Schiiten und Wahhabiten
Geschrieben von Swissman am 09. April 2004 02:58:00:
Als Antwort auf: Re: SCHIITEN-PROTESTE IM IRAK geschrieben von Hubert am 06. April 2004 16:56:24:
Hallo Hubert,
>Schiiten sind von allen Moslems die Schlimmsten. Ein Schiit ist für den normalen Moslem so was wie für uns Mitteleuropäer ein Kosovo-Albaner. Der normale Moslem kriegt vorm Schiiten Angst.Das sehe ich etwas anders: Die Schiiten scheinen mir im nahöstlichen recht vernünftig zu sein. Dass Sunniten und Schiiten sich gegenseitig nicht allzugern haben, stimmt. - Es handelt sich im Grundsatz primär um einen dynastischen Erbfolgestreit, ob Abu Bakr oder Ali die stichhaltigeren Ansprüche auf Mohammeds Nachfolge gehabt hat. Ich neige zu der Ansicht, dass die diesbezügliche schiitische Position unter dynastischen Gesichtspunkten, wie auch im Kontext des islamischen Rechts besser fundiert ist, ohne allerdings deswegen den Wunsch zur Konversion zu verspüren. *g*
Die schlimmste überhaupt mögliche Strömung innerhalb des Islams sind zweifellos die Wahhabiten (wobei diejenigen - nicht-wahhabitischen - Moslems, die mit den Lehren dieser Sekte vertraut sind, Wahhabiten in aller Regel nicht als Moslems im eigentlichen Sinne anerkennen wollen).
Der Status der Anhänger einer Buchreligion ("Ahl al-Kitab": Christen, Juden, Parsen) ist bei Sunniten wie Schiiten der eines "Schutzbefohlenen" (=Dhimmi), was eine vornehmere Umschreibung für einen Bürger zweiter Klasse ist. Dies ist zwar alles andere als optimal, aber immer noch weitaus besser als unter einem wahhabitischen Regime: Wahhabiten sind gehalten, jeden Nicht-Wahhabiten, der sich weigert, zu konvertieren, umzubringen (bevorzugte Methode ist hierbei das Durchschneiden der Kehle).
In der Praxis sieht dies so aus, dass die iranische Verfassung Christen, Juden und Parsen expressis verbis das Recht gibt, Gottesdienste nach ihrem jeweils eigenen Ritus zu feiern. Zudem haben die genannten Religionen ein verbrieftes Recht auf eine Vertretung im Parlament.
Demgegenüber hat Saudi Arabien weder eine Verfassung noch ein Parlament, hingegen sind sämtliche nicht-islamischen Religionen strengstens verboten: Die Einfuhr eines Kreuzes oder einer Bibel wird mit öffentlichem Auspeitschen bestraft, wenn der Richter zum Schluss kommt, die Einfuhr sie zwecks Missionierung erfolgt, ist er angehalten, ein Todesurteil zu verhängen. Ein Priester, der es wagt, in Saudi Arabien eine Messe zu feiern, riskiert buchstäblich seinen Kopf (wenn die Religionspolizei davon erfährt wird er zuerst ausgepeitscht, anschliessend geköpft).
Dabei sollte man nicht vergessen, dass die al-Saud-Clique sogar noch eine vergleichswese sehr "gemässigte" Interpretation des Wahhabismus vertritt, indem sie sunnitische und schiitische religiöse Handlungen *in der Regel* duldet, denn nach orthodoxer wahhabitischer Überzeugung müssten auch diese stikte ausgemerzt werden.
Man sollte, wenn von den Schiiten die Rede ist, auch nicht vergessen, dass von saudischer Seite schon seit Jahrzehnten erhebliche Summen zu deren propagandistischer Diskreditierung aufgewendet werden. Es ist übrigens auch ein offenes Geheimnis, dass die israelischen und iranischen Geheimdienste während des Ersten Golfkriegs eng zusammengearbeitet haben, und dies von Fall zu Fall, bei partiell gleichlaufenden Interessen, auch heute noch tun sollen...
Da Schiiten und Wahhabiten seit Jahrhunderten eine gegenseitige Todfeindschaft pflegen, wäre es unter strategischen und realpolitischen Gesichtspunkten empfehlenswert, auf dieser Grundlage zu einer Verständigung zu kommen - dass dabei keine Ehe herauskommen wird, ist klar, aber zu einer tragfähigen Waffenbrüderschaft genügen die gemeinsamen Interessen allemal.
Der ganze Schiiten-Verein wird vom Iran aus gesteuert,Das kann man so nicht sagen: Die traditonellen schiitischen Zentren liegen nicht im iranischen Quom, sondern in Kerbela und Najaf. Quom verdankt seine heutige Bedeutung nicht zuletzt der Repression Saddam Husseins gegen die irakischen Schiiten.
Der Iran scheint derzeit die beiden Ayatollahs Ali Husseini Sistani und Abdulasis Hakim zu favorisieren. Die beiden sind gegen gewaltsame Aktionen. Hakim gehört zudem der provsiorischen Regierung an.
Demgegenüber ist Muktada el Sadr kein Ayatollah, als Studienabbrecher ist er noch nicht einmal ein richtiger Mullah. Formal ist er eigentlich gar nicht dazu berechtigt, Fatwas auszustellen. Seine vergleichsweise grosse Anhängerschaft beruht primär darauf, dass sein Vater als einer der bedeutendsten Ayatollahs seiner Zeit galt - darauf hat Muktada el Sadr in der Folge geschickt aufgebaut.
mfG,
Swissman