Re: Der Irak im allgemeinen

Geschrieben von JeFra am 13. April 2004 01:13:19:

Als Antwort auf: Re: Der Irak im allgemeinen geschrieben von Bine am 12. April 2004 21:17:07:


gerade eine Nichtaufnahme in die Eu würde entweder einen Rückfall der Türkei ins tiefste Mittelalter durch den leider erneut aufgekeimten islamistischen Fundamentalismus auf der einen, und die eventuell, durch eine Nichtaufnahme in die Eu, wieder aufgelebte pantürkische Bewegung bewirken.

Das kann ja schon sein, aber im Grunde ist das, was Sie hier sagen, eine Drohung: Und willst Du nicht mein Bruder sein... Aber was ist, wenn die EU die Türkei aufnimmt und sich daran überhebt. Dann haben wir erst recht den Fundamentalismus (der einen oder anderen Art) in der Türkei, die dann obendrein noch EU-Mitglied ist und aus der überdies nochmal 5 Millionen Türken nach Deutschland gekommen sind, das dann obendrein noch für die ökonomischen Probleme und den EU-weiten Staatsbankrott verantwortlich gemacht wird.


Auch so sehe ich nicht ein, warum die EU-Aufnahme gegen diese Bewegungen wirken soll. Wir können ja von der EU aus nicht die türkische Innenpolitik beeinflussen. Ich habe noch nie etwas von einem durch die EU verhängten Parteienverbot gehört. Und wie will die EU eventuell Druck auf die Türkei ausüben. Mit 3x soviel Türken im Land wie jetzt, die eventuell ganz handfesten Gegendruck ausüben.


Daß die Mehrzahl (schätze etwaetwa 90%) der Kemalisten (noch) nicht für eine pantürkische Bewegung sind zeigen die Wahlen in der Türkei, bei der der kemalistische Zweig, der eben jene Bewegung unterstützt nur 0,5 Prozent der Stimmen zu verzeichenen hatte. Die kemalistische CHP verfolgt einen Kurs, der dem einer großen Koamition in Deutschland entsprechen würde. Man findet da sowohl liberale Rechte, als auch gemäßigte Linke. Und das weiß ich sicher, da mein türkischer Bekanntenkreis sich ausschließlich aus Intellektuellen der von mir genannten Partei rekrutiert, mit Ausnahme einiger weniger religiöser Menschen aus der Türkei, die mit Politik allerdings nicht so viel zu tun haben. Ebenso habe ich selber von der Seite meiner Mutter her Verwandte, die aus diesem Personenkreis stammen und in der maßgeblich an der türkischen Staatsgründung beteiligt waren.

Mit türkischer Parteipolitik kenne ich mich nicht weiter aus. Ich habe nur versucht, aus der vorhin zitierten Diskussion Aufschluß zu bekommen, wie beliebt pantürkische Ideen unter Türken sind. Und sie scheinen sehr wohl beliebt zu sein, auch unter Türken, die schon nach Deutschland eingewandert sind. Oder selbst unter Ungarn. Derartige Ideologien in Ungarn gehen ja schon bis ins 19. Jhdt zurück und könnten ohne weiteres an Boden gewinnen, weil das Christentum seine Integrationskraft weitgehend verloren hat und die EU sich wahrscheinlich als Club der Staatsbankrotteure erweisen wird.

Kemal Atatürk war durch und durch europafreundlich, selbst wenn er eine Zusammenführung der Türken im Auge hatte, so sah er sich selber und auf lange Sicht auch diese Völker als Europäer an und nicht, wie von Ihnen hier dargestellt, im Sinne eines großtürkischen Reiches, das er ja gerade ausgemerzt hatte (Man erinnere sich, daß er ja mit der Zerstörung des osmanischen reiches das Gegenteil bewirkt hatte, was Sie ihm hier unterstellen).

Ich glaube nicht, daß die Turkvölker östlich des kaspischen Meeres je zum osmanischen Reich gehört haben. Atatürk hat das osmanische Reich ja auch nicht selber zerschlagen, sondern es ist im ersten Weltkrieg untergegangen. Er hat danach eine Neuorientierung in die Wege geleitet, sicher einmal mit der Übernahme einiger Errungenschaften der europäischen Moderne, aber anscheinend auch mit einer Orientierung hin auf die Turkvölker Mittelasiens. Die Sprachreform, bei der Lehnwörter aus dem Persischen oder Arabischen durch türkische Ausdrücke ersetzt wurden (oder ersetzt werden sollten, was mit `kitap' anscheinend nicht gelungen ist), deutet in diese Richtung. Also eine Umorientierung weg vom Nahen Osten und hin zu den Turkvölkern Zentralasiens, bei gleichzeitiger Modernisierung. So sehe ich den Kemalismus. Zu der Frage, ob der von mir zitierte Spruch von Atatürk stammt, haben Sie sich nicht geäußert. Ich habe dazu etwas gegurgelt und bin auf dieses Buch über die türkische Außenpolitik Atatürk gefunden:

Anavatan olarak bizlere Orta Asya'yı, yani Türkistan'ı gösteren, bütün Türklerin oralardan nasıl yayıldıklarını, nasıl kardeş olduğunu anlatan, "Oguz, Kırgız, Tatar, Özbek, Kazak ve Yakut yok, yalnız Türk vardır" diye resmen bu işin öncülüğün yapan ilk Türk lideri Atatürk olmuştur.

Leider reicht mein Türkisch für kompliziertere Sätze nicht aus, aber vielleicht können Sie mir ja erklären, ob es Atatürk war, der diesen auf das uns [ den Türken ] Heimat seiende Zentralasien, nämlich Türkistan, verweisenden Spruch geprägt hat. Wenn ich Dünyası statt Düyası lesen darf und oynayarak das Gerundium zu oynamak ist, glaube ich wenigstens den zweiten Teil des folgenden Satzes zu verstehen:

Rusların ve Batı dünyasının petrol gibi stratejik bir doğal kaynak paylaşımından daha büyük pay alabilme politik yarışında pek etkisi olmayan Türkiye'yi etkin kılmak isteyen Atatürk, İslam Düyası kozunu oynayarak Rusları köşeye sıkıştırma planları yapıyordu.

Pläne, die Trumpfkarte der islamischen Welt ausspielend die Russen in die Ecke zu drängen (köşeye sıkıştırma, ein negativer Imperativ wird wohl nicht vorliegen). Er hat Pläne gemacht, die Trumpfkarte der islamischen Welt ausspielend die Russen in die Ecke zu drängen. Atatürk, der wollte, daß die Türkei an dem politischen Kampf Rußlands und der westlichen Welt, bei der Aufteilung einer strategische Erdölquelle einen möglichst großen Anteil nehmen zu können [ alabilmek ], effektiv eingreift [ bis hierher sehr geraten], hat Pläne gemacht, die Trumpfkarte der islamischen Welt ausspielend die Russen in die Ecke zu drängen. Und sowas wollen Sie uns als Mittel gegen den Islamismus empfehlen?

Dafür spricht übrigens auch, daß er die europäische Kleidung eingeführt hatte, einen europakompatiblen Islam regelrecht erzwang und die Gesetzgebung auch weigehend nach europäischen Maßstäben ausrichtete. Die Schulpflicht gab es immerhin in der Türkei wegen Atatürk schon einige Jahre früher, als in anderen Ländern, die sich gerne als europäisch hinstellen (ich verweise hier auf einige östliche Länder) und auch das Frauenwahlrecht gab es bei Atatürk ebenfalls schon früher als sogar in Ländern, die man normalerweise schon als ziuvilisiert betrachten möchte.

Die Schulpflicht gibt es ja auch in Ländern, die mit Europa gar nichts am Hut haben und nur unsere materielle Kultur, also europäische Wissenschaft und Technik, übernehmen. Etwa in China oder Japan. Das können Sie nicht als Indiz nehmen. Mir macht das, was Sie hier beschreiben, eher den Eindruck der zwangsweisen und oberflächlichen Europäisierung eines Landes, das eben nicht Europäisch ist und dessen Bevölkerung auch nicht so denkt. Denken Sie nur mal an die Krawalle bei dem Fußballspiel vor einigen Monaten. Da der Spiegel-Beitrag anscheinend nicht mehr kostenlos ist, vielleicht einige Zitate aus dem Text, den ich damals gespeichert habe:

Im Tunnel zu den Kabinen waren die deutschen Spieler nach dem 1:1 gegen die Türkei von Polizisten, Ordnungskräften und Sicherheitsbeamten geschlagen, getreten und übel beschimpft worden. "Haben wir hier Krieg?", rief DFB-Trainer Uli Stielike, "so etwas habe ich noch in keinem Stadion der Welt erlebt." ... "Spieler von uns sind von Polizisten und Sicherheitskräften geschlagen worden. Der eine blutet, der andere hält sich in der Kabine ein Handtuch an den Kopf", sagte Stielike. Der Wolfsburger Maik Franz erlitt am linken Ohr eine Platzwunde, nachdem ihm ein Ordner mit einem Walkie-Talkie aufs Ohr geschlagen hatte. "Das war das schlimmste Spiel meines Lebens", stöhnte Franz.


"Mir hat ein Polizist vors Bein getreten", sagte Torschütze Benjamin Auer, der wegen der Blessur ebenfalls behandelt wurde. Selbst Schiedsrichter Michael Benes musste von DFB-Arzt Michael Preuhs am Kopf mit zwei Stichen genäht werden. ...


Ich halte die Tatsache, daß auch Ordner und Polizisten an den Ausschreitungen beteiligt waren, für sehr signifikant. Meiner Meinung nach tendieren Türken generell zu Verachtung für die europäischen Völker und ihre Kultur, gerade auch gegenüber den Deutschen. Sicherlich versucht die türkische Oberschicht, diese Tatsache zu kaschieren, solange sie noch etwas von uns will, nämlich die EU-Aufnahme der Türkei. Wenn wir danach wirtschaftlich ausgesogen sind, wird man weitere Forderungen wahrscheinlich nicht mehr auf diesem Wege durchsetzen, sondern durch gewaltsame Übergriffe der nach Deutschland eingewanderten Türken. Kein deutscher Patriot könnte auf die Idee kommen, durch die EU-Aufnahme der Türkei einer solchen Entwicklung Vorschub zu leisten.

Übrigens sind auch einige der von Ihnen benannten Turkvölker durchaus zivilisierter, als so manches Land auf dem Balkan, das sich gerne als europäisch sieht und wohl auch nur aufgrund seiner vorwiegend christlichen Einwohner als europäisch eingestuft wird.

Wenn ich mein Haus nicht mit jemandem teilen will, halte ich diesen Mann doch deswegen noch lange nicht für unzivilisiert! Es geht hier einfach darum, daß die Völker unterschiedliche Kulturen und unterschiedliche Interessen haben.

Die Türkei aus Europa ausklammern zu wollen, würde eben gerade zu dem befürchteten Szenario führen, davon bin ich zutiefst überzeugt.

Ich diesem Szenario (der Gründung Türkistans) eher neutral gegenüber. Wenn die Türken und die Turkvölker Mittelasiens das wollen und wenn die Armenier davon begeistert sind, warum nicht? Auf der anderen Seite wären die politischen Verwerfungen sicher erheblich, selbst wenn kein Krieg gegen Armenien erforderlich wäre. Ich glaube, wenn es solche Bestrebungen gibt, wird das die EU ohnehin nicht ändern können. Aber ich bin der Meinung, daß wir diese Entwicklung nicht in einem EU-Mitglied Türkei haben wollen. Daß diese Entwicklung trotz EU-Mitgliedschaft der Türkei mittelfristig auf uns zukäme, haben Sie mir ja im Grunde sogar bestätigt. Und ich bin obendrein der Meinung, daß wir die NATO verlassen sollten, um nicht gezwungen zu sein, in so einem Fall an der Seite der Türkei zu kämpfen, wenn man die Russen irgendwie dazu bringen kann, den ersten Schuß abzufeuern.

Man stelle sich nur alleine die Flut von Asylanten vor, sollte es auf lange Sicht hier nicht eine Zugehörigkeit zur EU abzeichnen, das wöre mehr als unverantwortlich.

Ich bin eher für die Auflösung der EU in ihrer heutigen Form sowie für die Abschaffung des Asylrechtes. Wir können doch nicht auf der ganzen Welt, überall wo zwei Völker sich an die Kehle gehen wollen, den Zahlmeister spielen, auf daß wir nicht von Asylanten überschwemmt werden. Um Grunde läuft Ihr Vorschlag darauf hinaus, daß wir über die EU die totale Niederlassungsfreiheit für die Türken akzeptieren sollen, damit wir nicht von türkischen Asylanten überschwemmt werden.

Durch eine Zugehörigkeit zur Eu würden sicherlich auch die westlich orientierten Parteien in der Türkei wieder gestärkt

Das glaube ich, wie gesagt, nur kurzfristig, solange der Westen der Türkei noch etwas zu bieten hat.

... gegen die bevorstehende Katastrophe der Islamisierung, die wie ein Damoklesschwert über dem Land hängt (dazu "Allahs Schatten über Atatürk" von PSL)

PSL empfiehlt aber nicht nicht die EU-Aufnahme der Türkei, sondern sieht in diesem Fall die Zuwanderung von >5Mio Türken und Bürgerkrieg in Deutschland. Kein deutscher Patriot käme auf die Idee, daß so eine Entwicklung gut für uns wäre.


freundliche Grüße
JeFra


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