Odilia (Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens)

Aus Schauungen, Visionen & Prophezeiungen

Von Paul Sartori.

Odilia (Ottilia), hl., blind geboren, wird sie von ihrem Vater, dem Herzog Eticho, aus dem Hause geschafft, wird durch die Taufe sehend und nachher erste Äbtissin in Hohenburg, angeblich dem ersten Frauenkloster im Elsaß, † um 720[1]. Ihre Hauptkultstätte ist der Odilienberg mit dem Kloster und der uralten Heidenmauer im Elsaß[2]. Sie ist Schutzpatronin des Elsaß[3] und Patronin der Augen[4]. In deutschen Augensegen kommt ihr Name vor[5]. Sie wird mit einem Buche mit zwei Augen darauf dargestellt. An ihren Verehrungsstätten entspringen Quellen, deren Wasser heilsam namentlich für kranke Augen ist[6]. In Berolzheim fleht man vor dem Kornschneiden die hl. Odilia an, daß einem nichts in die Augen falle[7]. Ihr Gedächtnistag ist der 13. Dezember, derselbe wie der der hl. Lucia, zu der sie einige Beziehungen hat[8]. Früher hofften elsässische Mädchen nach siebenmaligem Umschreiten der sog. Tränenkapelle auf dem Odilienberg sich noch in demselben Jahre zu verheiraten[9]. Der Feldrittersporn heißt Ottilienkraut[10]. Wer drei dieser Blumen, in Jungfernwachs gewickelt, am Halse trägt und drei Messen zu Ehren der hl. Odilia lesen läßt, auch drei Almosen in ihrem Namen erteilt, der wird von kranken Augen heil[11]. In Bayern ist die Ottiliennacht eine Haupttrudennacht[12].
Das übelriechende Hemd des büßenden Vaters der Odilia wurde in der von ihm erbauten Kirche aufbewahrt und jährlich zwei Tage vor ihrem Feste von einem Geistlichen angezogen. Er ging damit, fortwährend an duftenden Blumen riechend, durch das zuschauende Volk, mußte aber vorher sieben Tage lang in jede Speise, die er genoß, rohen Knoblauch tun[13].

  1. Künstle Ikonographie d. Heiligen 475; Doyé Heilige u. Selige d. römisch-katholischen Kirche 2, 91 f.; Samson D. Heiligen als Kirchenpatrone 324 f.
  2. Hertz Elsaß 16 f. 188 ff.; Stöber Elsaß 168 ff.; Andree Votive 118. Spuren ihrer Kniee: Hertz 17. Ihrer Finger: Sébillot Folk-Lore 1, 376. 377. Sie stößt mit ihrem Stabe eine Quelle hervor: Ebd. 2, 178.
  3. Auch in Schwaben ist sie hochverehrt: Birlinger Volkst. 1, 417; Ders. A. Schwaben 1, 44.
  4. Andree Votive 118 f.; Hovorka u. Kronfeld 1, 346; ZfVk. 8, 399 (Bayern); Fontaine Luxemburg 107.
  5. Franz Benediktionen 2, 488. Oben 1, 718.
  6. Andree Votive 118 f.; Sepp Religion 384 f.; Wolf Beitr. 2, 33; Pfannenschmid Weihwasser 91; Meyer Baden 533. 568.
  7. Meyer Baden 426.
  8. Laistner Nebelsagen 239 f. Im Dorfe Schupfart beging man den sog. »dreiköpfigen Feiertag«, das Fest des hl. Jodocus und der hl. Odilia und Lucia: SchwVk. 17 (1927), 77. Hier und da wird Odilia auch zu den drei Jungfrauen (Schwestern) gerechnet: Panzer Beitr. 2, 157 (246); OberdZfVk. 4 (1930), 113 f.
  9. Oben 2, 576 f.
  10. Hertz Elsaß 189.
  11. Menzel Symbolik 2, 276; Bartsch Meckl. 2, 193 f.
  12. ZfVk. 1, 304.
  13. Mon. Germ. hist. Scriptorum t. 13 p. 132 (Ex continuatione chronici Florentii Wigorniensis opera Johannis Monachi).