Re: Kultur des Leben vs. Kultur des Todes: Danke, jetzt reicht's.

Geschrieben von NoPasaran am 26. März 2004 20:05:58:

Als Antwort auf: Kultur des Leben vs. Kultur des Todes geschrieben von Hubert am 26. März 2004 14:58:25:




@Wer immer das hier liest:


Untenstehenden Text wollt' ich heute eigentlich in einem thread des SpOn-Forums posten, weil dort einer meinte, dem Artikel Broders sei nichts hinzuzufügen - in dem thread geht's um den allseits bekannten und beliebten Krieg gegen den Terror. Ich hab's dann aber nicht gemacht, weil der SpOn offenbar neuerdings in seiner Forumssoftware was eingbaut hat, mit dem links auf externe sites unterbunden werden, und ich hatte da ein paar links auf die web site von Gush Shalom, ohne die ich das Posting nicht reinstellen wollte.

Je nun, nachdem Hubert sich bemüßigt sah, genau diesen Broder-Artikel hier in voller Pracht und Länge reinzustellen, hab' ich einen schönen Anlaß, mein Ding auch zu posten, inklusive der links, und es ist sogar selbst geschrieben, nicht nur copy and paste. So here we go:


[Verhindertes SpOn-Posting Start]


Betreffend die Aussage in #524, dem Artikel Henryk M. Broders sei nichts hinzuzufügen:

Doch, dem ist etwas hinzuzufügen, mit Nachdruck sogar, daß nämlich die Ausführungen des Herrn Broder von genau der Einäugigkeit und Eindimensionalität sind, die er Abdel Asis Rantisi ankreidet, nur eben andersrum.

Nicht, daß ich die Selbstmordattentate von Hamas und Konsorten irgendwie verteidigen wollte, und wer bedownsyndromte Jugendliche, die überhaupt nicht kapieren, was da abgeht, mit Bombengürteln losschickt, der muß selber ganz hübsch gestört sein, das steht alles absolut außer Frage, aber man muß gleichzeitig eben auch die andere Seite sehen.

Zunächst aus der Balfour-Deklaration: [... it being clearly understood that nothing shall be done which may prejudice the civil and religious rights of existing non-Jewish communities in Palestine ...].

Dann weiter mit Schiller, "vor Tische las man's anders", beispielsweise in Deir Yasin, obwohl man auch da noch einwenden könnte, daß dem bereits eine lange und von beiden Seiten nicht unbedingt zimperlich geführte Auseinandersetzung vorausging. Hinzuzufügen wäre noch, daß, gesehen mit der Optik der britischen Mandatsbehörden von anno zweiter Hälfte der Vierzigerjahre und gleichzeitig den mentalen Terrorismusrastern von heute, die Herren Menachem Begin, Irgun, und Itzhak Shamir, Stern-Gang, durchaus als quasi Scheich Yassins der Gegenseite durchgehen könnten, beide hätten, so die britischen Mandatsbehörden ihrer habhaft geworden wären, ihr Leben mit ziemlicher Sicherheit am Galgen beendet, und beide haben es zum Premierminister Israels gebracht, ersterer sogar Nobel-bepreist. Soviel zum Hintergrund, und Deir Yasin war übrigens ein joint venture von Irgun und Stern-Gang.

Festzustellen bleibt: Mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit war die Gründung des Staates Israel nur vor dem Hintergrund des Holocausts möglich, der seinerseits einen ín's Dämonische hinüberspielenden Abgrund menschlicher Bösartigkeit und menschlichen Versagens darstellt, und "Nie wieder soetwas" ist ein völlig legitimer Standpunkt. Schwierig wird's aber, wenn "Nie wieder soetwas" zu "Nie wieder soetwas - und wenn's sein muß, sind wir bereit, dafür über Leichen zu gehen und notfalls jegliches Recht, sie es national, sei international, zu brechen" mutiert, und genau das, fürchte ich, ist inzwischen zur einschlägigen Maxime des israelischen Selbstverständnis geworden.

Fakt ist: Seit 1967 baut Israel Siedlungen in besetztem Gebiet, und das steht in krassem Widerspruch zur, ist eine flagrante Verletzung der vierten Genfer Konvention. Israel ist - ich hab' die Zahlen jetzt nicht im Kopf, wer will, kann ein wenig googeln, es müßte sich finden lassen - derjenige Staat dieser Erde, der am meisten UN-Sicherheitsrats-Resolutionen ignoriert und/oder gebrochen hat. Israel hat es, seit dem Unabhängigkeitskrieg 1947/48, auf's peinlichste vermieden, sich auf völkerrechtlich verbindliche Grenzen festzulegen, auch die Green Line von 1967 ist nur eine Waffenstillstandslinie. Israel klaut den Palästinensern sukzessive das Land unter'm Hintern weg, und speziell seit Ariel Sharons 2000-er Besuch am Tempelberg hat das Ganze eine neue, etwas krassere Dimension bekommen. Diese "Schutzmauer" - wirklich nur ein Schelm, wer Böses dabei denkt? Denn dazu steht das Ding ein bißchen zu sehr auf palästinensischemn Restterritorium. Und der einzige Israelische Spitzenpolitiker, der, nach langem inneren Kampf, letztlich erkannte, daß sich das Problem nicht lösen läßt, indem man es allein mit der zionistischen Optik wahrnimmt, der soweit kam, vor der Knesset "We didn't come to an empty country" zu sagen, Itzhak Rabin nämlich, der wurde von den eigenen radikalen Nationalreligiösen umgelegt. Siehe hier (Das ist ein Word-Dokument, das, wenn man den link anklickt, unmittelbar gespeichert werden will, zumindest mit'm Mozilla. Das Ding ist okay, nix mit Viren oder ähnlichem.) und hier.

Das sind so die Fakten, die in einem Großteil der Diskussionen bezüglich des Nahostkonfliktes leider viel zu oft einfach nicht auf den Tisch kommen, und - polemisch hinzugefügt - das hat auch zu tun mit Artikeln der Art, wie, unter ziemlich vielen Anderen, Henryk M. Broder sie schreibt, und der Artikel, um den's hier im Speziellen geht, ist ein instruktives Beispiel dafür.

All das rechtfertigt zwar kein einziges Selbstmordattentat, aber es macht vielleicht ein bißchen verständlicher, wie es dazu kommen kann, daß Leute sich zu soetwas bereit finden.

Wer sich damit mal ein wenig näher auseinandersetzen will, dem sei die WebSite von Gush Shalom empfohlen, speziell die Sachen, die Uri Avnery geschrieben hat, hier. Uri Avnery hat die Tötung Scheich Yassins übrigens folgendermaßen kommentiert: "This is worse than a crime, it is an act of stupidity!"

Mit der Optik, die Henryk M. Broder in seinen Artikeln zum Thema an den Tag legt, läßt sich der Nahostkonflikt nicht lösen, im Gegenteil, danit kann man ihn nur eskalieren, und genau dessen verdächtige ich Ariel Sharon. Die Lösung - eine wirkliche Lösung, kein weiteres Dahinwursteln - des Palästinakonfliktes ist einer der zentralen Punkte, wenn es darum geht, dem islamistischen Terror den Boden zu entziehen, und ohne dieses wiederum läßt sich der Krieg gegen den Terrorismus nicht gewinnen.

Und darum, finde ich, ist dem Artikel Broders einiges hinzuzufügen, was ich hiermit versucht habe.

Schönes Wochenende noch .....


[Verhindertes SpOn-Posting End]


lg NoPasaran







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