Das Verhältnis von Inspiration und Verstand

Geschrieben von Elias Erdmann am 17. März 2004 17:57:47:

Als Antwort auf: Re: Ich glaube ich weiß wo das Missverständnis liegt geschrieben von Backbencher am 17. März 2004 00:19:53:

Hallo Backbencher

> Den Nietzsche habe ich übrigens für Dich rangehängt. Hat er gefallen?

In diesen Gedanken von Nietzsche ist ein „Schweben“. Das Gefühl selbst – wenn ich es unabhängig von diesem Text habe - empfinde ich als sehr positiv. Aber es erschwert im konkreten Fall das Lesen, weil der Verstand im ersten Moment kaum etwas findet, an dem er sich so richtig festhalten kann. Immer wenn man nach einer Idee greift, läuft der Text in eine andere Richtung. Ich hab den Text wirklich mehrmals lesen müssen, um überhaupt zu begreifen, worum es eigentlich geht. Und so kann ich selbst über diesen Text nicht schweben, sondern muss mich in ihm verbeißen, um ihm seine Informationen zu entlocken.

Wenn es darum geht, Ideen zu erfassen, liebe ich eher die sachliche Klarheit – um dann mit den erfassten Ideen selbst schweben zu können.

> Wir verewigen, was nicht mehr lange leben und fliegen kann, müde und mürbe
> Dinge allein!

Diese Erfahrung habe ich gerade in den letzten Monaten selbst gemacht, seitdem ich den Entschluss gefasst habe, meine bisherigen Gedanken zusammen zu fassen und in Buchform zu bringen. Es gelingt mir nicht, weil sich die Gedanken schneller entwickeln, als ich sie ordnen und ausformulieren kann.

Ich kann sie zur Zeit noch nicht verewigen, weil sie noch nicht „müde“ sind. Sie laufen mir noch davon.

Und umgekehrt empfinde ich religiöse Systeme als tot, wo die Erkenntnisse in Kathechismus-Paragraphen festgegossen sind. Sie haben keine Dynamik mehr, sondern halten den Gläubigen im System der Paragraphen und Dogmen gefangen.

> Was mir persönlich an Deiner Ausführung und Antwort nicht so übermäßig gefällt, ist,
> daß sie irgendwie etwas zu trocken ist.

Der Weg durch die „Wüste“ ist halt etwas trocken ;-)
Und von diesem Problem berichtet auch schon die Moses-Geschichte. Da beschweren sich die Leute auch über die Trockenheit.

Siehe auch http://f50.parsimony.net/forum200045/messages/3123.htm

> Eben für meinen Geschmack zu argumentativ.

Das hat schon seinen Sinn. Denn das Thema ist genau für die Instanz in uns gedacht, die sich mit Argumenten auseinander setzt und die uns üblicherweise den Zugang zur Inspiration verstellt.

Es geht um das Verhältnis von Inspiration und Verstand. Beim Normalbürger ist es so, dass der Verstand die Inspiration abwürgt. Er versteht nicht, was die Inspiration sagen will und verdrängt diese Themen. Er konzentriert sich auf die äußere Welt, denn damit hat er Erfahrung und damit kann er umgehen. Und mit der Konzentration auf das Äußere und Materielle stirbt in uns der Zugang zur inneren/geistigen Welt.

In der Symbolik der Bibel erleben wir dieses Abwürgen der „ersten Gedanken“ als Kindermord bei Moses (durch den Pharao) und bei Jesus (durch Herodes).

Viele Esoteriker meinen, man müsse den Verstand ruhen lassen, um sich der Inspiration öffnen zu können. Wenn der Verstand ruht, dann kommt tatsächlich einiges durch – aber es bleibt eben unverstanden und dadurch kommt der innere Kreislauf von Aussaat und Ernte nicht so richtig in Gang, durch den Inspirationen in Erkenntnis gewandelt werden kann.

Inspiration ohne Verstand verpufft unverstanden.
Verstand ohne Inspiration fährt sich in den Problemen fest.

Ich habe vor einigen Jahren mit einigen Methoden selbst experimentiert, um zu lernen, den Verstand ruhen zu lassen, aber nach einem ersten Schub an Inspiration verlor jede dieser Methoden nach wenigen Wochen oder Monaten ihre Wirksamkeit.

Inzwischen habe ich eine Methode kennen gelernt, wie man den Verstand entsprechend vorbereiten kann, so dass er die Stimme der Inspiration erkennen und verstehen kann. Und diese Methode hat jedenfalls bislang noch nicht ihre Wirksamkeit verloren.

Man muss dafür zunächst einen Umweg machen über den Bereich, mit dem unser Verstand Erfahrung hat – und das ist die äußere, materielle Welt.

Man muss also für den Verstand die geistige Welt in Begriffe übersetzen, die seiner Erfahrungswelt entsprechen. Man wählt also irdische Abläufe und menschliche Verhaltensweisen als Gleichnisse für geistige Dinge und für innere Prozesse.

Viele heiligen Texte entstanden auf diese Weise – auch viele Texte der Bibel. Auf den ersten Blick scheinen sie irdische Ereignisse zu beschreiben, aber eigentlich sind sie Gleichnisse für eine andere Wirklichkeit.

Dieses Ausweichen auf die materielle Ebene um dem „Kindermord“ zu entgehen, wird übrigens in der Bibel als Flucht nach Ägypten versinnbildlicht.

Und auch wenn der Kindermord des Herodes historisch nie stattgefunden hat, weil Herodes zur Zeit der Volkszählung schon seit etwa 10 Jahren tot war, so beschreiben Kindermord und Flucht nach Ägypten auf der „symbolischen Ebene“ sehr reale Prozesse, die in uns ablaufen.

Natürlich besteht immer die Gefahr, dass jemand die „irdischen Ereignisse“ auch nur als solche versteht, wie es z.B. die bibeltreuen Christen tun. Das ist die natürliche Reaktion des menschlichen Verstands: Er bekommt eine irdische Geschichte angeboten und da ist es vollkommen normal, dass er sie auch als irdische Geschichte interpretiert.

Deshalb braucht der Verstand noch ein „Werkzeug“ - einen Dosenöffner – um den geistigen Inhalt aus der „irdischen Verpackung“ auspacken zu können.

Hier kommt die esoterische/allegorische/symbolische Auslegung ins Spiel. Es gibt viele Begriffe dafür, aber letztendlich geht es immer um das Gleiche: Das Geistige zu erkennen, das in den Geschichten symbolisch verpackt wurde.

Wenn man das lange genug macht, dann fängt der Verstand an, in diesen Symbolen zu denken und dann kann er plötzlich die Stimme der Inspiration erkennen, die seit Jahren genau in dieser Sprache zu ihm spricht. Der Vorhang im Tempel zerreißt, der uns über all die Jahre von der geistigen Welt trennte.

Für jemand, der in den biblischen Texten nur historische Beschreibungen sieht, ist natürlich dieser Effekt überhaupt nicht nachvollziehbar.

Den Effekt selbst kann ich niemandem vermitteln – ebenso wenig, wie man für jemand anders eine Erfahrung mache kann. Aber ich kann zumindest das Prinzip so klar uns sachlich wie möglich darstellen, so dass dieser Weg für andere erkennbar wird. Und ich habe den Eindruck, dass es kaum einen anderen Weg gibt, der in seiner Wirkungsweise so offen und eindeutig beschrieben werden kann.

Mit dieser Erkenntnis ist natürlich auch eine andere Sicht auf das Thema „Prophezeiungen“ verbunden. Wenn man gelernt hat, diese Symbole-Sprache in den biblischen Texten zu erkennen, dann erkennt man sie auch, wenn sie in Visionen zu uns spricht. Und dann fällt auf, dass auch viele Visionen irdische Ereignisse als Gleichnisse für geistige Dinge und für innere Abläufe benutzen.

Natürlich gibt es auch Präkognition – das will ich gar nicht abstreiten – aber nur ein verschwindend geringer Anteil der populären Prophezeiungen hat tatsächlich prägkognitiven Inhalt. Viele Motive werden nur irrtümlich für Präkognition gehalten, weil der Verstand die Motive nicht anders in sein Erfahrungsfeld einbauen kann.

Hier passiert genau der gleiche Effekt, den ich weiter oben bei den biblischen Texten beschrieben habe. Der Verstand bekommt eine irdische Geschichte angeboten und da ist es vollkommen normal, dass er sie auch als irdische Geschichte interpretiert.

Um nicht in diesen Fehler reinzulaufen, brauchen wir hier genau den gleichen Dosenöffner wie weiter oben.

Und wenn jemand schon bei den biblischen Texten nicht den passenden Dosenöffner gefunden hat, der wird vermutlich auch hier in die gleiche Falle reinlaufen.

Die gleichen Denkweisen, die zum wörtlichen Bibelverständnis führen, die führen hier auch zu einem wörtlichen Verständnis der „Prophezeiungen“.

> Da muß man andere 'Methoden' anwenden.

Erkenntnis kann man bei anderen nicht erzwingen. Man kann nur anbieten.
Und man kann natürlich auf die offensichtlichen Fehler hinweisen.

> Die andere Methode, die meiner Erfahrung nach ausschließlich wirkt, ist durch den ganzen > bibeldicken Rechtfertigungspanzer zum Herzen vorzudringen.

Mit verschieden Methoden erreicht man verschiedene Menschen.

Es mag sicher Menschen geben, die einen Rechtfertigungspanzer haben, der die Folge eines seelischen Problems ist. Und wenn man das seelische Problem gelöst hat, dann verschwindet der Panzer unter Umständen ganz von selbst. Für diese Menschen gilt sicher Deine „Methode“.

Aber es gibt auch viele Menschen, die schlicht und einfach nur das Problem haben, dass sie nach spiritueller Erkenntnis streben und ihnen noch keiner die oben von mir beschriebene Methode verraten hat. Es gibt viele Menschen, die auf der Suche sind und die alles Mögliche ausprobieren, weil alle üblichen Lehrsysteme letztendlich unbefriedigend bleiben.

Auf dieser Suche lauern viele Gefahren und schon mancher hat sich bei der Suche gefährlichen Lehren angeschlossen und hat sich dadurch allerlei psychische Folgeprobleme eingehandelt. Es ist hauptsächlich der sinnlose Kampf gegen sich selbst, der immer wieder idealisiert wird und der immer wieder Menschen krank macht. Und in dieser Hinsicht sind – gerade für „Spätberufene“ - die großen Kirchen keinesfalls ungefährlicher als irgendwelche ominösen Sekten.

Ein Grund, weshalb die meisten Lehrsysteme unbefriedigend bleiben, liegt darin, dass sie letztendlich reine Glaubenssache sind. Sie können stimmen oder auch nicht. Und wenn man ganz genau hinschaut, dann stimmt eben manches ganz offensichtlich doch nicht. Und jeder Blitzableiter an einem Kirchturm beweist, dass man im Zweifelsfall der Physik doch sehr viel mehr vertraut als der Kraft des Gebets.

Wenn man aber selbst die Sprache gelernt hat, in der sich das Göttliche offenbart, dann braucht man nicht mehr zu glauben. Dann weiß man es.

Das ist so, als ob man ein fremdsprachiges Buch vor sich hat. Solange man anderen folgt, die einem sagen, was angeblich in diesem Buch steht, bleibt der Inhalt reine Glaubenssache. Und wenn sich alle Übersetzer widersprechen und wenn die Übersetzungen sogar in sich widersprüchlich sind, dann bekommt man irgendwann Glaubenszweifel.

Wenn man jedoch selbst die Sprache erlernt hat, dann gibt es diese Probleme nicht mehr. Man weiß dann, was in diesem Buch steht.

Natürlich gibt es auch hinterher immer noch Doppeldeutigkeiten und schwierig Aussagen.
.
> Ich bin leider kein Mensch mehr für 95 Thesen. Wenn Du sie auf eine, zwei oder drei
> reduzieren kannst, dann würde ich sie gerne lesen.

Die prinzipiellen Aussagen der Thesen steht stecken letztendlich auch in diesem Beitrag.

Man kann es leider nicht auf drei Thesen reduzieren. Das wäre etwa so, als ob man eine Wegbeschreibung nur auf drei Positionen reduzieren würde. Wenn man halt 95 mal richtig abbiegen muss, um sich nicht zu verfahren, dann hilft es nichts, wenn man nur 3 Kreuzungen beschreibt. Man kann bestenfalls die 95 Positionen zu drei Gruppen zusammen fassen.

Wenn der Weg einfacher wäre, dann hätten sich in den letzten Jahrhunderten nicht so viele Sucher verfahren – oder in Anlehnung an das Märchen von Dornröschen: Sie wären nicht in der Dornenhecke hängen geblieben.

> Ich bin kein analytisch-wissenschaftlicher Mensch.

Ich habe natürlich schon diese analytisch-wissenschaftliche Seite. Diese Kombination von Analytik und Esoterik ist übrigens keinesfalls so ungewöhnlich, wie es aus der heutigen Perspektive auf den ersten Blick erscheinen mag. Eine der bekanntesten Mysterienschulen geht sogar auf Pythagoras zurück – genau der mit Dreiecksseiten. Und genau aus dieser Ecke kommt auch der Begriff „Esoterik“.

Ich habe übrigens in der Literatur Hinweise gefunden, dass es schon den antiken Autoren aufgefallen war, dass es gewissen Ähnlichkeiten zwischen Pythagoräern, Duiden und Essenern gab.

Den Mix von Inspiration und Verstand finden wir übrigens auch bei Paulus:

1. Tess 5,19: Den Geist dämpft nicht. Prophetische Rede verachtet nicht. Prüft aber alles, und das Gute behaltet.

Viele Grüße

Elias








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