Re: @ Mabo
Geschrieben von Mabo am 03. September 2004 12:55:31:
Als Antwort auf: @ Mabo geschrieben von andika am 02. September 2004 20:20:51:
Hallo Andika!
Das trifft es genau. Ich fühle mich und bin eine Beobachterin, die mit einem Teil das "normale" Leben führt und mit dem Rest ein sehr innerliches. Manchmal, wenn ich arbeite oder auf einer Feier bin, mit Menschen rede oder was auch immer, ertappe ich mich irgendwie dabei, wie ich meinen "öffentlichen" Teil beobachte. Anfangs habe ich mich sehr erschrocken darüber ( bin ich etwa schizophren?), inzwischen amüsiert es mich.
Ich kenne an mir sogar mehrere „öffentliche“ Teile. Das war aber vor ein paar Jahren noch viel deutlicher. Weiß nicht, ob ich diese Teile selber integriert oder aufgelöst habe, oder ob einfach die Zeiten sich geändert haben. Oder natürlich beides.
Zu Beginn meiner Forumszeit war Deutschland gerade im Aktienfieber. Während wir hier düstere Wolken aufziehen sahen, war die sog. Fun-Gesellschaft auf ihrem Höhepunkt. Mein „normales“ Ich tanzte auf der Loveparade, mein inneres machte sich die ersten Sorgen. Auf der Arbeit hätte ich mit meinen Vorstellungen meinen Job riskiert, zumindest glaubte ich das, denn wer will schon einen Mitarbeiter, der keine oder nur eine finstere Zukunft herannahen sieht. Ist so einer noch der richtige für mehrjährige Projekte? Im Freundeskreis begann ich mich als Schwarzmaler zu brandmarken. Vielleicht ging, zumindest ein Stück weit, meine damalige Beziehung auch deswegen in die Brüche. Mit einem Kerl zusammen sein, der die Zukunft so negativ beschreibt? Auch ein paar guten Freunden bin ich mit meinem Geschwätz von Umwälzungen, Volkszorn und Aufständen, die schließlich in einen vernichtenden Krieg führen, auf den Wecker gegangen, so dass man mich sogar mied, oder zumindest versuchte, entsprechende Themenkreise weit zu umschiffen.
Nun aber ist alles irgendwie anders. Meine Einstellungen haben sich etwas verändert und mein Umfeld seinerseits auch! Heute kann ich mit meinem Chef über die Zukunft sprechen ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen. Aber ich nehme ihn gleichzeitig auch von mir aus nicht mehr ganz so voll – nicht den Chef, den Mund! ;-) Denn wir konnten auch lernen, dass es im Einzelnen doch immer ganz anders kommt, als man es dachte. An meiner Grundüberzeugung jedoch, dass umwälzerische „Reinigungsprozesse“ kommen werden, wovon die heutigen sog. Montagsdemos nur ein minimaler Vorgeschmack sind, hat sich nichts geändert.
Mittlerweile bin ich kein Schwarzmaler mehr und versuche in diesem Umbruch das Positive zu sehen, selbst wenn mir eines Tages einer die Birne wegschießt. Ich weiß nicht, wie harmonisch oder blutig diese Veränderungen kommen werden. Etwas in mir hofft fest, dass die Menschen noch die Kurve kriegen. Dieser Teil würde gerne mitgestalten, aufbauen, helfen, eine bessere Welt schaffen. Doch es gibt auch noch den Pessimisten in meiner Brust, wohl der Beobachter, der sich nicht die Finger an dem Untergang schmutzig machen will und lieber nur zuschaut, Hintergründe und Motivationen versucht zu verstehen, der, der darauf achtet, keine Schulden vor der Krise zu machen, der, der mir nahe legt, vorbereitet zu sein, wenn das Zeitgeschehen über uns hereinbricht.
Wenn ich ganz ehrlich bin, dann würde ich in Wirklichkeit schon gerne teilhaben an gesellschaftlichen Dingen. Ich stand auch schon einmal kurz vor Hochzeit und Familie, hatte Garten, Garage und zwei Autos vor der Tür. Doch es fehlte mir die Perspektive, in dieser Welt etwas aufbauen zu wollen, die ich für die unmittelbare Zukunft in großer Gefahr wähnte. Ich wollte auch den Sachzwängen vorbeugen, die entstehen, wenn man erst einmal in einer Abhängigkeit ist. Das Thema Verantwortung auch im Kontext zum Thema Mittäterschaft. Um die Sache damals perfekt zu machen, hätte ich die Vorahnungen über die Zukunft vollkommen in den Wind schlagen müssen, hätte das Haus in dem wir zu Miete lebten per Kredit erwerben müssen, hätte dann meinem Verständnis von Leben nach auch Kinder zeugen sollen etc.
Heute wäre ich vielleicht ein glücklicher Familienvater mit Heim und allem was das Herz begehrt, aber dieses Heim wäre dann heute immer noch Eigentum der Bank und ich hätte mich in eine Abhängigkeit begeben, in die ich heute freiwillig immer noch nicht geraten will. Ich verwendete damals immer den Begriff „Spielzeugwelt“, wenn ich mir meine Umwelt so anschaute. Alles war damals noch schön sauber, lauter Neuwagen auf den Straßen, überall wurde gebaut, irgendwie blühte es überall, die Leute kauften T-Aktien, alles schien einfach nur „geil“ und „cool“. Das alles stand unseren Bedenken im Forum diametral entgegen und ich musste aufpassen nicht zornig zu werden, ob dieser Ignoranz meiner Mitmenschen. Wir warteten ja nur darauf, dass diese Menschen endlich erwachen würden. Nicht zu heiliger Erleuchtung, aber zumindest aus dem Wahn dieser Scheinwelt, die sie sich immer mehr ausbauten und in die sie sich immer mehr verstrickten, ohne zu merken, dass Teile des Konstruktes schon mächtig ins Wanken gekommen waren. Und dann kam es zu 9/11 und der Ruck ging um die ganze Welt. (Die Welt war so fragil, es war egal was passierte, es würde weltweite Konsequenzen haben. Ein Erdbeben in Kalifornien hätte vermutlich ähnliche Konsequenzen gehabt auf die Finanzmärkte und den Tiefschlaf der Massen.)
Damals im September war ich gerade seit ein paar Monaten clean. Will heißen, ich mied das Forum, versuchte mein Leben neu zu ordnen und die negativen Gedanken zu vergessen. Mir ein Beispiel an meinem besten Freund nehmend, dem trotz allem immer die Sonne – wie ich immer sage – aus dem Arsch scheint. Zwar ärgerte mich sein Verhalten manchmal schon, steckte er doch einfach seinen Kopf in den Sand, aber ich machte mir dieses Modell versuchsweise zu eigen. Es gab Wochen, in denen ich nicht einmal die Nachrichten schaute. Wir bauten zu viert ein Haus aus und wollten dort in einer WG etwas autarker zusammen leben. Mitten bei der Arbeit rief mich unser Mischel an, den hier einige kennen dürften, und ich schaltete den Fernseher ein. Mit einem Schlag war ich wieder da, wo ich vor der Vogelstraußtaktik war. Ich war sogar noch weiter zurückgeworfen, hatte ich die Zeit doch viel zu ungenutzt verstreichen lassen. Ich war dem Nervenzusammenbruch nahe. Ein regelrechter Rückfall. Ein paar Monate später löste sich sogar die WG wieder auf, nicht zuletzt deswegen, weil nun wieder der düster verhangene Himmel unserer Zukunft wie ein Damoklesschwert über jeder Diskussion und Frage nach Sinn und Prioritäten über uns hing. Eine Mitbewohnerin ertrug dies nicht, litt unter diesen „negativen Schwingungen“ und wir lösten alles auf, um zumindest die Freundschaft zu retten – was zum Glück auch gelang.
Ich habe ständig das Gefühl, ein Wissen zu haben, das ich jetzt nach und nach entdecke und mir bewusst mache. Es geschehen Dinge, bei denen ich instinktiv weiss, wie, warum oder was etwas so oder so ist. Mit meinem Verstand kann ich das Ganze allerdings nicht erklären.
Ich kann dein Posting vollkommen nachvollziehen, könnte diese Gefühle jedoch einem "normalen" Menschen nicht erklären.Nur ich weiß deswegen noch nicht, trotz dieses innewohnenden Wissens, was auf uns zu kommt. Das Wissen ist wie ein Rüstzeug, was man mir vor meiner Expedition eingepackt hat, was ich einmal brauchen würde, aber ich habe trotzdem keine Ahnung, auf was für eine Mission ich mich da eingelassen habe. Plötzlich halte ich einen Kompass in der Hand. Huch, wo kommt denn der Feldstecher her? Wenn ich das nicht bereinige in mir, dann werde ich mit 80 immer noch nichts aufgebaut haben, nur weil ich ständig in Bereitschaft war. Ich habe meinen Einsatzplan irgendwie verloren und befinde mich hinter fremden Linien. Was zum Kuckuck mache ich hier?
Fleecer schreibt weiter unten, dass er sich fließen lässt und wartet, auf seine Aufgabe, seine Bestimmung. Das geht mir genauso. Die aktive Suche danach habe ich auch aufgegeben. Heute gilt für mich: Sein Wille geschehe, nicht meiner! Aber auch hier bin ich Schizo genug um zu erkennen, dass in dieser Willensdelegation auch ein Stück eigene Unentschlossenheit und Feigheit steckt.
Ich habe aufgrund meiner düsteren Sichtweise bereits einiges verloren was ich hatte bzw. gar nicht erst bekam, weil ich es nicht in Angriff nahm. Man könnte etwas überspitzt sagen, dass meine Kinder bereits in dem Krieg gestorben sind, der sich erst in Zukunft ereignen wird.
Ich habe irgendwie gelernt, es einfach zu akzeptieren, na ja, wenigstens meistens.
Ja, das denke ich von mir mittlerweile auch manchmal. Und doch schaue ich heutzutage Nachrichten und erfahre beispielsweise aktuell von dem Geiseldrama und sehe die Bilder und die Lebenssituation der Menschen in der Region, schaue in die Gesichter und plötzlich überfällt mich ein emotionaler Schub und Tränen schießen mir in die Augen. Ich bin wesentlich empfindsamer geworden. Das trägt absurde Züge, denn heute werde ich selbst bei augenscheinlich banalen Dingen viel schneller ergriffen. Es mag ein Olympiasieger sein, dessen strahlendes Gesicht mich urplötzlich mitweinen lässt, obwohl ich weder den Sportler kenne noch ein besonderes Interesse für seine Sportart habe. Oder ein Kind sagt in einem Film was verdammt tapferes, wo sich Erwachsene eine Scheibe von abschneiden könnten, und ich Weichei habe plötzlich glatt Pipi in den Augen.
Das erste mal, als ich derartige Emotionen in mir entdeckte, war 1999 in Bologna. Ich war dort mit meinem Chef auf Geschäftsreise und wir schlenderten abends, nach getaner Arbeit durch die Straßen. Vor einer großen Kirche spielten ein paar Musiker vom Typ Rolf und seine Freunde und bestimmt hundert, zweihundert kleine Kinder waren das Hauptpublikum. Ich war plötzlich sehr gerührt. 1999 war die Zeit, wo hier im Forum die Alarmzeichen auf orange-rot standen. Mein Chef lächelte. Er fand das alles ganz nett und wollte schließlich weitergehen. Und ich stand da und mir kamen die Tränen. Ich sah diese vielen Kinder und malte mir unweigerlich ihre Zukunft aus. Versuchte das, was ich täglich im Forum denke mit dem abzugleichen, was sich da vor mir ereignete. Diese vielen, kleinen, unschuldig lachenden Gesichter, waren in meiner Vorstellung plötzlich blass und blutbeschmiert.
Durch diese Ausbrüche, wie auch am 11. September, wo ich meinen Rückfall hatte, weiß ich, dass ich es nicht unter bewusster Kontrolle habe. Das meinte ich auch mit den innerlichen Prozessen, dass im un(ter)bewussten die Dinge ihren Lauf nehmen, auch wenn wir bewusst meinen, alles im Griff zu haben. Das Bewusstsein mag akzeptieren und Distanz bewahren, aber im innern laufen Prozesse ab, die wir kaum bemerken uns aber doch modifizieren und überraschen können.
Inzwischen regt mich dieser Nachbar nicht mehr auf, weil ich irgendwie weiss, daß "unser" Wissen auch in ihm schlummert und er es einfach noch nicht entdeckt hat.
Über den Nachbar oder seinen Lack mache ich mir auch keine wirklichen Sorgen und schon gar nicht rege ich mich über ihn auf. In vielen Dingen bin ich vermutlich selbst wie mein Nachbar. Genau wie du es sagst, da bin ich dann auch nicht besser. Es sollte nur die Diskrepanz verdeutlichen, was diese unterschiedliche Wahrnehmung der Welt für Inkompatibilitäten schafft.
Stimmt, anfangs habe ich mich immer - weil nicht dazugehörig f ü h l e n d - als minderwertig betrachtet. Was alle anderen aber nie so sahen. Ich habe mal mit mehreren guten Freunden darüber gesprochen, alle waren extrem geschockt, daß ich mich so fühle. Sie meinten, ich würde von allen geachtet und wäre in meiner Umwelt sehr beliebt. Was ich aber irgendwie nie so registriert habe.
Inzwischen fühle ich mich nicht mehr als minderwertig, sondern einfach als anders.Ich wette, dass dies in meinem Bekanntenkreis genauso wäre. Auch sie könnten das kaum nachvollziehen. Meine „öffentliche“ Person ist ja auch ein sattelfester Typ, der weiß wovon er redet, der geschäftlich vor größeren Gruppen Fachvorträge hält oder im privaten Kreis als der Organisator, ja als Macher gilt.
Aber meine „nichtöffentliche“ Person, die, die ich eigentlich in Wahrheit bin, ist manchmal verdammt unsicher, schüchtern und jämmerlich feige. Ein Wesen, was nicht manipulieren und lügen will, was verständnisvoll ist, hilfsbereit und harmoniesüchtig, nicht Willens, diese Werte für schnelle Erfolge im weltlichen zu opfern. Es gab mal dieses Lied „Du musst ein Schwein sein in dieser Welt“, was ich einfach nicht akzeptieren will. Gerät man dann aber mal an so ein Schwein, an jemanden für den diese Prinzipien nichts weiter als Schall und Rauch sind, dann zieht man schnell den kürzeren, fühlt sich verunsichert und strahlt damit genau das aus, was der andere gebraucht hatte um schonungslos noch einen drauf zu setzen und wieder zerbricht ein Teil des Selbstvertrauens und des Vertrauens in die Welt und das große Erwachen.
Ich will diese Minderwertigkeit aber noch mal konkret am Beispiel Beziehung aufzeigen. Denn in den Augen einer Frau ist ein Mann, der sich Sorgen macht, noch keine Kinder will, nicht bereit ist sich haushoch zu verschulden etc. schließlich minderwertig, sofern sie dergleichen anstrebt. Jemand, der ständig auf der Suche ist, letztlich auf der Suche nach sich selbst, der erscheint unentschlossen und unberechenbar, was eine ernsthafte Zukunftsplanung anbelangt. Aber ich müsste, wie im Beruf, eine Rolle spielen und eine Frau mit meiner „öffentlichen“ Person überzeugen, was mir in solcher Beziehung wie eine Lüge, wie Betrug vorkäme. Versteht das hier irgendjemand?
Das macht einfach nur demütig. Demütig im Sinne von "ich bin nichts besonderes" aber auch gleichzeitig wahnsinnig stolz im Sinne von " ja, ich bin ein Teil dieses ganzen Großen". Und je länger man sich damit befasst, desto stolzer wird man. Nicht auf sich selbst oder seine Leistungen oder was auch immer, sondern ungefähr so, als würde man zu einem Fest eingeladen, zu dem man immer wollte aber nie gehofft hätte, es wert zu sein, dort eingeladen zu werden. (Mein Gott, was für ein Satz, kapiert den überhaupt einer?)
Sehr gut sogar. Das meinte ich mir der „aufbauenden“ Wirkung dieser Vorstellung.
Gehe es langsam an und versuche nicht, es zu erzwingen. Bei mir lief das immer phasenweise ab. Mal habe ich monatelang nur "schlaue" Bücher gelesen und mich innerlich zurückgezogen, dann wollte ich wiederum Monate nur "normal" leben und habe alles abgeblockt und unterdrückt und dann ganz urplötzlich war mir wieder irgendetwas, was ich am Tag zuvor noch nicht kapiert hatte, klar. Und ich habe selber mit dem Kopf geschüttelt, wie einfach doch die Erklärung war und weshalb ich da denn noch nicht eher drauf gekommen bin.
Besser hätte ich meine eigene Vorgehensweise nicht beschreiben können. :-)
Also, immer mit der Ruhe! Du bist auf dem Weg und wirst irgendwann ankommen, wie wir alle. Es geht doch nicht darum, der erste zu sein, oder?
Man ist aber so ungeduldig. Und irgendwie will ich meiner „öffentlichen“ Person trotz oder gerade Wegen aller Erkenntnis zu etwas mehr Glück und Perspektive verhelfen, den Traum von Familie und Harmonie irgendwann verwirklichen. Und wenn’s geht, bitte doch noch in diesem Leben. Sicher kommen wir alle eines Tages wieder zurück ins Licht. Aber das kann ja noch Äonen dauern!!! Verzeih mir meine Ungeduld. ;-)
Liebe Grüße von deiner Mitschülerin
Sehr angenehm! Ein Lächeln zurück
Mabo