Lieber Klassenkampf als Rassenkampf (Vorsicht: Ironie)

Geschrieben von franke43 am 15. Juli 2004 11:32:52:

Als Antwort auf: Uuuuiiii, der Klassenkampf ist wieder voll im Gange ? geschrieben von Bonnie am 15. Juli 2004 11:10:01:

Hallo Bonnie

>Hallo Zyn,
>man kann solche und solche Erfahrungen machen, du hast solche gemacht, aber es >ist nicht die komplette Realität. Ich will überhaupt nicht infrage stellen, >daß man solche Erfahrungen, wie du sie schilderst, machen kann und daß sie >sogar ziemlich wahrscheinlich sind.

Dann lautet doch die Frage: Wie schafft man eine für beide Seiten
gute (= annehmbare) Realität, d.h. eine Realität jenseits der
Anfeindungen, der Polarisierungen und des sich gegenseitig um
jeden Preis Ausnützenwollens ?

Zugegeben: auch in Schweden ist das nicht gelungen, aber es gibt
hier mehr "samförståndsanda" (Gemeinschaftssinn) auch zwischen
"Tarifpartnern" (kennt man diesen Begriff in D überhaupt noch ??).

>Man kann aber auch in Deutschland als Arbeitnehmer gute Erfahrungen machen und >als Arbeitgeber kann man schlechte machen. Meine Mutter beispielsweise als >Inhaberin eines Unternehmens, hatte nicht einmal, sondern regelmäßig im Ort >ihre Arbeitnehmer getroffen, die "krank" gemacht haben und die sie mühsam >ersetzen oder vertreten mußte. Sie als Unternehmerin hat Tag- und >Nachtschichten geschoben, die man Arbeitnehmern schon von Gesetz wegen nicht >zumuten darf. Wenn du diese Leute dann auch noch für ihr Krankfeiern bezahlen >darfst und auch noch selber schuften durftest, kann man schon ganz schön >bitter werden.

Deine Mutter gehört zu den Unternehmern, die selber mit anpacken
und als gute Vorbilder mit gutem Beispiel vorangehen. Eines der
besten Prinzipien der Menschenführung lautet:

Verlange von anderen nur das, was Du selber zu leisten bereit bist.

Deine Mutter hält sich daran. Ich verstehe ihre Bitterkeit.

In Schweden ist das schon ganz frühzeitig praktiziert worden,
als auch Schweden noch eine starre Klassengesellschaft war:

Im 30-jährigen Krieg führte der König Gustav II Adolf seine
Armee SELBST und setzte sich auf den Schlachtfeldern den
gleichen Gefahren aus wie die Soldaten. In der Schlacht von
Lützen kostete ihn das das Leben. 80 Jahre später tat sein
Nachfolger Karl XII genau dasselbe. Auch er fiel im Kampf
bei der Belagerung der norwegischen Festung Fredrikssten.

Aber was sollen wir von den vielen Abzockern halten, die sich in
Kapitalgesellschaften bestenfalls den Hintern in Aufsichtsrats-
sesseln platt sitzen und fette Dividende abzocken und jede noch
so kleine (und durch die Marktlage bedingten) Gewinnminderung
sofort als Anlass zur "Auslagerung" von Arbeitsplätzen oder
zur Werksschliessung nehmen ? Oder von den vaterlandslosen Gesellen
der anonymen Kapitalgesellschaften, besonders den Vertretern der
grossen "institutionellen Anleger" und deren unseliger Abzocker-
und Absahnerrolle (auf Kosten des volkswirtschaftlichen Ganzen)
in den Hauptversammlungen ?

>Es ist immer die Frage, welche Sichtweise habe ich vom Leben und da werden >dann alle Erfahrungen eingeordnet. Die anderen werden ausgeblendet.

Man nennt das die selektive Wahrnehmung.

>Es ist mir einfach zu platt wenn es auf solche Aussagen hinausläuft:
>- Arbeitgeber sind schlechte Menschen
>- Arbeitnehmer sind gute Menschen
>- Schweden sind bessere Menschen als Deutsche ...

Klar sind schweden keine besseren Menschen. Aber es gibt
kulturbedingte Unterschiede, die in Jahrzehnten oder gar
Jahrhunderten entstehen und die bewirken, dass "man" eben
bestimmte Dinge macht oder auch nicht macht. Zum Beispiel
ist hier der Konsensus zwischen Arbeitgebern und Arbeit-
nehmern viel wichtiger als in D. Jedenfalls ist das mein
Eindruck. Das kommt nicht nur, aber auch dadurch zum
Ausdruck, dass am Arbeitsplatz ALLE per Du und Vornamen sind
(und im sonstigen Leben FAST alle) und dass Titel nur auf
Visitenkarten vorkommen, sonst praktisch gar nicht.

>Daß Arbeitnehmer nicht die besseren Menschen sind, merkt man spätestens, wenn >man ihnen Macht gibt. Außerdem sind es im Moment die Arbeitnehmer, die richtig >ungeniert auf Kosten der Allgemeinheit zulangen, nämlich die Top-Manager der >Konzerne. Das sind keine Unternehmer, das sind Arbeitnehmer.

Ja aber ihre Solidarität (noch so ein alter Begriff) ist nicht
mit den anderen Arbeitnehmern. Und auch oft nicht einmal mit
den Firmen. Sondern nur mit ihnen selbst und mit ihresgleichen.

>Hierarchie gehört zu unserem Erbgut. Auch die Affen sind hierarchisch >organisiert. Das steckt also in uns drin und Franke kann erzählen, was er >will, es steckt auch in den Schweden drin. Hierarchie ist auch nicht an sich >schlecht. Sie erfüllt Funktionen, sie ermöglicht eine Organisation. Wenn ALLE >an ALLEN Entscheidungen beteiligt sind, werden gar keine Entscheidungen >getroffen.

Das ist richtig. Deshalb habe ich auch geschrieben, dass es
in Schweden ebenfalls Hierarchien gibt. Nur werden sie als
das benutzt, wofür sie gut sind: als MITTEL zum Zweck, nicht
als Selbstzweck.

>Wir sollten doch ein wenig über Marx hinaus sein, finde ich...

Das sind wir auch. Wissen wir doch, dass Marx eigentlich
falsch geschrieben ist. Er hätte Murx heissen müssen.

Ideologien, die auf Konfrontation und Ausgrenzung hinaus-
laufen, sind a priori destruktiv. Dabei ist es egal,
ob die Grenzen nach "Klassen" (Proletarier - Bourgeoisie),
nach "Rassen" ("Arier" - "Juden" - "Sonstige") oder nach
dem Geldbeutel (Reiche - Mittlere - Arme) verlaufen.

Drum ist mir diejenige Ideologie am liebsten, die
integrativ aufgebaut ist, etwa wie im schwedischen
Kinderlied

"Alla kan sjunga, kan sjunga med ..."

(Hier dürfen alle mitsingen)

Und das moderne Schweden wurde in diesem Sinne u.a. von
Astrid Lindgren (unsere "Heilige" Astrid) geprägt.

>Liebe Grüsse, Bonnie

Von mir auch

Franke



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