Schiiten vs. Wahhabiten / Jassin vs. Rantissi
Geschrieben von Swissman am 24. März 2004 02:41:23:
Als Antwort auf: Re: Yassin, der Schiit, und der Irak geschrieben von P.Conner am 23. März 2004 14:44:23:
Hallo P.Conner,
>Gestern Abend kam in Phönix wieder die Sendung ´Im Herzen der Al Quaida` eines Exil Algeriers, der in Frankreich lebt.Phönix habe ich leider nicht, aber der Beschreibung nach hat SF DRS vorgestern dieselbe Sendung gezeigt.
Die Rekrutierungsinstrumenete sind wie bei einer Sekte.Das trifft den Nagel auf den Kopf: Osama bin Laden ist nämlich kein "gewöhnlicher" Moslem, sondern Wahhabit - Die Wahhabiten sind eine Sekte, die sich von den Sunniten abgespalten hat. In ihrem Selbstverständnis sehen sie sich freilich als die einzig echten Muslime, währenddem alle anderen Moslems als Abtrünnige vom "richtigen" Islam betrachtet werden. Wer Al Kaida oder einer angegliederten Organisation beitritt, tritt faktisch tatsächlich einer Sekte bei (ohne sich dessen jedoch zwingend bewusst zu sein).
>Möglicherweise wird die Ausschaltung des Scheichs alle Differenzen zwischen Suniten und Schiiten erstmal beseitigen unter dem gemeinsamen Logo Al Quaida und nach hinten verschoben.Dass Sunniten und Schiiten zusammenarbeiten können, ist eine Tatsache (rein theologisch betrachtet sind die Differenzen relativ gering). Völlig unmöglich ist jedoch eine Zusammenarbeit, und sei sie bloss taktischer Natur, zwischen Schiiten und der Al Kaida: Wie bereits erwähnt handelt es sich bei Al Kaida um eine Art wahhabitischen Kampfbund.
Nach wahhabitischer Lehre gilt die Schia jedoch als die schlimmstmögliche Form der Ketzerei: Sektengründer Mohammed ibn Abdul Wahhab verdammte nämlich jede Form der Heiligenverehrung (die Schiiten verehren ihre zwölf, bzw. sieben Imame als Heilige, die auch die Möglichkeit haben, an sie gerichtete Fürbitten bei Allah zu vorzubringen), die er mit Polytheismus gleichsetzte. Nach Abdul Wahhabs Ansicht folgt daraus für jeden Wahhabiten das Recht und die Pflicht, jeden Schiiten zu töten, dessen er habhaft werden kann.
Namentlich in der Frühzeit des wahhabitischen Königreiches Saudi Arabien sind die Wahhabitenkrieger diesem Gebot ausgiebig nachgekommen: Jahrzehntelang waren wahhabitische Raub- und Mordzüge gegen den überwiegend schiitischen Südirak an der Tagesordnung. Dies gipfelte 1802 in der Zerstörung der Stadt Kerbela und der Entweihung des dortigen Schreins des Imam Ali (die Parallele zum kürzlichen Anschlag auf das Aschura-Fest am selben Ort ist unübersehbar, und von den Schiiten auch zur Kenntnis genommen worden).
Anlässlich der ersten Eroberung Mekkas und Medinas (1805) wurden überdies die Gräber der schiitischen Imame al-Hasan, Ali Zain al-Abidin, Mohammed al-Baqir und Dscha'far as-Sadiq zerstört, deren Knochen verbrannt und die Asche in der Wüste verstreut.
Die Überfälle gegen die südirakischen Schiiten hörten erst in den frühen 20er Jahren des letzten Jahrhunderts auf, als die britische Mandatsmacht den Grenzschutz dem jungen Offizier Glubb Pascha (der spätere Kommandeur der "Arabischen Legion", der einzigen arabischen Einheit, der es gelang, israelische Truppen in einem richtigen Gefecht eine taktische Niederlage zuzufügen) die Sicherung der dortigen Grenze übertrug. Glubb Pascha löste das Problem durch die Errichtung eines Informanten-Netzes unter den nomadisierenden Hirten der Region sowie den Einsatz von Maschinengewehren, Geländefahrzeugen und Flugzeugen.
Die Erinnerung an diese Ereignisse ist bei den Schiiten durchaus noch vorhanden. Bei Treffen der OPEC oder der OIS sitzen die iranische und die saudische Delegation in aller Regel soweit möglich voneinander entfernt, wie es der jeweilige Tagungsort überhaupt nur zulässt. - bevor Schiiten und Wahhabiten zusammenarbeiten, friert die Hölle zu. ;-)
Hingegen werden dem neuen Hamas-Führer Smpathien zur Al Kaida nachgesagt: Innerhalb der Hamas galt der getötete Scheich Jassin als vergleichsweise gemässigt. Der Schweizer Nahostexperte Charles A. Landsmann geht sogar davon aus, dass Hamas ihre Aktionen bislang nur aufgrund Jassins "mässigenden" Einflusses auf Israel und die besetzten Gebiete beschränkt hat. Rantissi soll in dieser Beziehung schon länger einen Strategiewechsel vorgeschlagen haben, den er nun wohl auch durchführen wird: Internationalisierung des Konflikts durch Ausdehnung der Aktionen auf israelische, jüdische und amerikanische Einrichtungen auf der ganzen Welt...
mfG,
Swissman