Teil immer nur ihr Bereich und - wenn es der geeignete Partner ist - ein großer Teil euer gemeinsamer Bereich.
So einen Menschen kann man finden, auch wenn man manchmal länger suchen muß. Aber wenn du "bereit" dazu bist, d.h. du deine Vorstellungen, wie eine Beziehung sein sollte, fallen läßt, steht sie auf einmal vor dir. Garantiert.
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>Man ist aber so ungeduldig. Und irgendwie will ich meiner „öffentlichen“ Person trotz oder gerade Wegen aller Erkenntnis zu etwas mehr Glück und Perspektive verhelfen, den Traum von Familie und Harmonie irgendwann verwirklichen. Und wenn’s geht, bitte doch noch in diesem Leben.
--------------------Ich werde dir bei Gelegenheit mal 2 Bücher raussuchen, die mir bei meiner Ungeduld unheimlich geholfen haben. Setze die Titel dann mal hier rein.
Aber, was hindert dich daran, mit deinem Traum anzufangen? Bau dir deine Umgebung (Wohnung, Arbeit, Freundeskreis usw.),wie es dir gefällt und du dich wohlfühlst, laß deine Gefühle und dein Unterbewusstsein arbeiten und habe einfach Vertrauen.
Viele Menschen denken, wenn ich einmal im Lotto gewinne, wenn mich meinen Traumpartner treffe, wenn ich befördert werde, wenn ich erleuchtet werde usw. usw, ja dann...
Es gibt dieses wunderbare Sprichwort: Auch der längste Weg beginnt mit dem ersten Schritt.
Also, lauf los Mabo, irgendwann treffen wir uns dann alle.Ich wünsche dir eine gute Nacht
andika
- Re: @ Mabo Mabo 06.9.2004 12:20 (0)
- Re: @ Andika Spitama 04.9.2004 00:23 (0)