Re: Individualität

Geschrieben von HotelNoir am 27. Juni 2006 13:07:33:

Als Antwort auf: Re: Individualität geschrieben von BBouvier am 26. Juni 2006 18:17:12:

>Hallo, HotelNoir!
>Es könnte so sein, dass wir teilweise
>aneinandervorbeiargumentieren:-)
>Du schreibst:
>>dass sich der moderne Mensch zu mehr
>Individualität hin entwickelt hat.>
>Ich nennte diese Entwicklung nicht
>fortschreitende "Individualität" und damit Ausprägung
>von im Jeweils Einzelnen ganz tief angelegter
>Charakter-Eigentümlichkeiten:
>Was die moderne Massengesellschaft (<= "Zivilisation")
>kennzeichnet,
>das ist doch eher "Vereinzelung".
>Heisst: Atomisierung, Gleichschaltung,
>Vermassung, Verantwortungslosigkeit,
>bei gleichzeitig ganz erheblicher Bereitschaft zu Gewalt
>und zu Normbrüchen(!)...eine sterile Anhäufung
>von modediktierten Ja-Sagern.

***Hallo BB,
ja, das sehe ich auch so. ABER: Gleichzeitig ist der Individualismus eine Plattform für die Weiterentwicklung des Individuums. Dass die breite Masse diese Möglichkeit nicht nutzt und in den von Dir beschriebenen Kategorien endet, ist klar, doch m.E. war die breite Masse war noch nie wirklich für die Verwirklichung einer "höheren Ordnung" zu gebrauchen. Sie richtete sich stets nach einer niedrigen Ordnung, nämlich dem persönlichen Vorteil ("Der König ist tot, es lebe der König!")

>Von lauter austauschbaren Nullen, die in
>einer abstrakten Welt von "Ideen" leben.
>Normlosigkeit sollte nicht mit "Individualität"
>verwechselt werden.
>Während in einer Kultur Persönlichkeiten
>und Individuelles sich sehr unterschiedlich zeigen:
>Der Dorfschulze.
>Der Hufschmied.
>Der Arzt.
>(Dieser nicht zu verwechseln mit einem
>modernen "Mediziner", der im Plattenbaukrankenhaus
>nach Sozialtarif 10 Stunden täglich
>seine "Kunden" abfertigt.)
>Der Krieger.
>Der Bettler.
>Der König.
>Der Bauer.
>Die weit gespreizte Paletette der persönlichen Eigentümlichkeiten
>kann hinreichen, bis zur Kauzigkeit.
>Kulturmenschen sind alle zwar in höhere Ordnungen eingebunden,
>dabei jedoch weitaus freier als der Massenmensch,
>der nach Mode- Meinungsdikat ziellos schwankt.
>Weil der Kern sich nicht hatte entfalten können.

***Zustimmung.

>Und wo hunderttausende uniformierte Nullen
>lauthals im Chor schreien:
>"Ich, ich bin anders!"
>Ein wirkliches Individuum ist sehr "gebunden".
>Nämlich an "Höheres".

***Höheres, eine höhere Moral zu suchen und zu finden ist ein völlig natürlicher Prozess. Auch der moderne Massenmensch bindet sich an höhere Wahrheiten, er nimmt sie aus dem TV oder der Bildzeitung.

Diesen Prozess zu durchbrechen und ein eigenes Denken und Handeln zu entwickeln ist die Aufgabe, die der Individualist sich selber stellt. Da er wie jeder Mensch ein Gewissen hat, das biophil, also auf Lebenserhaltung und -förderung ausgerichtet ist, ist diese Aufgabe per se nicht egoistisch, sondern im Sinne des Ganzen.

Der Individualist erkennt einfach, dass jegliche Moral und jegliche Verkündung "höherer" Wahrheiten am Ende nur dazu dienen, ihn zu manipulieren. Der kommerzialisierte Individualismus ist deshalb für ihn kein wirklicher Individualismus mehr, sondern eben nur Kommerz, der sich der Idee des Individualismus bedient.

>Und zwar freiwillig und intuitiv aus der Tiefe
>seines innersten Seins heraus.
>Und nur so kann es sich entfalten.

***Ich weiss nicht, ob Du nicht dieses Eingebundensein in Kultur und Volk etwas zu sehr romantisierst. Entfaltet man sich als Bauer oder Apotheker, nur weil Vater, Grossvater und Urgrossvater auch Bauer oder Apotheker waren? Ich sehe heutzutage mehr (auch innere) Entfaltungsmöglichkeiten. Nur die Masse macht da - wie immer - nicht mit.

Grüsse HotelNoir

>Was den "modernen Menschen" nun sicherlich
>nicht kennzeichnet.
>Da ist nur angelesener, steriler Firnis.
>Und der Wunsch, bloss in Ruhe gelassen zu werden.
>Nach Schalterschluss.
>Gruss,
>BB


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