Daniel

Aus Schauungen, Visionen & Prophezeiungen
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Aus dem Buche Daniel, einer Trost- und Mahnschrift aus der Zeit der schweren Bedrängnis der Juden durch Antiochus Epiphanes IV. († 164 v. Chr.). Der unbekannte Verfasser bedient sich der Form der Apokalypse. Bereits vergangene Ereignisse werden einem Propheten der Vorzeit in den Mund gelegt.

Kapitel 1 – Daniels Erziehung und religiöse Grundsatztreue

1Im dritten Jahr der Regierung des Königs Jojakim von Juda rückte der König Nebukadnezar von Babel gegen Jerusalem vor und belagerte es. 2Da überlieferte der Herr den König Jojakim von Juda in seine Gewalt und ebenso einen Teil der Geräte des Gotteshauses. Er brachte diese ins Land Sinear, in das Haus seines Gottes, und zwar führte er die Geräte dem Schatzhaus seines Gottes zu. 3Nun befahl der König dem Aschpenas, dem Obersten seiner Kammerherren, er möge israelitische Knaben aus dem königlichen Geschlecht sowie aus dem Adel kommen lassen: 4Jünglinge ohne jeden Makel, von gutem Aussehen, unterrichtet in jeglicher Weisheit, kenntnisreich und gelehrig und somit befähigt, in den königlichen Hofdienst zu treten; diese solle er in der kaldäischen Schrift und Sprache unterweisen. 5Der König bestimmte für sie tagtäglich die Kost von der königlichen Tafel und von dem Wein, den er selber trank. Drei Jahre lang sollte ihre Ausbildung dauern, und danach sollten sie in königliche Dienste treten. 6Unter ihnen befanden sich von den Judäern Daniel, Chananja, Mischael und Asarja. 7Der oberste Kammerherr gab ihnen andere Namen; den Daniel nannte er Beltschazzar, den Chananja Schadrach, den Mischael Meschach, den Asarja Abednego. 8Da faßte Daniel den beherzten Entschluß, sich an der königlichen Kost und am Wein von dessen Tafel nicht zu verunreinigen. Er bat also den obersten Kammerherrn um die Gunst, sich nicht verunreinigen zu müssen. 9Gott ließ Daniel bei dem obersten Kammerherrn Gunst und Gnade finden. 10Allerdings sagte der oberste Kammerherr zu Daniel: „Ich fürchte nur, daß mein Herr, der König, der ja Speise und Trank für euch festgesetzt hat, euer Aussehen schlechter findet als das der anderen Knaben eures Alters; dann wäre durch eure Schuld mein Kopf beim König verwirkt.“ 11Daniel sprach nun zum Aufseher, den der oberste Kammerherr über Daniel, Chananja, Mischael und Asarja gesetzt hatte: 12„Versuche es doch einmal zehn Tage lang mit deinen Knechten! Man gebe uns nur Pflanzenkost zu essen und Wasser zu trinken! 13Dann magst du unser Aussehen mit dem jener Knaben vergleichen, die von der königlichen Speise essen. Je nach deinem Befunde verfahre dann mit deinen Knechten!“ 14Er willfahrte diesem ihrem Wunsche und versuchte es zehn Tage lang mit ihnen. 15Nach Ablauf der zehn Tage sahen sie besser und wohlgenährter aus als alle anderen Knaben, die sich von der königlichen Kost nährten. 16So ließ denn der Aufseher die ihnen zugedachte Kost und den Wein, den sie trinken sollten, fortschaffen und verabreichte ihnen nur Pflanzenkost. 17Diesen vier Knaben nun schenkte Gott Einsicht und Weisheit für jegliches Schrifttum und Wissensgebiet. Daniel hatte auch Erfahrung in der Deutung von Gesichten und Träumen aller Art. 18Nach Ablauf der Frist, die der König bis zu ihrer Vorführung bestimmt hatte, führte sie der oberste Kammerherr vor Nebukadnezar. 19Der König besprach sich mit ihnen. Keiner von ihnen allen bewährte sich aber so wie Daniel, Chananja, Mischael und Asarja. Sie durften daher in königliche Dienste treten. 20Sooft der König nun von ihnen in allen Dingen, die Weisheit und Einsicht erforderten, einen Rat wünschte, fand er sie sämtlichen Zeichendeutern und Wahrsagern in seinem ganzen Reiche zehnmal überlegen. 21So blieb Daniel bis zum ersten Jahre des Königs Cyrus am Hofe.

Kapitel 2

Der Traum des Königs

1Im zwölften Jahre der Regierung Nebukadnezars hatte dieser einen Traum. Sein Geist beunruhigte sich darüber, und er konnte nicht mehr schlafen. 2Da ließ der König die Wahrsager, Beschwörer, Zauberer und Kaldäer[1] rufen. Sie sollten dem König über seinen Traum Aufschluß geben. Sie kamen und traten vor das Antlitz des Königs. 3Der König sprach zu ihnen: „Ich hatte einen Traum, und mein Geist ist unruhig, weil ich den Traum verstehen möchte.“ 4Die Kaldäer entgegneten dem König – auf aramäisch –: „O König, lebe ewig! Erzähle den Traum deinen Knechten, und wir wollen die Deutung kundtun!“ 5Doch der König antwortete den Kaldäern und sprach: „Mein Entschluß steht fest: Wenn ihr mir den Traum und seine Deutung nicht mitteilen könnt, dann sollt ihr in Stücke gehauen und eure Häuser sollen in Schutthaufen verwandelt werden. 6Tut ihr aber den Traum und seine Deutung kund, so empfangt ihr von mir Gaben, Geschenke und eine große Würdenstellung. Daher erzählt mir den Traum und seine Deutung!“ 7Sie antworteten abermals und sprachen: „Der König erzähle seinen Knechten den Traum, und wir werden seine Deutung offenbaren.“ 8Der König gab zur Antwort: „Ich weiß mit Sicherheit, daß ihr nur Zeit zu gewinnen sucht; denn ihr wißt, daß mein Entschluß feststeht. 9Könnt ihr mir den Traum nicht mitteilen, so trifft euch das eindeutige Urteil: Eine verlogene und ungünstige Antwort mir zu geben, habt ihr euch verabredet, in der Hoffnung, daß die Zeiten sich ändern. Also sagt mir den Traum! Daran werde ich erkennen, daß ihr mir auch seine Deutung geben könnt!“ 10Die Kaldäer antworteten dem König und sprachen: „Es gibt niemand auf Erden, der das, was der König verlangt, mitteilen könnte. Daher stellte noch nie ein König, mag er noch so groß und mächtig gewesen sein, ein derartiges Ansinnen an irgendeinen Wahrsager, Beschwörer oder Kaldäer. 11Zu schwierig ist das Verlangen des Königs; es gibt niemand sonst, der das dem König mitteilen könnte außer den Göttern; doch deren Wohnung befindet sich nicht unter den sterblichen Menschen.“ 12Da ergrimmte der König und wurde sehr zornig. Er gab den Befehl, alle Weisen Babels umzubringen. 13Als nun der Befehl ergangen war, die Weisen zu töten, wollte man auch Daniel und seine Gefährten hinrichten. 14Da wandte sich Daniel klug und verständig an Arjoch, den Obersten der königlichen Leibwache, der ausgerückt war, die Weisen Babels zu töten. 15Er fragte also den königlichen Befehlshaber Arjoch, warum denn vom König ein so strenger Erlaß gekommen sei. Arjoch teilte dem Daniel die Sache mit. 16Daniel begab sich zum König und bat ihn, man möge ihm doch eine Frist setzen, um dem König die Deutung kundzutun. 17Dann eilte Daniel nach Hause und setzte seine Gefährten, Chananja, Mischael und Asarja, von der Angelegenheit in Kenntnis. 18Sie sollten den Gott des Himmels um Erbarmen anflehen dieses Geheimnisses wegen, damit man nicht Daniel und seine Gefährten mit den übrigen Weisen Babels umbringe. 19Nun wurde Daniel in einem Nachtgesicht das Geheimnis geoffenbart. Da pries er den Gott des Himmels. 20Daniel betete und sprach: „Gepriesen sei Gottes Name von Ewigkeit zu Ewigkeit! Denn Weisheit und Stärke besitzt er. 21Den Wechsel der Zeiten und Fristen führt er herbei, setzt Könige ab und setzt Könige ein. Den Weisen gibt er Weisheit, den Verständigen Verstand. 22Tiefe und verborgene Dinge enthüllt er. Was im Dunkeln liegt, das weiß er, und bei ihm wohnt das Licht. 23Dich, Gott meiner Väter, lobe und rühme ich; denn Weisheit und Stärke verliehest du mir. Um was wir dich baten, tatest du mir jetzt kund, des Königs Verlangen ließest du uns wissen.“ 24Danach begab sich Daniel zu Arjoch, dem der König befohlen hatte, die Weisen von Babel umzubringen. Er sprach zu ihm: „Richte die Weisen Babels nicht hin! Führe mich vor den König, und ich werde dem König die Deutung offenbaren.“ 25Arjoch führte den Daniel in aller Eile vor den König und sprach zu diesem: „Unter den jüdischen Verbannten fand ich einen Mann, der dem König die Deutung kundtun will.“ 26Der König antwortete und sprach zu Daniel, der den Namen Beltschazzar führte: „Bist du wirklich imstande, mir den Traum, den ich hatte, und seine Deutung kundzutun?“ 27Daniel entgegnete dem König: „Das Geheimnis, nach dem der König fragt, können Weise und Zauberer, Wahrsager und Sterndeuter dem König nicht mitteilen. 28Doch ist ein Gott im Himmel, der Geheimnisse aufdeckt und den König Nebukadnezar wissen läßt, was am Ende der Tage geschehen wird. Dein Traum und was dir an Bildern auf deinem Lager durch den Kopf ging, ist folgendes:

  1. Kaldäer ist hier nicht mehr Volksname, sondern Bezeichnung für eine Klasse von Wahrsagern.

Der Traum von den vier Erdreichen und dem Gottesreich

29Dir, o König, stiegen auf deinem Lager Gedanken auf, was dereinst geschehen wird. Er, der Geheimnisse enthüllt, ließ dich wissen, was sein wird. 30Mir aber ward dies Geheimnis nicht etwa infolge einer Weisheit, durch die ich anderen Menschen überlegen wäre, enthüllt. Es geschah, damit man dem König die Deutung kundtue und du die Gedanken deines Herzens verstehst. 31Du, o König, hattest ein Gesicht und schautest eine gewaltige Bildsäule. Jene Bildsäule war überaus groß, ihr Glanz ganz außergewöhnlich. Sie stand vor dir. Ihr Aussehen war furchterregend. 32An diesem Bild war der Kopf von lauterem Golde, seine Brust und seine Arme aus Silber, sein Bauch und seine Hüften aus Erz; 33seine Schenkel waren aus Eisen, seine Füße teils aus Eisen, teils aus Ton. 34Du schautest hin, bis sich ein Stein ohne Zutun von Menschenhand loslöste, die eisernen und tönernen Füße traf und sie zermalmte. 35Da zerstoben im Nu das Eisen, der Ton, das Erz, das Silber und das Gold. Sie wurden wie Spreu auf den sommerlichen Tennen; der Wind trug sie fort, und keine Spur fand sich mehr von ihnen. Der Stein aber, der die Bildsäule getroffen hatte, ward zu einem großen Berg und erfüllte die ganze Erde. 36Dies war der Traum, und seine Deutung wollen wir nun dem König vortragen: 37Du, o König der Könige, dem der Gott des Himmels Königsherrschaft, Reichtum, Stärke und Ruhm verliehen hat, 38du, dem er die Menschen in der ganzen bewohnten Welt, die Tiere des Feldes und die Vögel des Himmels in die Hand gegeben, und den er zum Herrscher über sie alle bestimmt hat, du bist das Haupt von Gold! 39Nach dir ersteht ein anderes Reich, geringer als deines, und dann ein anderes, drittes Königreich von Erz, das über alle Länder herrschen wird. 40Ein viertes Reich wird hart wie Eisen sein; denn Eisen zerschlägt und zermalmt ja alles. Wie zerschmetterndes Eisen wird es sie alle zerschlagen und zerschmettern. 41Wenn du die Füße und Zehen teils aus Töpferton, teils aus Eisen sahst, so hat das folgende Bedeutung: Das Reich wird nicht einheitlich sein, wird aber etwas von der Härte des Eisens haben; darum sahst du Eisen mit Tonerde gemischt. 42Die Zehen, teils aus Eisen, teils aus Ton, bedeuten: Ein Teil des Reiches wird stark, ein Teil zerbrechlich sein. 43Und wenn du Eisen vermischt mit Tonerde schautest, so bedeutet dies: Man wird sich durch Heiraten miteinander verbinden, jedoch wird man nicht untereinander zusammenhalten, so wie sich Eisen mit Ton nicht verbinden läßt. 44In den Tagen jener Könige errichtet der Himmelsgott ein Reich, das in Ewigkeit nicht zugrunde geht. Dieses Reich wird keinem anderen Volk überlassen. Es zermalmt und beseitigt all jene Reiche, selbst aber steht es in Ewigkeit fest! 45Du sahst es ja selber, daß der Stein, der sich ohne Zutun von Menschenhand vom Berge loslöste, Eisen, Erz, Ton, Silber und Gold zermalmte. Der große Gott hat dem König kundgetan, was dereinst geschehen wird; der Traum ist wahr und seine Deutung zuverlässig.“

Nebukadnezar preist den Gott Daniels

46Da fiel der König Nebukadnezar auf sein Angesicht nieder und huldigte dem Daniel. Er befahl, ihm Speiseopfer und Räucherwerk zu spenden. 47Der König nahm das Wort und sprach zu Daniel: „Fürwahr! Euer Gott ist der Gott der Götter, der Herr der Könige und der Offenbarer von Geheimnissen. Nur deshalb konntest du dieses Geheimnis enthüllen.“ 48Dann erhob der König den Daniel zu hohem Rang und machte ihm viele reiche Geschenke. Er ernannte ihn zum Gebieter der ganzen Provinz Babel und zum Obervorsteher aller Weisen von Babel. 49Daniel bat den König, und dieser übertrug die Verwaltung der Provinz Babel dem Schadrach, Meschach und Abednego. Daniel blieb am Hof des Königs.

Kapitel 3

Daniels Gefährten im Feuerofen

1Einst ließ König Nebukadnezar ein goldenes Standbild anfertigen; sechzig Ellen betrug seine Höhe und sechs Ellen seine Breite. Er errichtete es in der Ebene Dura in der Provinz Babel. 2Der König Nebukadnezar schickte Boten aus, die Satrapen, Statthalter, Präfekten, Generäle, Schatzmeister, Richter, Polizeibeamten und alle Provinzialbeamten zusammenzuholen. Sie sollten zur Einweihung jenes Standbildes erscheinen, das der König Nebukadnezar errichtet hatte. 3Da versammelten sich die Satrapen, Statthalter, Präfekten, Generäle, Schatzmeister, Richter, Polizeibeamten und alle anderen Provinzialbeamten zur Einweihung des Bildes, das König Nebukadnezar hatte errichten lassen. Sie nahmen vor dem Standbild, das Nebukadnezar errichtet hatte, Aufstellung. 4Der Herold verkündete mit mächtiger Stimme: „An euch ergeht der Befehl, ihr Völker und Stämme aller Sprachen: 5Sobald ihr den Klang der Hörner, Flöten, Zithern, Harfen, Lauten, Sackpfeifen und aller Arten von Musikinstrumenten ertönen hört, sollt ihr niederfallen und das goldene Standbild anbeten, das der König Nebukadnezar errichten ließ. 6Wer aber nicht niederfällt und anbetet, der wird noch zur selben Stunde in den glühenden Feuerofen geworfen.“ 7Sobald daher alle Völker den Klang der Hörner, Flöten, Zithern, Harfen, Lauten, Sackpfeifen und aller Arten von Musikinstrumenten vernahmen, warfen sich sämtliche Völker und Stämme aller Sprachen sogleich nieder und beteten das goldene Standbild an, das der König Nebukadnezar errichtet hatte.

Anzeige

8Zur gleichen Zeit traten kaldäische Männer heran und verklagten die Juden. 9Sie ergriffen das Wort und sprachen zum König Nebukadnezar: „Ewig sollst du leben, o König! 10Du, o König, hast doch den Befehl erlassen, daß jeder, der den Klang der Hörner, Flöten, Zithern, Harfen, Lauten, Sackpfeifen und aller Arten von Musikinstrumenten vernimmt, niederfallen und das goldene Standbild anbeten soll. 11Wer aber nicht niederfällt und anbetet, der solle in den glühenden Feuerofen geworfen werden. 12Da sind nun jüdische Männer, denen du die Verwaltung der Provinz Babel anvertraut hast, Schadrach, Meschach und Abednego. Diese Männer achten nicht auf deinen Befehl, o König. Deinen Gott verehren sie nicht, und das von dir errichtete goldene Standbild beten sie nicht an.“

Macht und Ohnmacht

13Da befahl Nebukadnezar in wütendem Zorn, Schadrach, Meschach und Abednego vorzuführen. Man brachte also jene Männer vor den König. 14Nebukadnezar hob an und fragte sie: „Ist es wahr, Schadrach, Meschach und Abednego, daß ihr meinen Gott nicht verehrt und das von mir errichtete Standbild nicht anbetet? 15Nun wohl, wenn ihr bereit seid, niederzufallen und das von mir verfertigte Standbild anzubeten, sobald ihr den Klang der Hörner, Flöten, Zithern, Harfen, Lauten, Sackpfeifen und aller Arten von Musikinstrumenten vernehmt, dann ist es gut; betet ihr es aber nicht an, so werdet ihr zur gleichen Stunde in den glühenden Feuerofen geworfen, und welcher Gott wird euch aus meiner Gewalt befreien können?“ 16Schadrach, Meschach und Abednego antworteten dem König Nebukadnezar: „Wir haben nicht nötig, dir darauf ein Wort zu erwidern. 17Wenn es sein soll, kann unser Gott, den wir verehren, uns aus dem glühenden Feuerofen befreien, und er wird uns aus deiner Gewalt, o König, erretten. 18Tut er es aber nicht, so sei dir, o König, kundgemacht, daß wir deinen Gott nicht verehren und das von dir errichtete goldene Standbild nicht anbeten werden.“

Inmitten der Flammen

19Da ward Nebukadnezar von Wut erfüllt, und sein Gesichtsausdruck entstellte sich gegen Schadrach, Meschach und Abednego. Er befahl, den Ofen siebenmal stärker zu heizen, als man ihn sonst zu heizen pflegte. 20Einigen von den stärksten Männern in seinem Heere befahl er, Schadrach, Meschach und Abednego zu binden und in den glühenden Feuerofen zu werfen. 21Nun wurden diese Männer in ihren Mänteln, Beinkleidern, Mützen und sonstigen Gewändern gebunden und in den glühenden Feuerofen geworfen. 22Weil aber der Befehl des Königs so streng und der Ofen ungewöhnlich stark geheizt war, tötete die Feuerflamme jene Männer, die Schadrach, Meschach und Abednego hinaufgebracht hatten. 23Die drei Männer aber, Schadrach, Meschach und Abednego, fielen gebunden in den glühenden Feuerofen.

Gebet des Azarlas

24Mitten in der Feuerflamme wandelten sie einher, lobten Gott und priesen den Herrn. 25Azarias stellte sich hin und betete; er öffnete seinen Mund und sprach inmitten des Feuers: 26„Gepriesen bist du, o Herr, Gott unserer Väter, gelobt und verherrlicht ist dein Name in Ewigkeit! 27Denn gerecht bist du in all deinem Tun gegen uns, all deine Werke sind richtig und deine Wege gerade. Deine Urteile sind insgesamt zuverlässig. 28Unerschütterliche Gerichte hast du vollstreckt in allem, was du über uns verhängt und über Jerusalem, die heilige Stadt unserer Väter. Denn in Wahrheit und Recht hast du all dies verhängt wegen unserer Sünden. 29Denn wir haben gesündigt und gefrevelt durch Abfall von dir; wir haben in allem gefehlt und deinen Geboten nicht gehorcht. 30Wir haben mißachtet und nicht erfüllt, was du uns zu unserem eigenen Wohlergehen befohlen hast. 31Alles also, was du verhängt über uns und was du uns angetan, tatest du mit wahrhaftigem Recht. 32Du gabst uns den Händen unserer Feinde preis, gesetzloser, haßerfüllter Verräter, sowie einem ruchlosen König, dem schlechtesten auf der ganzen Welt. 33Und jetzt dürfen wir nicht mehr den Mund auftun, deinen Dienern und Verehrern wird Schande und Schmach zuteil. 34Verstoße uns um deines Namens willen nicht für immer, hebe doch deinen Bund nicht auf! 35Wende dein Mitleid von uns nicht ab um Abrahams, deines Freundes Isaaks, deines Knechtes, und Israels, deines Heiligen, willen! 36Ihnen gabst du ja die Verheißung, ihre Nachkommen wie die Sterne des Himmels zahlreich zu machen und wie den Sand am Ufer des Meeres. 37Geringer als alle Völker sind wir geworden, o Herr; gedemütigt sind wir heute auf der ganzen Welt um unserer Sünden willen. 38Es ist in gegenwärtiger Zeit kein Fürst vorhanden, kein Prophet oder Lenker, kein Brand- und Schlachtopfer mehr, kein Speiseopfer und Räucherwerk, kein Ort, um Erstlingsgaben zu spenden vor dir und so Erbarmen zu finden. 39Doch mit zerknirschtem Herzen und demütigem Geiste laß uns Aufnahme finden, als kämen wir mit Brandopfern von Widdern und Stieren und unzähligen fetten Lämmern! 40So komme unser Opfer heute vor dich und möge dich versöhnen! Denn keiner, der auf dich vertraut, wird je beschämt. 41Von ganzem Herzen folgen wir nunmehr dir und fürchten dich; wir suchen dein Antlitz, enttäusche uns nicht! 42Nein, nach deiner Milde verfahre mit uns und nach der Fülle deines Erbarmens! 43Rette uns nach deiner Wunderkraft und mache deinem Namen Ehre, o Herr! 44Alle sollen in Schmach geraten, die deinen Dienern Böses erweisen; sie sollen beschämt all ihre Macht verlieren, und ihre Stärke werde zermalmt! 45Sie sollen erkennen, daß du, der Herr, allein Gott bist, ruhmreich auf der ganzen Erde!“

Errettung

46Die Diener des Königs, welche jene hineingeworfen hatten, schürten unablässig den Ofen mit Erdharz, Werg, Pech und Reisig. 47Das Flammenmeer schlug etwa neunundvierzig Ellen hoch über den Ofen hinaus. 48Es griff um sich und verbrannte, wen es im Umkreis des Ofens von den Kaldäern erfassen konnte. 49Der Engel des Herrn war zugleich mit den Gefährten des Azarias in den Ofen hinabgestiegen und trieb die Feuerflammen aus dem Ofen hinaus. 50Das Innere des Ofens machte er kühl, als ob ein Tauwind hindurchwehte. Das Feuer erfaßte sie nicht im geringsten und fügte ihnen keinerlei Schmerz oder Beschwerde zu. 51Da hoben die drei im Ofen wie aus einem Munde an, Gott zu loben, zu verherrlichen, zu preisen und zu erhöhen, indem sie sprachen: 52„Gepriesen bist du, o Herr, Gott unserer Väter, und in Ewigkeit gelobt und hochgerühmt; gepriesen ist dein heiliger, herrlicher Name, gelobt und hochgerühmt in alle Ewigkeit. 53Gepriesen bist du im Tempel deiner heiligen Herrlichkeit, hochgelobt und hochverehrt in Ewigkeit. 54Gepriesen bist du auf deinem Königsthron, hochgelobt und hochgerühmt in Ewigkeit. 55Gepriesen bist du, der über Abgründe schaut, der über Kerubim thront, gelobt und verherrlicht in Ewigkeit. 56Gepriesen bist du auf dem Himmelsgewölbe, gelobt und verherrlicht in Ewigkeit.

Loblied der Schöpfung

57Preiset den Herrn, alle Werke des Herrn, lobt und erhöht ihn in Ewigkeit! 58Preiset den Herrn, ihr Engel des Herrn, lobt und erhöht ihn in Ewigkeit. 59Preiset, ihr Himmel, den Herrn, lobt und erhöht ihn in Ewigkeit! 60Preiset, alle Wasser über dem Himmel, den Herrn, lobt und erhöht ihn in Ewigkeit! 61Preiset den Herrn, alle Naturkräfte des Herrn, lobt und erhöht ihn in Ewigkeit! 62Preiset, Sonne und Mond, den Herrn, lobt und erhöht ihn in Ewigkeit! 63Preiset, Gestirne des Himmels, den Herrn, lobt und erhöht ihn in Ewigkeit! 64Preiset, aller Regen und Tau, den Herrn, lobt und erhöht ihn in Ewigkeit! 65Preiset, alle Winde, den Herrn, lobt und erhöht ihn in Ewigkeit! 66Preiset, Feuer und Hitze, den Herrn, lobt und erhöht ihn in Ewigkeit! 67Preiset, Kälte und Frost, den Herrn, lobt und erhöht ihn in Ewigkeit! 68Preiset, Tau- und Schneefälle, den Herrn, lobt und erhöht ihn in Ewigkeit! 69Preiset, Eis und Kälte, den Herrn, lobt und erhöht ihn in Ewigkeit! 70Preiset, Reif und Schnee, den Herrn, lobt und erhöht ihn in Ewigkeit! 71Preiset, Nächte und Tage, den Herrn, lobt und erhöht ihn in Ewigkeit! 72Preiset, Licht und Dunkel, den Herrn, lobt und erhöht ihn in Ewigkeit! 73Preiset, Blitze und Wolken, den Herrn, lobt und erhöht ihn in Ewigkeit! 74Die Erde preise den Herrn, lobe und erhöhe ihn in Ewigkeit! 75Preiset, ihr Berge und Hügel, den Herrn, lobt und erhöht ihn in Ewigkeit! 76Preiset, alle Gewächse auf Erden, den Herrn, lobt und erhöht ihn in Ewigkeit! 77Preiset, ihr Quellen, den Herrn, lobt und erhöht ihn in Ewigkeit! 78Preiset, Meere und Flüsse, den Herrn, lobt und erhöht ihn in Ewigkeit! 79Preiset, Seetiere und alles, was im Wasser wimmelt, den Herrn, lobt und erhöht ihn in Ewigkeit! 80Preiset, alle Vögel des Himmels, den Herrn, lobt und erhöht ihn in Ewigkeit! 81Preiset, ihr zahmen und wilden Tiere des Landes, den Herrn, lobt und erhöht ihn in Ewigkeit! 82Preiset, ihr Menschensöhne, den Herrn, lobt und erhöht ihn in Ewigkeit! 83Preiset, ihr Israeliten, den Herrn, lobt und erhöht ihn in Ewigkeit! 84Preiset, ihr Priester [des Herrn], den Herrn, lobt und erhöht ihn in Ewigkeit! 85Preiset, ihr Diener [des Herrn], den Herrn, lobt und erhöht ihn in Ewigkeit! 86Preiset, ihr Geister und Seelen der Gerechten, den Herrn, lobt und erhöht ihn in Ewigkeit! 87Preiset, ihr Frommen und demütig Gesinnten, den Herrn, lobt und erhöht ihn in Ewigkeit! 88Preiset, Ananias, Azarias, Misael, den Herrn, lobt und erhöht ihn in Ewigkeit! Denn er hat uns der Unterwelt entrissen und aus des Todes Gewalt uns befreit; er hat uns vom glühenden Ofen errettet und aus der Mitte des Feuers erlöst. 89Danket dem Herrn, denn er ist gut, denn ewig währt seine Huld! 90Preiset, ihr Gottesfürchtigen alle, den Gott der Götter! Lobsinget und danket; denn ewig währt seine Huld!“[1] 91(24)Da erschrak der König Nebukadnezar und sprang eilends auf. Er fragte seine Beamten: „Waren es nicht drei Männer, die wir gefesselt ins Feuer hineinwarfen?“ Sie gaben dem König zur Antwort: „Sicher, o König!“ 92(25)Dieser erwiderte und sprach: „Da sehe ich aber vier Männer im Feuer ohne Fesseln umhergehen, ohne daß sie einen Schaden genommen haben, und der vierte sieht aus wie ein himmlisches Wesen.“ 93(26)Dann trat Nebukadnezar vor die Tür des glühenden Feuerofens und rief aus: „Schadrach, Meschach, Abednego, Diener des höchsten Gottes, geht heraus und kommt her!“ Da traten Schadrach, Meschach und Abednego aus dem Feuerofen heraus. 94(27)Es versammelten sich die Satrapen, Statthalter, Präfekten und Beamten des Königs, um jene Männer zu sehen, über deren Leib das Feuer keine Gewalt hatte. Kein Haar ihres Hauptes war versengt, und ihre Mäntel waren unversehrt, nicht einmal Brandgeruch haftete ihnen an. 95(28)Nebukadnezar hob an und rief: „Gepriesen sei der Gott des Schadrach, Meschach und Abednego, der seinen Engel sandte und seine Diener befreite, die auf ihn vertrauten, das Gebot des Königs übertraten und ihren Leib hingaben, nur um keinem anderen Gott Verehrung und Anbetung zollen zu müssen als nur ihrem Gott. 96(29)Von mir ergeht jetzt der Befehl: Wer von irgendeinem Volke, einem Stamm oder einer Sprache über den Gott des Schadrach, Meschach und Abednego eine Lästerung ausspricht, der soll zerstückelt und dessen Haus soll in einen Schutthaufen verwandelt werden. Denn es gibt keinen anderen Gott, der so retten könnte wie dieser.“ 97(30)Dann ließ der König den Schadrach, Meschach und Abednego in der Provinz Babel wieder erfolgreich wirken.

  1. 3,24ff.: Die Verse 3,24–90 fehlen im aramäischen Text und sind ein späterer Einschub. Aber auch der aramäische Text selbst weist hier eine Lücke auf. – Unser 3,91 ist nach der dortigen Zählung 3,24.

Königlicher Erlaß[1]

98(31)Der König Nebukadnezar an alle Völker, Stämme und Sprachen auf der ganzen Erde: „Heil sei euch in Fülle! 99(32)Es erscheint mir richtig, die Zeichen und Wunder, die der höchste Gott an mir getan hat, kundzutun. 100(33)Seine Zeichen, wie sind sie groß! Seine Wunder, wie sind sie gewaltig! Sein Reich ist ein ewiges Reich, seine Herrschaft besteht von Geschlecht zu Geschlecht.“

  1. 3,98ff.: Mit dem feierlichen Erlaß wird bereits die folgende Erzählung eingeleitet. Bis 4,15 und dann wieder in 4,31–34 berichtet der König in der ersten Person.

Kapitel 4

Ein Traum

1Ich, Nebukadnezar, lebte sorglos in meinem Hause und glücklich in meinem Palaste. 2Ich hatte einen Traum, der mich erschreckte; Vorstellungen auf meinem Lager und die Bilder, die mir durch den Kopf gingen, bestürzten mich. 3Daher erging von mir der Befehl, alle Weisen von Babel vor mir erscheinen zu lassen. Sie sollten mir des Traumes Deutung kundtun. 4Da kamen die Wahrsager, Zauberer, Kaldäer und Sterndeuter herbei; ich erzählte ihnen den Traum, doch seine Deutung konnten sie mir nicht mitteilen. 5Zuletzt erschien Daniel vor mir, der nach dem Namen meines Gottes Beltschazzar genannt wird und auf dem der Geist heiliger Götter ruht. Auch ihm erzählte ich den Traum: 6„Beltschazzar, Oberster der Wahrsager, ich weiß, daß der Geist heiliger Götter auf dir ruht und daß kein Geheimnis dir Mühe macht. Höre meine Traumgesichte, die ich schaute, und sage mir die Deutung! 7Dies sind die Bilder, die mir auf meinem Lager durch den Kopf gingen: Ich schaute und sah mitten auf der Erde einen Baum von gewaltiger Höhe. 8Der Baum wuchs und ward stark, seine Höhe erreichte den Himmel. Bis an das Ende der ganzen Erde war er zu sehen. 9Sein Laub war schön und reich seine Frucht, Nahrung bot er für alle. Unter ihm fanden Schatten die Tiere des Feldes, in seinen Zweigen wohnten die Vögel des Himmels. Alles nährte sich von ihm. 10Ich schaute in den Gesichten, die mir auf meinem Lager durch den Kopf gingen: Siehe da, ein heiliger Wächter stieg vom Himmel herab. 11Er rief mit mächtiger Stimme und gebot: „Fällt den Baum, seine Zweige schlagt weg, streift sein Laub ab, zerstreut seine Früchte! Die Tiere unter ihm sollen fliehen, die Vögel aus seinen Zweigen! 12Jedoch seinen Wurzelstock laßt im Boden zurück, und zwar in einer Fessel von Eisen und Erz im Grün des Feldes! Vom Tau des Himmels sei er benetzt, mit den Tieren habe er seinen Anteil am Gras auf dem Boden! 13Sein Herz sei nicht mehr ein menschliches Herz; zuteil werde ihm ein tierisches Herz! Sieben Zeiten sollen über ihn dahingehen! 14Auf der Wächter Entscheid beruht dieser Beschluß und auf dem Befehl der Heiligen diese Aufforderung, damit die Lebenden erkennen: Der Höchste hat Gewalt über menschliches Königtum. Wem er will, verleiht er es; den Niedrigsten der Menschen kann er dazu erheben.“ 15Dies ist der Traum, den ich, König Nebukadnezar, geschaut habe; du aber, Beltschazzar, sage mir die Deutung! Denn keiner von allen Weisen meines Reiches konnte die Deutung mir kundtun. Doch du vermagst es; denn auf dir ruht der Geist heiliger Götter.“

Deutung des Traumes

16Da war Daniel, Beltschazzar genannt, einen Augenblick lang vor Schreck erstarrt. Seine Gedanken ängstigten ihn. Doch der König wandte sich an ihn und sprach: „Beltschazzar, laß dich durch den Traum und seine Deutung nicht aus der Fassung bringen!“ Beltschazzar entgegnete: „Mein Herr, der Traum gelte deinen Feinden und seine Deutung deinen Widersachern! 17Der Baum aber, den du sahst, der heranwuchs und erstarkte – seine Höhe reichte bis zum Himmel, und sichtbar war er auf der ganzen Erde, 18sein Laub war schön und seine Frucht reich, Nahrung bot er für alle, unter ihm wohnten die Tiere des Feldes, in seinen Zweigen hatten die Vögel des Himmels ihr Nest –, 19dieser Baum bist du, o König, der du heranwuchsest und erstarktest; deine Größe nahm zu und reichte bis zum Himmel, deine Herrschaft dehnte sich aus bis an das Ende der Erde. 20Dann sah der König einen heiligen Wächter vom Himmel herabsteigen, der befahl: „Fällt den Baum und zerstört ihn; doch laßt seinen Wurzelstock im Boden zurück, und zwar in einer Fessel von Eisen und Erz im Grün des Feldes! Vom Tau des Himmels werde er benetzt, und mit den Tieren des Feldes sei sein Anteil, bis daß sieben Zeiten über ihn dahingehen.“ 21Dafür ist folgendes die Deutung, o König, und dies der Entscheid des Höchsten, der meinen Herrn und König erreicht. 22Man wird dich aus der menschlichen Gesellschaft vertreiben, bei den Tieren des Feldes wird dein Aufenthalt sein, wie Rindern wird man dir Gras zu essen geben, vom Tau des Himmels läßt man dich benetzen, und sieben Zeiten gehen über dich dahin, bis du erkennst, daß der Höchste Gewalt hat über menschliches Königtum und daß er es verleiht, wem er will. 23Daß man befahl, vom Baume den Wurzelstock stehen zu lassen, bedeutet: Dein Königtum bleibt dir erhalten, sobald du anerkennst, daß der Himmel die Macht hat. 24Darum, o König, laß dir meinen Rat gefallen: Tilge deine Sünden durch Mildtätigkeit und deine Vergehen durch Barmherzigkeit gegen Elende! Dann wird vielleicht dein Wohlergehen von Dauer sein!“

Hochmut kommt vor dem Fall

25All dies erfüllte sich am König Nebukadnezar. 26Nach Verlauf von zwölf Monaten wandelte er auf dem Königspalast in Babel hin und her. 27Der König hob an und sprach: „Ist dies nicht das großartige Babel, das ich mir als königliche Residenz erbaut habe in der Stärke meiner Macht und zum Ruhm meiner Pracht?“ 28Noch war dem König das Wort nicht entflohen, da ertönte eine Stimme vom Himmel: „Dir, König Nebukadnezar, sei gesagt: Das Königtum ist von dir gewichen. 29Aus der menschlichen Gesellschaft wird man dich verstoßen, bei den Tieren des Feldes wird dein Aufenthalt sein, Gras gibt man dir zu essen wie Rindern; sieben Zeiten gehen über dich dahin, bis du erkennst, daß der Höchste Gewalt hat über menschliches Königtum und daß er es verleiht, wem er will.“ 30Noch in der gleichen Stunde erfüllte sich der Spruch an Nebukadnezar: Aus der menschlichen Gesellschaft ward er ausgestoßen, er nährte sich von Gras gleich den Rindern, sein Körper wurde vom Tau des Himmels benetzt, bis seine Haare wuchsen wie Adlerfedern und seine Nägel wie Vogelkrallen.

Ende des Tierdaseins

31Am Ende jener Frist erhob ich, Nebukadnezar, meine Augen zum Himmel, und mein Verstand kam mir wieder. Ich pries den Höchsten, und den ewig Lebenden lobte und verherrlichte ich: Ja, seine Herrschaft ist eine ewige Herrschaft, von Geschlecht zu Geschlecht währt sein Königtum. 32Alle Erdbewohner gelten wie nichts. Mit dem Himmelsheere verfährt er, wie er will [und mit den Bewohnern der Erde]. Keinen gibt es, der ihm auf die Hand schlagen und zu ihm sagen dürfte: „Was tust du da?“ 33Zu jener Zeit kam mir mein Verstand wieder. Zur Ehre meines Königtums gewann ich meine Pracht und meinen Glanz zurück. Meine höchsten Beamten und Großfürsten suchten mich auf, ich wurde wieder in meine Königswürde eingesetzt und meine Macht ward bedeutend vermehrt. 34Nunmehr lobe ich, Nebukadnezar, rühme hoch und verherrliche den Himmelskönig; denn all sein Tun ist zuverlässig. Seine Wege sind recht; die in Hochmut wandeln, vermag er zu stürzen.

Kapitel 5

Eine geheimnisvolle Schrift

1Der König Belschazzar veranstaltete ein großes Gastmahl für seine tausend Großfürsten, und mit den Tausend trank er Wein. 2In der Weinlaune ließ er die goldenen und silbernen Gefäße herbeiholen, die sein Vater Nebukadnezar aus dem Tempel zu Jerusalem geraubt hatte, damit der König, seine Großfürsten, seine Frauen und Nebenfrauen daraus trinken könnten. 3Da holte man die goldenen und silbernen Gefäße, die man aus dem Tempel in Jerusalem geraubt hatte, und der König, seine Großfürsten, seine Frauen und Nebenfrauen tranken daraus. 4Sie tranken Wein und priesen die Götter aus Gold, Silber, Erz, Eisen, Holz und Stein. 5Zur gleichen Stunde erschienen die Finger einer Menschenhand und schrieben auf der Kalktünche an der Wand des königlichen Palastes gegenüber dem Leuchter. Der König bemerkte die schreibende Hand. 6Da veränderte sich die Gesichtsfarbe des Königs, seine Gedanken erschreckten ihn, seine Hüftgelenke lockerten sich, und seine Knie schlugen zitternd aneinander. 7Der König rief laut nach den Wahrsagern, Kaldäern und Sterndeutern. Er hob an und sprach zu den Weisen von Babel: „Wer immer diese Schrift lesen und mir deuten kann, der soll in Purpur gekleidet werden, um seinen Hals eine goldene Kette tragen und als Rangdritter im Reiche herrschen.“ 8Da traten alle königlichen Weisen an. Sie vermochten aber nicht, die Schrift zu lesen und ihre Deutung dem König kundzutun. 9Da erschrak der König Belschazzar sehr, seine Gesichtsfarbe veränderte sich an ihm, und auch seine Großfürsten gerieten in Verwirrung. 10Infolge der Schreckensrufe des Königs und seiner Großfürsten kam die Königin in den Festsaal. Sie hob an und sprach: „O König, lebe ewig! Deine Gedanken sollen dich nicht in Schrecken setzen, und deine Gesichtsfarbe braucht sich nicht zu verändern! 11Es gibt in deinem Reiche einen Mann, in dem der Geist heiliger Götter ist. In den Tagen deines Vaters zeigten sich an ihm Erleuchtung, Einsicht und Weisheit, der Götterweisheit gleich. König Nebukadnezar, dein Vater, hat ihn zum Obersten der Wahrsager, Zauberer, Kaldäer und Sterndeuter bestellt. 12Denn einen außergewöhnlichen Geist, Kenntnis und Einsicht, um Träume zu deuten, Rätsel zu erraten und Verwickeltes zu lösen, konnte man bei Daniel finden, den der König „Beltschazzar“ nannte. Man rufe also den Daniel herbei; er wird die Deutung kundtun!“ 13Darauf wurde Daniel vor den König geführt. Der König hob an und sprach zu Daniel: „Du also bist jener Daniel, der zu den Weggeführten aus Juda gehört, die mein Vater, der König, aus Juda hierhergebracht hat. 14Ich habe von dir gehört, daß göttlicher Geist in dir wohne, und daß Erleuchtung, Einsicht und außergewöhnliche Weisheit bei dir zu finden seien. 15Nun wurden die Weisen, die Wahrsager, mir vorgeführt, um diese Schrift da zu lesen und ihre Deutung mir kundzutun. Doch waren sie nicht imstande, die Deutung der Sache anzugeben. 16Doch von dir habe ich gehört, daß du Deutungen geben und Verwickeltes lösen kannst. Wenn du nun die Schrift lesen und ihre Deutung mir kundtun kannst, so wirst du in Purpur gekleidet, erhältst eine goldene Kette um den Hals und wirst als Rangdritter im Reiche herrschen.“

Deutung und Erfüllung

17Da antwortete Daniel und sprach vor dem König: „Deine Gaben mögen dir verbleiben, und deine Geschenke gib einem anderen! Indes will ich die Schrift dem König vorlesen und die Deutung ihm mitteilen. 18O König, der höchste Gott hat Königtum, Größe, Ehre und Pracht deinem Vater Nebukadnezar verliehen. 19Ob der Größe, die er ihm gab, zitterten und bebten vor ihm alle Völker, Nationen und Sprachen. Denn wen er wollte, konnte er töten; wen er wollte, konnte er am Leben lassen; wen er wollte, konnte er erhöhen; wen er wollte, konnte er erniedrigen. 20Da sich aber sein Herz überhob und sein Geist bis zur Vermessenheit sich verstockte, wurde er vom Thron seines Reiches gestürzt, und seine Würde ward ihm genommen. 21Aus der menschlichen Gesellschaft wurde er ausgestoßen, sein Sinn wurde dem eines Tieres ähnlich, bei den Wildeseln hauste er; wie den Rindern gab man ihm Gras zur Nahrung, und vom Tau des Himmels wurde sein Leib benetzt, bis er einsah, daß der höchste Gott Gewalt hat über menschliches Königtum, und daß er dazu bestimmen kann, wen er will. 22Auch du, sein Sohn Belschazzar, hast dein Herz nicht gedemütigt, obwohl du all das wissen mußtest. 23Vielmehr hast du dich gegen den Herrn des Himmels erhoben. Die Gefäße seines Tempels mußte man dir bringen, und du trinkst daraus Wein mit deinen Großfürsten, Frauen und Nebenfrauen. Die Götter aus Silber und Gold, Erz und Eisen, Holz und Stein, die weder sehen noch hören können und keinen Verstand besitzen, hast du gepriesen. Jedoch den Gott, in dessen Gewalt dein Lebensodem ist und der über alle deine Wege verfügt, hast du nicht verherrlicht. 24Da wurde von ihm diese Hand gesandt und die Schrift dort niedergeschrieben. 25So lautet die Schrift, die da geschrieben ward: „Mene mene tekel upharsin.“[1] 26Und das ist die Deutung des Inhalts: Mene: gezählt hat Gott dein Königtum und es wegegeben. 27Tekel: gewogen bist du auf der Waage und zu leicht befunden. 28Peres: geteilt wird dein Reich und den Medern und Persern gegeben.“ 29Da gab Belschazzar Anweisung, und man kleidete Daniel in Purpur und legte die goldene Kette um seinen Hals. Man verkündete von ihm, daß er als Rangdritter im Reiche herrschen solle. 30In derselben Nacht wurde der kaldäische König Belschazzar ermordet.

  1. 5,25–28: Das Rätselhafte an den Wörtern „mene“, „tekel“, „peres“ (Einzahl zur Mehrzahl „p[h]arsin“) liegt vor allem in deren Doppelsinn. Als Hauptwörter bedeuten sie Geldsorten: Mine, Sekel und Halbmine. Daniel sieht darin Zeitwörter und kommt so zu seiner Deutung. „Peres“ ist zudem fast gleichlautend mit „Perser“, also wohl auch eine Anspielung auf dieses Volk, das dem babylonischen Weltreich ein Ende machte.

Kapitel 6

Daniel in der Löwengrube

1Der Meder Darius übernahm das Reich im Alter von zweiundsechzig Jahren. 2Darius fand es richtig, über das Reich hundertzwanzig Satrapen zu setzen, die überall im Reiche verteilt sein sollten. 3Über sie setzte er drei höchste Beamte, deren einer Daniel war; jene Satrapen sollten ihnen Rechenschaft geben, damit der König nicht zu Schaden käme. 4Nun war dieser Daniel den höchsten Beamten und Satrapen überlegen, weil ein außergewöhnlicher Geist in ihm war, so daß der König beabsichtigte, ihn über das ganze Reich zu setzen. 5Da suchten die höchsten Beamten und Satrapen einen Anklagegrund gegen Daniel in Sachen der Staatsgeschäfte zu finden. Sie konnten aber keinerlei Anklagegrund oder Schuld ausfindig machen, weil er zuverlässig war und irgendeine Nachlässigkeit oder Schuld bei ihm sich nicht entdecken ließ. 6So sprachen jene Männer: „Wir werden gegen diesen Daniel keinerlei Anklagegrund finden, es sei denn, wir finden etwas gegen ihn, das im Gesetz seines Gottes begründet ist.“ 7Darauf eilten jene höchsten Beamten und Satrapen zum König. Sie sprachen zu ihm: „König Darius, lebe ewig! 8Alle höchsten Beamten des Königreiches, Statthalter, Satrapen, Beamten und Präfekten erteilen gemeinsam den Ratschlag, der König möge eine Verordnung erlassen und folgendem Verbot Rechtskraft verleihen: Jeder, der innerhalb der nächsten dreißig Tage von irgendeinem Gott oder Menschen etwas erbittet außer von dir, o König, der soll in die Löwengrube geworfen werden. 9Demgemäß, o König, laß das Gebot ergehen und fertige die Urkunde aus! Sie soll nach dem unwandelbaren Gesetz der Meder und Perser unabänderlich sein!“ 10Der König Darius ließ also die Urkunde mit dem Verbot ausfertigen. 11Daniel erfuhr von der Ausfertigung der Urkunde und begab sich in sein Haus. In seinem Obergemach hatte er offene Fenster in der Richtung nach Jerusalem. Dreimal täglich warf er sich auf seine Knie nieder zum Gebet und pries seinen Gott, ganz wie er es bisher zu tun gewohnt war. 12Da eilten jene Männer herbei und fanden Daniel, wie er vor seinem Gott betete und flehte. 13Sogleich begaben sie sich zum König und sprachen bezüglich des Verbotes: „O König, hast du nicht ein Verbot unterzeichnet, wonach jeder, der im Verlauf der nächsten dreißig Tage von irgendeinem Gott oder Menschen etwas erbittet außer von dir, o König, in die Löwengrube geworfen werden soll?“ Der König erwiderte und sprach: „Fest besteht die Verordnung nach dem unwandelbaren Gesetz der Meder und Perser.“ 14Da antworteten sie und meldeten dem König: „Daniel, einer der Weggeführten aus Juda, schenkt weder dir, o König, Beachtung noch dem Verbot, das du ausgefertigt hast. Dreimal täglich verrichtet er sein Gebet.“ 15Als nun der König davon vernahm, geriet er in große Verlegenheit. Er war darauf bedacht, Daniel zu retten. Bis Sonnenuntergang machte er Anstrengungen, ihn freizubekommen. 16Da eilten jene Männer wieder zum König und sprachen zu ihm: „Wisse, o König, es ist Gesetz bei den Medern und Persern, daß jedes Verbot oder Gebot, das der König erlassen hat, unwiderruflich ist!“ 17So erteilte denn der König Befehl. Man schaffte Daniel herbei und warf ihn in die Löwengrube. Der König sagte noch zu Daniel: „Dein Gott, den du so unablässig verehrst, er möge dich erretten!“ 18Ein Stein wurde herbeigebracht und auf die Öffnung der Grube gelegt. Der König versiegelte ihn mit seinem Siegelring und den Siegelringen seiner Großfürsten, damit im Verfahren gegen Daniel keine Änderung versucht würde.

Dem Rachen der Löwen entronnen

19Dann begab sich der König in seinen Palast und verbrachte unter Fasten die Nacht. Speisen ließ er sich nicht hereinbringen, und der Schlaf floh ihn. 20Frühmorgens, als es hell wurde, stand der König auf und begab sich eiligst zur Löwengrube. 21Während er zur Grube herankam, rief er nach Daniel mit schmerzerfüllter Stimme. Der König hob an und sprach zu Daniel: „Daniel, Diener des lebendigen Gottes! Konnte dein Gott, dem du so unablässig dienst, dich vor den Löwen erretten?“ 22Darauf redete Daniel den König an: „O König, lebe ewig! 23Mein Gott sandte seinen Engel und verschloß den Rachen der Löwen. Sie haben mich nicht verletzt, weil ich vor ihm als schuldlos erfunden ward. Auch dir gegenüber, o König, tat ich nichts Unrechtes.“ 24Darob war der König hocherfreut. Er befahl, Daniel aus der Grube heraufzuziehen. So wurde Daniel aus der Grube heraufgezogen, und es fand sich an ihm keine Verletzung, weil er auf seinen Gott vertraut hatte. 25Auf Befehl des Königs holte man jene Männer, die Daniel verleumdet hatten. Man warf sie in die Löwengrube samt ihren Kindern und Frauen. Kaum hatten sie den Boden der Grube berührt, da fielen die Löwen über sie her und zermalmten alle ihre Knochen.

Anerkennung des wahren Gottes

26Daraufhin richtete der König Darius an alle Völker, Stämme und Sprachen auf der gesamten Erde einen schriftlichen Erlaß: „Heil sei euch in Fülle! 27Von mir ergeht folgender Befehl: Im ganzen Gebiet meines Reiches soll man vor dem Gott Daniels erzittern und sich fürchten! Denn er ist der lebendige Gott, der auf ewig besteht. Sein Reich geht nicht unter, und seine Herrschaft dauert bis ans Ende. 28Er befreit und errettet, wirkt Zeichen und Wunder am Himmel und auf Erden. Daniel hat er befreit aus der Löwen Gewalt!“ 29Dieser Daniel lebte glücklich unter der Regierung des Darius und unter der Regierung des Persers Cyrus.

Kapitel 7

Gesicht von vier Tieren

1Im ersten Jahr des Königs Belschazzar von Babel schaute Daniel einen Traum, und Gesichte, die ihm auf seinem Lager durch den Kopf gingen, verwirrten ihn. Dann schrieb er den Traum nieder. Anfang des Berichtes: 2Daniel hob an und sprach: Ich sah in meiner Schau während der Nacht, wie die Winde aus den vier Himmelsrichtungen das große Meer aufwühlten. 3Vier große Tiere entstiegen dem Meer, eines vom anderen verschieden. 4Das erste war einem Löwen gleich und hatte Adlerflügel. Ich schaute ihm so lange zu, bis ihm die Flügel ausgerissen wurden. Es ward vom Boden emporgehoben und auf zwei Füße gestellt wie ein Mensch, und ein menschliches Herz wurde ihm gegeben. 5Plötzlich erschien ein anderes, zweites Tier, das einem Bären glich. Nach einer Seite hin war es aufgerichtet; drei Rippen hatte es in seinem Maul zwischen den Zähnen. Man rief ihm zu: „Auf, friß viel Fleisch!“ 6Sodann schaute ich, und siehe, ein anderes Tier erschien, das einem Panther glich. Es hatte vier Vogelflügel auf seinem Rücken; außerdem hatte das Tier vier Köpfe, und Macht ward ihm gegeben. 7Danach erblickte ich in den Nachtgesichten ein viertes Tier, furchtbar und schrecklich und außerordentlich stark. Es hatte mächtige Zähne aus Eisen und Klauen aus Erz. Es fraß und zermalmte, und den Rest zertrat es mit seinen Füßen. Es war verschieden von allen Tieren vor ihm und hatte zehn Hörner. 8Ich betrachtete die Hörner; siehe, da wuchs ein anderes, kleines Horn zwischen ihnen hervor, und drei von den früheren Hörnern wurden vor ihm ausgerissen. Es zeigten sich Augen wie Menschenaugen an jenem Horn und ein Maul, das prahlerische Reden führte. 9Ich schaute so lange zu, bis Throne aufgestellt wurden und ein Hochbetagter Platz nahm. Sein Gewand war weiß wie Schnee, sein Haupthaar rein wie Wolle. Feuerflammen waren sein Thron, dessen Räder flackerndes Feuer. 10Ein Feuerstrom ergoß sich und ging von ihm aus. Tausendmal Tausende dienten ihm, zehntausendmal Zehntausende standen vor ihm. Das Gericht nahm Platz, und Bücher wurden geöffnet. 11Ich blickte hin wegen des Lärms der prahlerischen Worte, die das Horn redete. Ich schaute zu, bis das Tier getötet, sein Leib vernichtet und dem Feuerbrand übergeben wurde. 12Auch den übrigen Tieren nahm man ihre Herrschermacht, und ihre Lebensdauer wurde ihnen auf Zeit und Frist abgegrenzt.

„Menschensohn“

13Ich schaute in den Nachtgesichten, und siehe, mit den Wolken des Himmels kam einer, der aussah wie ein Menschensohn. Er gelangte bis zu dem Hochbetagten und wurde vor ihn geführt. 14Ihm verlieh man Herrschaft, Würde und Königtum; alle Völker, Stämme und Sprachen dienten ihm. Seine Herrschaft ist eine ewige, unvergängliche Herrschaft, sein Königtum wird nie zerstört.

Deutung der Tiergesichte

15Ich, Daniel, wurde hiervon im Geiste bekümmert, und die Gesichte, die mir durch den Kopf gingen, verwirrten mich. 16Ich näherte mich einem der Umstehenden und erbat mir von ihm über all diese Dinge zuverlässige Auskunft. Er gab mir Antwort und teilte mir die Deutung der Vorgänge mit: 17„Jene riesenhaften Tiere, vier an der Zahl, bedeuten: Vier Könige werden erstehen auf Erden. 18Aber die Heiligen des Höchsten werden das Reich erlangen und es behalten bis in Ewigkeit, ja bis in alle Ewigkeit!“ 19Darauf wollte ich noch Genaues wissen über das vierte Tier, das sich von allen anderen unterschied – überaus furchtbar, seine Zähne aus Eisen und seine Klauen aus Erz; es fraß und zermalmte und zertrat den Rest mit seinen Füßen; 20weiterhin auch über die zehn Hörner auf seinem Kopf und über das andere Horn, das heranwuchs, während drei vor ihm abfallen mußten; ferner besaß jenes Horn Augen und ein Maul, das prahlerische Reden führte; an Gestalt war es größer als die übrigen. 21Ich schaute, wie jenes Horn mit den Heiligen Krieg führte und sie überwältigte. 22Doch plötzlich kam der Hochbetagte, und das Gericht nahm Platz zugunsten der Heiligen des Höchsten; die Zeit brach an, da die Heiligen das Königtum in Besitz nahmen. 23Er antwortete folgendermaßen: „Das vierte Tier bedeutet: Auf Erden wird es ein viertes Reich geben, verschieden von allen anderen Reichen; die ganze Erde verschlingt es, zertritt und zermalmt sie! 24Die zehn Hörner bedeuten: Aus jenem Reich erwachsen zehn Könige; nach ihnen ersteht noch ein anderer. Von den früheren unterscheidet er sich und wird drei Könige stürzen. 25Er wird Reden führen wider den Höchsten und die Heiligen des Höchsten aufreiben. Er trachtet danach, Festzeiten und Gesetz zu ändern, und die Heiligen sind in seine Gewalt gegeben bis auf eine Zeit, zwei Zeiten und eine halbe Zeit. 26Dann aber wird das Gericht Platz nehmen und ihm die Herrschaft entreißen, um sie endgültig zu zerstören und zu vernichten. 27Königtum, Herrschaft und Übermacht über alle Reiche unter dem Himmel wird dem Volke der Heiligen des Höchsten verliehen. Sein Königtum ist ein ewiges Königtum, alle Mächte werden ihm dienen und untertan sein.“ – 28Soweit der Abschluß des Berichtes. Mich, Daniel, brachten meine Gedanken in arge Verwirrung, meine Gesichtsfarbe veränderte sich, und ich behielt die Sache fest im Sinn.[1]

  1. 7,1–28: Die so eigenartig aussehenden Raubtiere sind vier Reiche. Gemeint sind das babylonische, medische, persische und seleukidische (griechische) Reich; die zehn Hörner sind die Könige des letzten Reiches von 312 ab; das kleine Horn ist Antiochos IV. Epiphanes (175 bis 164), der drei Thronanwärter beseitigte und in gottesdienstliche Gebräuche gewaltsam eingriff. Diese Drangsal dauert dreiundeinhalb Zeiten, wobei unter der Mehrzahl „Zeiten“ jeweils zwei Zeiten zu verstehen sind (Dan 12,7; Offb 12,14). Dan 8,14, Dan 9,27, Dan 12,11–12 sind wieder andere Zeiten angegeben. Offb 11,2f., Offb 12,6, Offb 13,5 ist dieses Zahlenspiel nachgeahmt. Die verschiedene Art der Zeitangabe in der gleichen Sache ergibt sich daraus, daß der Ausgangspunkt oder der Endpunkt anders angesetzt wird. Es ist sinnlos und töricht, aus diesen Zahlen irgendwie die Zeit des Weltuntergangs zu berechnen, zumal ein ausdrückliches Wort Jesu vorliegt (Apg 1,7). Ist der Gegner vernichtet, dann übernimmt das heilige Volk Reich, Macht und Gewalt. Der Vertreter dieses Volkes ist der Menschensohn in Dan 7,13, eine Bezeichnung, die Jesus übernommen hat. Besonders im Johannesevangelium ist die Beziehung zu Dan 7,13 deutlich.

Kapitel 8

Gesicht vom Widder und Ziegenbock[1]

1Im dritten Jahr der Regierung des Königs Belschazzar wurde mir, Daniel, ein Gesicht zuteil nach jenem, das mir früher erschienen war. 2Ich schaute im Gesicht und befand mich bei meiner Vision in der Burg Susa in der Provinz Elam. Als ich das Gesicht empfing, war ich am Ulaj-Kanal. 3Ich erhob meine Augen und schaute; da sah ich einen Widder am Kanal stehen. Er hatte zwei Hörner, und die beiden Hörner waren sehr hoch. Das eine Horn übertraf das andere an Höhe, das höhere aber wuchs zuletzt empor. 4Ich beobachtete, wie der Widder nach Westen, Norden und Süden vorstieß. Kein Tier konnte ihm Widerstand leisten, und niemand befreite aus seiner Gewalt. Er tat nach seinem Belieben und wurde groß. 5Ich folgte aufmerksam, und siehe, da kam ein Ziegenbock vom Westen her über die ganze Erde, ohne den Boden zu berühren. Der Ziegenbock hatte ein einziges Horn zwischen seinen Augen. 6Er lief zu dem zweihörnigen Widder, den ich am Kanal stehen sah, und stürzte auf ihn zu mit wütender Gewalt. 7Ich schaute, wie er den Widder erreichte; er ergrimmte gegen ihn, stieß den Widder und zerbrach ihm die beiden Hörner; der Widder war nicht stark genug, ihm standzuhalten. Jener warf ihn zu Boden und zertrat ihn. Niemand fand sich, der den Widder aus seiner Gewalt befreite. 8Der Ziegenbock wurde über die Maßen groß. Als er aber auf der Höhe seiner Kraft war, brach das große Horn entzwei, und vier andere wuchsen an seiner Stelle nach den vier Himmelsrichtungen hervor.

Kleines Horn

9Aus einem von ihnen ging ein anderes, kleines Horn hervor; nach Süden, nach Osten und nach dem prachtvollen Heiligen Land wurde es über die Maßen groß. 10Seine Größe erstreckte sich bis zum Heer des Himmels. Von dem Himmelsheere und von den Sternen warf es gar manche zur Erde nieder und zertrat sie. 11Ja, bis zum Fürsten des Himmelsheeres wagte es sich empor und entzog ihm das tägliche Opfer; die Stätte seines prachtvollen Heiligtums wurde gestürzt. 12Und auf das tägliche Opfer wurde der Frevel gelegt. Es warf die Wahrheit zu Boden, und was es tat, gelang ihm. 13Da hörte ich einen Heiligen (Engel) sprechen. Ihn, der da sprach, fragte nun ein anderer Heiliger: „Auf wie lange Zeit erstreckt sich das Gesicht über das tägliche Opfer, über den zugefügten Frevel des Verwüsters und über die Zertretung des prachtvollen Heiligtums?“ 14Er entgegnete ihm: „Bis auf zweitausenddreihundert Abende und Morgen; dann kommt das Heiligtum wieder zu seinem Recht.“

Was bedeuten Widder und Bock?

15Es begab sich aber, als ich, Daniel, die Erscheinung betrachtete und mich anstrengte, sie zu verstehen, da stand vor mir jemand, der aussah wie ein Mann. 16Außerdem hörte ich eine menschliche Stimme, die über dem Ulaj rief und sprach: „Gabriel, erkläre diesem da die Erscheinung!“ 17Nun näherte er sich meinem Standort, und während er herankam, erschrak ich und fiel auf mein Angesicht nieder. Er sprach zu mir: „Begreife, o Mensch, daß dieses Gesicht auf die Endzeit geht!“ 18Als er mich anredete, stürzte ich ohnmächtig auf mein Antlitz zu Boden. Er berührte mich und stellte mich aufrecht auf meinen Platz. 19Er redete weiter: „Siehe, ich teile dir mit, was in der letzten Zeit des Zornes eintreten wird; denn das Gesicht geht auf die Endzeit. 20Der zweihörnige Widder, den du gesehen hast, bedeutet die Könige von Medien und Persien. 21Der zottige Ziegenbock ist der König von Griechenland; das große Horn zwischen seinen Augen stellt den ersten König dar. 22Daß es entzweibrach und vier andere an seine Stelle traten, bedeutet: Vier Königreiche werden aus seinem Volk erstehen, sind aber nicht so stark wie er. 23Am Ende ihrer Herrschaft, wenn die Frevler aufs Ganze gehen, wird sich ein König erheben mit frechem Gesicht und voll Hinterlist. 24Gewaltig ist seine Kraft, und ungeheures Verderben stiftet er an. Mit Erfolg vollführt er es; Mächtige richtet er zugrunde, sogar das Volk der Heiligen. 25Wegen seiner Schlauheit hat er Erfolg mit seinen Täuschungsversuchen. Hochmütig wird er in seinem Sinn und richtet unversehens viele zugrunde. Gegen den Fürsten der Fürsten erhebt er sich, aber ohne menschliches Zutun wird er zerschmettert. 26Auch das Gesicht von den Abenden und Morgen, wie mitgeteilt, ist Wahrheit. Du aber verbirg die Schauung; denn sie gilt fernen Tagen.“ 27Ich, Daniel, war nun tagelang krank. Dann erhob ich mich und erfüllte meine Aufgabe beim König. Über die Schau jedoch war ich völlig verwirrt und konnte sie nicht verstehen.

  1. 8,1–27: Hier kämpfen zwei sinnbildliche Tiere miteinander. Der Widder mit den zwei Hörnern ist Medopersien, der Ziegenbock das von Alexander dem Großen begründete Reich. Nach dem frühen Todes des Welteroberers kamen die Diadochenreiche auf; aus ihnen entstand wiederum Antiochos IV. Epiphanes. Sein Handeln ist begrenzt. Der Engel Gabriel (Dan 8,16) begegnet uns hier zum erstenmal.

Kapitel 9

Bußgebet vor der Schau

1Im ersten Jahre des Darius, des Sohnes des Xerxes, aus medischem Geschlecht, der über das Reich der Kaldäer König geworden war, 2im ersten Jahre seiner Regierung, stieß ich, Daniel, in den Schriften auf die Zahl der Jahre, die sich nach dem Wort des Herrn an den Propheten Jeremias über den Trümmern Jerusalems vollenden sollten, nämlich siebzig Jahre. 3Ich richtete mein Antlitz auf Gott, den Herrn, und suchte zu beten und zu flehen unter Fasten in Sack und Asche. 4Ich betete zum Herrn, meinem Gott, legte ein Bekenntnis ab und sprach: „Ach Herr, du großer und furchterregender Gott, der du den Bund und die Huld denen bewahrst, die dich lieben und deine Gebote halten! 5Wir haben gesündigt und gefehlt, Unrecht getan und uns empört; wir wichen ab von deinen Geboten und Satzungen. 6Wir hörten auch nicht auf deine Diener, die Propheten, die in deinem Auftrag zu unseren Königen, Fürsten, unseren Vätern und zum gesamten Volk des Landes gesprochen haben. 7Auf deiner Seite, o Herr, steht das Recht, uns aber muß Scham das Antlitz bedecken, wie es heute geschieht, und zwar den Männern von Juda, den Bewohnern Jerusalems, allen Israeliten, sie seien nah oder fern, in allen Ländern, wohin du sie verstoßen hast wegen der Treulosigkeit, die sie dir zeigten. 8Herr, Scham muß uns das Antlitz bedecken, unseren Königen, Fürsten und Vätern, die wir wider dich gesündigt haben. 9Beim Herrn, unserm Gott, ist Erbarmen und Vergebung, wiewohl wir uns gegen ihn aufgelehnt haben. 10Wir hörten nicht auf die Stimme des Herrn, unseres Gottes, und wandelten nicht nach den Weisungen, die er uns durch seine Diener, die Propheten, gegeben hat. 11Ganz Israel übertrat dein Gesetz und wandte sich ab, ohne auf deine Stimme zu hören. So ergoß sich über uns der eidlich bekräftigte Fluch, der im Gesetz des Gottesknechtes Moses geschrieben steht, weil wir wider Gott gesündigt haben. 12Seine Drohung, die er gegen uns und unsere Herrscher, die über uns regierten, gerichtet hat, ließ er in Erfüllung gehen: Er werde nämlich schweres Unheil über uns bringen, so daß noch nie unter dem ganzen Himmel solches geschehen ist, wie es in Jerusalem geschah. 13Wie es im Gesetz des Moses geschrieben steht, ist all dies Unheil über uns gekommen. Gleichwohl haben wir den Herrn, unsern Gott, nicht dadurch versöhnt, daß wir uns von unseren Missetaten abgewandt und auf deine Wahrheit besonnen hätten. 14Da war der Herr auf das Unheil bedacht und brachte es über uns. Denn der Herr, unser Gott, ist gerecht in all seinen Werken, die er vollbringt; wir aber hörten nicht auf seine Stimme. 15Doch nunmehr, Herr, unser Gott, der du dein Volk mit starker Hand aus dem Lande Ägypten hinausgeführt und dir dadurch bis auf den heutigen Tag Ruhm erworben hast: Wir haben gesündigt, haben unrecht gehandelt. 16Herr, nach all deinen Hulderweisen möge doch dein Zorn und Grimm von deiner Stadt Jerusalem, deinem heiligen Berge, ablassen! Denn durch unsere Sünden und die Frevel unserer Väter wurden Jerusalem und dein Volk zum Hohn für unsere ganze Umgebung. 17Nun aber höre, du unser Gott, auf das Gebet deines Dieners und auf sein Flehen und laß dein Antlitz leuchten über dein verwüstetes Heiligtum um deiner selbst willen, o Herr! 18Neige, mein Gott, dein Ohr und höre, öffne deine Augen und blicke auf die Verwüstungen bei uns und auf die Stadt, die nach deinem Namen benannt ist! Denn nicht im Vertrauen auf unsere Verdienste legen wir unsere flehentlichen Bitten dir vor, sondern im Vertrauen auf deine große Barmherzigkeit. 19O Herr, höre doch, vergib, o Herr, merke auf, o Herr, und handle! Zögere nicht, um deiner selbst willen, mein Gott! Denn nach deinem Namen sind benannt deine Stadt und dein Volk.“

Siebzig Jahrwochen

20Während ich noch sprach und betete, meine Sünde und die Sünde meines Volkes Israel bekannte und vor dem Herrn, meinem Gott, meine flehentliche Bitte für den heiligen Berg meines Gottes niederlegte, 21während ich also noch mein Gebet sprach, da eilte der Mann Gabriel, den ich früher im Gesicht geschaut hatte, im Fluge zu mir heran. Es war um die Zeit des Abendopfers. 22Er kam, sprach mit mir und sagte: „Daniel, nunmehr bin ich hergekommen, um dir die klare Einsicht zu bringen. 23Zu Beginn deines Flehens erging ein Gotteswort, und ich bin gekommen, es dir mitzuteilen; denn ein Liebling Gottes bist du. Also achte auf das Wort und verstehe die Erscheinung! 24Siebzig Wochen sind bestimmt über dein Volk und deine heilige Stadt, bis der Frevel beendet, die Sünde versiegelt und die Schuld gesühnt ist, bis ewige Gerechtigkeit herbeigeführt, unter Gesicht und Prophet das Siegel gesetzt und ein Allerheiligstes gesalbt wird. 25Wissen sollst du und einsehen: Von der Zeit an, da das Wort erging von der Wiederherstellung und dem Aufbau Jerusalems, bis zu einem Gesalbten, einem Fürsten, sind es sieben Wochen; und zweiundsechzig Wochen bleibt es wiederhergestellt und aufgebaut mit Platz und Graben, doch unter dem Druck der Zeiten. 26Nach den zweiundsechzig Wochen wird ein Gesalbter ausgerottet ohne Richterspruch. Stadt und Heiligtum wird das Volk eines heranrückenden Fürsten verheeren. Sein Ende erfolgt wie durch eine Wasserflut, aber bis zum Ende dauern der Krieg, die beschlossenen Verwüstungen. 27Für viele macht er den Bund eine Woche lang schwer. Eine halbe Woche unterdrückt er Schlacht- und Speiseopfer, und über den Altarrand steht der Greuel des Verwüsters, und zwar bis zum beschlossenen Ende, das über den Verwüster sich ergießt.“[1]

  1. 9,1–27: Daniel studiert die Schrift; da findet er die Weissagung von den 70 Jahrwochen (Jer 25,11f., Jer 29,10). Dan 9,24–27 wird verschieden übersetzt und gedeutet. Der Verwüster ist Antiochos IV. Epiphanes, der ein heidnisches Greuelbild über dem Altar des Tempels errichtete (1. Makk 1,54). Die letzte Verwüstung erfolgt 70 n. Chr. (Mt 24,15).

Kapitel 10 – Offenbarungen über die Endzeit

1Im dritten Jahre des Königs Cyrus von Persien ward dem Daniel, der Beltschazzar genannt wurde, eine Wortoffenbarung zuteil. Zuverlässig ist das Wort, und es bezieht sich auf große Kriegsnot. Er begriff das Wort, da ihm das Verständnis durch eine Erscheinung erschlossen wurde. 2In jenen Tagen hielt ich, Daniel, drei Wochen lang Trauerzeit. 3Leckerbissen aß ich nicht, Fleisch und Wein kamen mir nicht in den Mund, ich salbte mich auch nie, bis drei volle Wochen verstrichen waren. 4Am vierundzwanzigsten Tag des ersten Monats befand ich mich am Ufer des großen Flusses, des Tigris. 5Ich erhob meine Augen und schaute: da sah ich einen Mann, mit einem Linnengewand bekleidet, um die Lenden einen Gürtel aus feinstem Gold; 6sein Leib war wie Chrysolith, sein Antlitz sah aus wie der Blitz, seine Augen wie Feuerfackeln; seine Arme und Beine funkelten wie Glanzerz, und der Schall seiner Worte glich dem Lärmen einer Volksmenge. 7Ich, Daniel, allein sah die Erscheinung. Die Leute bei mir sahen von der Erscheinung nichts; doch befiel sie ein gewaltiger Schrecken, so daß sie flohen, um sich zu verbergen. 8So blieb ich allein zurück, als ich diese gewaltige Erscheinung schaute. Da entschwand mir jegliche Kraft, mein Aussehen ward furchtbar entstellt, und ich konnte keine Kraft mehr aufbringen. 9Nun vernahm ich den Schall seiner Worte. Als ich vollends den Schall seiner Worte hörte, fiel ich ohnmächtig auf mein Angesicht, mein Gesicht zur Erde gewandt. 10Aber siehe da! Eine Hand berührte mich und brachte mich mühsam auf meine Knie und Handflächen. 11Dann sprach er zu mir: „Daniel, Liebling Gottes, gib acht auf die Worte, die ich dir zu verkünden habe! Stelle dich aufrecht auf deinen Platz; denn ich bin jetzt zu dir gesandt!“ Auf diese Anrede hin stand ich zitternd auf. 12Da sprach er zu mir: „Fürchte dich nicht, Daniel! Denn vom ersten Tage an, da du deinen Sinn darauf gerichtet hast, Verständnis zu erlangen und dich vor deinem Gott zu demütigen, wurden deine Worte vernommen, und um deiner Worte willen bin ich hergekommen. 13Aber der Engelfürst des Perserreiches leistete mir einundzwanzig Tage lang Widerstand. Doch siehe da, Michael, einer der ersten Fürsten, kam mir zu Hilfe. So war ich dort bei den Perserkönigen nicht mehr nötig. 14Darum kam ich, um dich in Kenntnis zu setzen über das, was in den letzten Tagen deinem Volke zustoßen wird; denn es ist wieder ein Gesicht über ferne Tage.“ 15Während er Worte dieser Art an mich richtete, senkte ich mein Antlitz zu Boden und verstummte. 16Doch siehe da, wie mit Menschenhand berührte er meine Lippen, daß ich meinen Mund öffnen und reden konnte. So sprach ich zu dem, der vor mir stand: „Mein Herr, bei der Erscheinung sind Krämpfe über mich gekommen, und ich konnte keine Kraft mehr aufbringen. 17Wie könnte denn auch solch ein Knecht meines Herrn mit diesem meinem hohen Herrn sprechen?“ Von da ab blieb keine Kraft mehr in mir, und es ging mir der Atem aus. 18Und abermals berührte mich der, welcher wie ein Mensch aussah, und stärkte mich. 19Er sprach: „Fürchte dich nicht, Liebling Gottes! Heil dir! Sei stark, ja stark!“ Indem er so mit mir redete, fühlte ich mich gekräftigt und sprach: „Nun möge mein Herr reden; denn du hast mich ja gestärkt.“ 20Da fragte er: „Weißt du, warum ich zu dir kam? Nun muß ich allerdings wieder zurückkehren und mit dem Engelfürsten von Persien kämpfen; wenn ich damit fertig bin, dann kommt der Engelfürst von Griechenland an die Reihe. 21Dennoch will ich dir mitteilen, was im Buche der Wahrheit aufgezeichnet steht, obwohl mich niemand gegen jene kräftig unterstützt außer eurem Engelfürst Michael.

Kapitel 11

1Im ersten Jahre des Meders Darius stehe ich ihm zur Stärkung und Kräftigung bei.

Kämpfe zwischen den Ptolemäern und Seleukiden

2Nun will ich dir die Wahrheit mitteilen: Siehe, noch drei Könige stehen in Persien auf, und der vierte erwirbt grösseren Reichtum als alle anderen. Durch seinen Reichtum stark geworden, bietet er alles auf gegen das griechische Reich. 3Danach steht ein Heidenkönig auf, entfaltet gewaltige Macht und vollführt, was ihm beliebt. 4Doch kaum ist er aufgetreten, so zerbricht sein Reich und wird zerteilt nach den vier Himmelsrichtungen, aber nicht unter seinen leiblichen Nachkommen. Es ist nicht mehr so mächtig wie unter seiner Herrschaft; nein, zerschmettert wird sein Reich und anderen zuteil, nicht jenen. 5Nun wird der Südkönig stark; aber von seinen Heerführern wird ihn einer an Stärke übertreffen und selbst an die Macht kommen; seine Herrschaft wird eine gewaltige Macht darstellen. 6Nach Verlauf von Jahren gehen sie miteinander ein Bündnis ein; und die Tochter des Südkönigs kommt zum Nordkönig, um Frieden zu machen. Doch sie wird die Kraft des Armes nicht dauernd behalten, und sein Arm hält nicht stand; dazu ihre Gefolgschaft, ihr Kind und ihr Schutzherr. 7Zur gegebenen Zeit tritt einer aus ihrem Wurzelsproß an seiner Stelle auf. Er zieht aus gegen das Heer und gelangt in die Festung des Nordkönigs. Er greift gegen sie ein und erweist sich als stark. 8Selbst ihre Götter samt ihren Gußbildern, zusammen mit den wertvollen Geräten, Silber und Gold, bringt er als Beutegut nach Ägypten. Dann läßt er jahrelang vom Nordkönig ab. 9Dieser zieht aus gegen das Reich des Südkönigs, doch muss er wieder in sein Heimatland zurückkehren. 10Aber sein Sohn rüstet auf und schart gewaltige Mengen von Streitkräften zusammen; damit rückt er gegen jenen vor, überschwemmt und überflutet (das Land). Nochmals rüstet er und kommt bis zu dessen Grenzfestung. 11Das macht den Südkönig erbittert; er rückt aus und kämpft mit ihm, mit dem Nordkönig. Dieser bietet eine grosse Heeresmasse auf, jedoch gerät die Masse in Ägyptens Hand. 12Während das Heer sich in Auflösung befindet, wird sein Herz stolz; er schlägt Unzählige nieder, gewinnt aber nicht an Stärke. 13Nochmals bietet der Nordkönig eine Heeresmasse auf, noch grösser als die erste. Nach Verlauf von Jahren rückt er gegen ihn, mit einem gewaltigen Heer und vielem Troß. 14In jenen Zeiten treten nun viele gegen den Südkönig auf, und gewalttätige Leute deines Volkes erheben sich, so dass die Weissagung sich erfüllt; aber sie kommen zu Fall. 15So rückt der Nordkönig vor, wirft einen Wall auf und erobert eine stark befestigte Stadt. Die Kräfte des Südens halten nicht stand, und seine auserlesene Mannschaft hat keine Kraft zum Widerstand. 16Sein nachdrängender Gegner kann tun, was ihm beliebt, keiner tritt ihm entgegen. Er fasst Fuss im prachtvollen Heiligen Land, und es fällt ganz in seine Hand. 17Er richtet sein Augenmerk darauf, dessen ganzes Reich in seine Gewalt zu bekommen, schliesst Frieden mit ihm und gibt ihm seine Tochter zur Frau, um es zu verderben. Jedoch ist die Sache nicht von Dauer und glückt ihm nicht. 18Dann wendet er sich den Inseln zu und erobert viele; doch ein Machthaber vertreibt ihm den Hohn, und darüber hinaus vergilt er ihm seinen Hohn. 19Schließlich wendet er sich den Festungen seines Landes zu; aber er strauchelt, stürzt und ist nicht mehr zu finden. 20An seine Stelle tritt einer, der einen Zwingherrn durch das herrliche Heilige Land sendet; jedoch schon nach kurzer Zeit wird er zerschmettert, und zwar nicht im Kampfeszorn und nicht im Krieg.

Antiochos IV. Epiphanes

21An seine Stelle tritt ein Verachtenswerter, dem man die Königswürde nicht geben wollte; doch er kommt unversehens und bemächtigt sich des Königtums auf Schleichwegen. 22Streitkräfte werden flutartig vor ihm hinweggeschwemmt und zerschmettert, auch sogar der Bundesfürst (der Hohepriester). 23Sobald man mit ihm Freundschaft geschlossen hat, handelt er hinterlistig. Er steigt empor und wird stark, selbst mit nur wenigen Anhängern. 24Unversehens bricht er in die fruchtbarsten Teile einer Landschaft ein und tut, was seine Väter und Ahnen nicht taten. Raub, Beute und Habe verschleudert er an sie; er schmiedet seine Pläne gegen Festungen, doch nur eine Zeitlang. 25Dann bietet er seine Kraft und seinen Mut auf gegen den Südkönig mit gewaltiger Heeresmacht. Doch der Südkönig rüstet zum Kriege mit einem gewaltigen und überaus starken Heer. Aber er kann nicht standhalten, denn man schmiedet gegen ihn Ränke. 26Seine Tischgenossen sind schuld an seinem Zusammenbruch, sein Heer wird hinweggeschwemmt, und es fallen viele Erschlagene. 27Beide Könige beabsichtigen Böses; am gleichen Tisch belügen sie sich, doch es führt nicht zum Ziel; denn das Ende steht noch aus bis zur bestimmten Frist. 28Da kehrt er in sein Heimatland zurück mit gewaltigem Troß. Seine Gesinnung ist gegen den heiligen Bund eingestellt; er handelt danach und zieht in sein Land zurück. 29Zur bestimmten Zeit rückt er wieder gegen das Südland; doch das zweitemal geht es nicht so aus wie das erstemal. 30Gegen ihn landet eine kittäische Flotte, so daß er entmutigt den Rückzug antritt. Seinen Groll läßt er aus am heiligen Bund und handelt danach; dann kehrt er zurück und läßt sich unterrichten über jene, die den heiligen Bund verlassen. 31Von ihm entsandte Streitkräfte treten an, entweihen das Heiligtum und die Burg, beseitigen das tägliche Opfer und stellen den Greuel des Verwüsters auf. 32Die Bundesbrüchigen macht er abtrünnig durch Schmeicheleien; doch die Menge derer, die ihren Gott kennen, bleibt stark und handelt danach. 33Die Lehrer des Volkes verhelfen vielen zur Besinnung; doch kommen sie durch Schwert und Feuer, durch Gefängnis und Plünderung eine Zeitlang zu Fall. 34Während sie so unterliegen, wird ihnen eine kleine Hilfe zuteil, und viele schließen sich ihnen heuchlerisch an. 35Auch unter den Einsichtigen straucheln manche; so wird unter ihnen geprüft, geläutert und gereinigt bis zur Endzeit; denn noch steht sie aus bis zur bestimmten Frist. 36Der König handelt nach seinem Gutdünken; er überhebt sich und tut groß gegenüber jedem Gott; gegen den Gott der Götter führt er ungeheuerliche Reden. Dabei hat er Erfolg bis zum Ende des göttlichen Zornes; denn was beschlossen ist, wird ausgeführt. 37Selbst um den Gott seiner Väter kümmert er sich nicht, er achtet nicht auf den Lieblingsgott der Frauen noch auf irgendeinen anderen Gott; denn gegen alle tut er groß. 38Den Gott der Festungen verehrt er statt dessen; einen Gott, den seine Väter nicht kannten, ehrt er mit Gold und mit Silber, mit Edelsteinen und kostbarem Schmuck. 39Er geht vor gegen die Bollwerke der Festungen mit Hilfe des fremden Gottes. Wer diesen anerkennt, den überhäuft er mit Ehren. Er macht sie zu Herrschern über viele und verteilt an sie Land zur Belohnung.

Das Ende des Unterdrückers

40In der Endzeit aber stößt der Südkönig mit ihm zusammen. Der König des Nordens stürmt wider ihn an mit Streitwagen, Reitern und vielen Schiffen; er fällt ein, überschwemmt und überflutet sie. 41Er kommt auch in das prachtvolle Heilige Land. Unzählige sinken dahin. Nur diese entkommen seiner Hand: Edom, Moab und der größte Teil von Ammon. 42Nach Ländern streckt er seine Hand aus, das Ägypterland vermag nicht zu entgehen. 43Er wird Herr über die Schätze von Gold und Silber, über alle kostbaren Güter Ägyptens. Libyer und Kuschiten sind in seinem Gefolge. 44Gerüchte aus dem Osten und dem Norden erschrecken ihn. Da zieht er aus in mächtiger Wut, um viele zu vernichten und auszurotten. 45Seine Palastzelte spannt er zwischen dem Meer und dem heiligen Prachtberg auf. Doch geht er seinem Ende entgegen, und niemand vermag ihm zu helfen.

Kapitel 12 – Auferstehung und Vergeltung

1In jener Zeit tritt Michael auf, der große Fürst, der über den Söhnen deines Volkes schützend steht. Es wird eine Zeit der Drangsal sein, wie noch keine gewesen ist, seitdem es Völker gibt, bis zu jener Zeit. Dein Volk wird gerettet in jener Zeit, ein jeder, der im Buch verzeichnet ist. 2Viele von denen, die im Land des Staubes schlafen, werden erwachen, die einen zu ewigem Leben, zur Schmach und zu ewigem Abscheu die anderen. 3Die Gesetzeslehrer werden glänzen wie das leuchtende Himmelsgewölbe und, die vielen zur Gerechtigkeit verhalfen, wie die Sterne für immer und ewig. 4Du nun, Daniel, verschließe die Offenbarungen und versiegle das Buch bis zur Endzeit! Viele werden suchend umherstreifen, und der Wissensdurst wird groß sein.“ 5Ich, Daniel, schaute hin und sah, daß noch zwei andere (Engel) dastanden, der eine diesseits des Flußufers, der andere am jenseitigen Flußufer. 6Er sprach zu dem Mann im Leinenkleid, der sich über dem Wasser des Flusses befand: „Wie lange dauert es noch bis zum Ende dieser ungeheuerlichen Dinge?“ 7Darauf vernahm ich den Mann im Leinenkleid, der sich über dem Wasser des Flusses befand; er erhob seine rechte und linke Hand zum Himmel und tat beim Ewiglebenden einen Schwur: „Eine Zeit, zwei Zeiten und eine halbe Zeit. Ist man damit fertig, die Macht des heiligen Volkes zu zerschlagen, dann wird sich dies alles vollenden.“ 8Das hörte ich wohl, verstand es aber nicht. Da fragte ich: „Mein Herr, was ist das Letzte hiervon?“ 9Er erwiderte: „Geh, Daniel, denn die Offenbarungen sind verschlossen und versiegelt bis zur Endzeit. 10Viele werden gereinigt, geläutert und geprüft; aber die Frevler begehen Frevel. Kein Frevler versteht es, die Einsichtigen aber verstehen es. 11Von der Zeit an, da das tägliche Opfer beseitigt und der Greuel des Verwüsters aufgestellt wird, sind es tausendzweihundertneunzig Tage. 12Glückselig, wer ausharrt und tausenddreihundertfünfunddreißig Tage erreicht! 13Du nun, gehe dem Ende entgegen und ruhe aus! Zu deinem Lose wirst du am Ende der Tage auferstehen!“[1]

  1. 10,1–12,13: Die bisherigen Gesichte basieren auf älterem Material. Sie müssen aber wohl in der Zeit des Antiochos IV. Epiphanes ihre letzte Bearbeitung gefunden haben. Die von Kapitel 10 an geschilderten Gesichte geben uns ein Bild von den Kämpfen zwischen Seleukiden und Ptolemäern, die dann zuletzt in die Religionsverfolgung des Antiochos münden. Der Offenbarungsengel und der Fürst Michael müssen gemeinsam gegen den Schutzgeist und Engelfürsten der Perser kämpfen. Die drei Könige in Dan 11,2 sind Darius I. (521–486), Xerxes (485–465) und Artaxerxes (464–424). Der Kampf geht weiter gegen Alexander, dessen Reich zerbricht. Das Ptolemäerreich in Ägypten und das Seleukidenreich in Syrien treten in kriegerische Auseinandersetzungen und unterhalten ebensooft friedliche Beziehungen. Dann kommt jener Antiochos Epiphanes, der sich auf Schleichwegen des Königtums bemächtigt hat (Dan 11,21). Zuerst werden seine Erfolge und Mißerfolge genau geschildert und dann seine Maßnahmen gegen die jüdische Religion aufs schärfste verurteilt. In der jetzt kommenden Endzeit rettet Fürst Michael sein Volk. Volle Klarheit über die dem Daniel gemachten Mitteilungen gibt es freilich erst am Ende (Dan 12,4).

Kapitel 13 – Nachträge: Die keusche Susanna

1In Babylon lebte ein Mann mit Namen Jojakim. 2Er heiratete eine Frau namens Susanna, die Tochter Helkias; sie war sehr schön und gottesfürchtig. 3Auch ihre Eltern waren fromm und hatten ihre Tochter nach dem Gesetze des Moses erzogen. 4Jojakim war sehr reich, er besaß einen Garten in der Nähe seines Hauses. Bei ihm pflegten sich die Juden zu versammeln; denn er war höher geachtet als alle anderen. 5Nun waren in jenem Jahre zwei Älteste aus dem Volke als Richter bestellt worden, von denen das galt, was der Herr gesprochen hat: „Die Ruchlosigkeit ging von Babylon aus, von den Ältesten, den Richtern, die den Anschein erweckten, als ob sie das Volk leiteten.“ 6Diese weilten regelmäßig im Hause Jojakims; zu ihnen kamen alle, die Rechtsstreitigkeiten hatten. 7Als sich nun die Leute um die Mittagszeit entfernt hatten, kam Susanna und ging im Garten ihres Mannes auf und ab. 8Die beiden Ältesten beobachteten sie täglich, wie sie eintrat und spazierenging. Da entbrannten sie in Begierde nach ihr. 9Sie verkehrten ihre Gedanken und senkten ihre Augen nieder, um nicht nach dem Himmel blicken und an die gerechten Strafurteile denken zu müssen. 10Beide waren ihretwegen in Liebeskummer, aber sie sagten einander nichts von ihrem Leid. 11Denn sie schämten sich, Mitteilung zu machen von ihrer Begierde und ihrem Wunsch, mit ihr zu verkehren. 12Täglich lauerten sie eifrig darauf, sie zu erblicken. 13Eines Tages sagte der eine zum anderen: „Gehen wir nach Hause, es ist ja Essenszeit!“ Sie gingen also fort und trennten sich voneinander. 14Jedoch machten sie Umwege und kamen an dieselbe Stelle zurück. Sie fragten einander nach dem Grund hierfür und mußten sich ihre Leidenschaft eingestehen. Sie verabredeten nun miteinander eine Zeit, zu der sie Susanna allein antreffen könnten. 15Während sie noch immer auf einen geeigneten Tag warteten, begab es sich einmal, daß Susanna wie gewöhnlich mit nur zwei Mägden hineinkam und im Garten baden wollte, weil die Hitze groß war. 16Niemand befand sich dort, ausgenommen die beiden Ältesten, die sich versteckt hatten und sie belauerten. 17Da sprach sie zu den Mägden: „Bringt mir Öl und Salben und schließt das Gartentor, damit ich baden kann!“ 18Diese taten nach ihrem Befehle, verschlossen das Gartentor und gingen durch die Nebentüre fort, um das Verlangte zu holen. Sie bemerkten aber die Ältesten nicht, weil diese sich versteckt hatten. 19Als nun die Mägde hinausgegangen waren, erhoben sich die beiden Ältesten und liefen auf Susanna zu. 20Sie sagten: „Siehe, das Gartentor ist geschlossen, und niemand beobachtet uns. Wir haben heftige Begierde nach dir, darum sei uns zu Willen und laß dich mit uns ein! 21Falls nicht, so werden wir gegen dich bezeugen, daß ein Jüngling bei dir war und daß du aus diesem Grunde die beiden Mädchen von dir wegschicktest.“ 22Da seufzte Susanna und sprach: „Drangsal kommt mir von allen Seiten. Tue ich dies, dann ist der Tod mir gewiß; tue ich es nicht, so werde ich euren Händen nicht entrinnen. 23Doch lieber ist es mir, es nicht zu tun und in eure Hände zu fallen, als vor dem Herrn zu sündigen.“ 24Da schrie Susanna mit lauter Stimme. Aber auch die beiden Ältesten schlugen Lärm gegen sie. 25Der eine lief hin und öffnete das Gartentor. 26Als die Leute im Hause das Geschrei im Garten hörten, stiegen sie eiligst durch die Seitentüre herein, um zu sehen, was ihr zugestoßen sei. 27Sobald nun die Ältesten ausgesagt hatten, schämten sich die Diener gar sehr, weil nie über Susanna etwas Derartiges geredet worden war. 28Am anderen Morgen, als das Volk zu ihrem Manne Jojakim kam, erschienen auch die beiden Ältesten; es erfüllte sie der ruchlose Gedanke, gegen Susanna das Todesurteil zu beantragen. 29Sie sprachen vor dem Volke: „Schickt nach Susanna, der Tochter Helkias, der Frau Jojakims!“ Man schickte also hin. 30Da kam sie zusammen mit ihren Eltern, ihren Kindern und all ihren Verwandten. 31Susanna aber war sehr blühend und schön von Gestalt. 32Die Schurken befahlen, sie zu entschleiern - sie war nämlich verschleiert -, um sich an ihrer Schönheit zu laben. 33Ihre Angehörigen aber und alle, die sie sahen, brachen in Tränen aus. 34Die beiden Ältesten erhoben sich inmitten der Volksschar und legten ihr die Hände auf das Haupt. 35Sie aber weinte und blickte zum Himmel auf, weil ihr Herz auf den Herrn vertraute. 36Die Ältesten berichteten nun: „Wir gingen allein im Garten spazieren; da kam diese mit zwei Mägden herein, verschloß das Gartentor und entließ die Mägde. 37Dann kam ein Jüngling zu ihr, der sich versteckt hatte, und legte sich zu ihr hin. 38Wir befanden uns in der Ecke des Gartens; als wir den Frevel bemerkten, eilten wir auf sie zu. 39Wir sahen, wie sie miteinander Umgang pflogen; jenes Mannes konnten wir uns nicht bemächtigen, weil er uns an Kraft übertraf und so das Tor öffnen und entrinnen konnte. 40Doch diese hier konnten wir ergreifen, und wir fragten sie, wer denn der junge Mann war. 41Sie wollte es uns aber nicht verraten. Dies können wir bezeugen.“ Die versammelte Gemeinde aber schenkte ihnen als den Ältesten und Richtern des Volkes ihr Vertrauen. Man verurteilte also jene zum Tode. 42Da schrie Susanna mit lauter Stimme und betete: „O ewiger Gott, der du die verborgenen Dinge kennst, der du alles weißt, noch bevor es sich ereignet! 43Du weißt, daß sie falsches Zeugnis gegen mich ablegten. So muß ich denn sterben und habe doch nichts von dem getan, wessen mich diese da in ihrer Bosheit bezichtigen.“ 44Der Herr aber hörte auf ihr Rufen. 45Als sie zur Hinrichtung abgeführt wurde, erweckte Gott den heiligen Geist eines noch jungen Mannes, der Daniel hieß. 46Dieser rief mit lauter Stimme: „Unschuldig bin ich am Blute dieser Frau!“ 47Alles Volk wandte sich ihm zu, und man fragte: „Was ist denn das für eine Rede, die du da führst?“ 48Er trat nun mitten unter sie hin und rief: „Seid ihr wirklich so töricht, ihr Israeliten? Ohne Verhör und ohne sichere Feststellung verurteilt ihr eine Tochter Israels? 49Kehrt zurück zum Gericht! Denn falsches Zeugnis haben jene wider sie abgelegt.“ 50Da kehrte alles Volk eiligst um, und die Ältesten sprachen zu ihm: „Setze dich hierher in unsere Mitte und berichte uns; denn Gott hat dir die Einsicht des Alters verliehen.“ 51Da sprach Daniel zu ihnen: „Trennt diese weit voneinander, ich will sie verhören!“ 52Als sie nun voneinander getrennt waren, rief er den einen von ihnen und sprach zu ihm: „Du alter Mann nach einem verkommenen Leben! Jetzt wirst du für die Sünden bestraft, die du ehedem begangen hast. 53Ungerechte Urteile hast du gefällt, die Schuldlosen verurteilt und die Schuldigen freigesprochen, obwohl doch der Herr sagt: „Einen Schuldlosen und Gerechten darfst du nicht töten.“ 54Nun denn, wenn du wirklich dieses gesehen hast, so sprich: Unter welchem Baum sahst du beide beisammen sein?“ Der aber sprach: „Unter einem Mastixbaum.“ 55Daniel erwiderte: „Du hast richtig gegen dein eigenes Haupt gelogen; denn schon hat Gottes Engel von Gott Befehl erhalten, dich mitten entzweizuhauen.“ 56Er ließ ihn fortführen und den anderen herbeibringen. Zu ihm sprach er: „Du Abkömmling Kanaans und nicht Judas! Die Schönheit hat dich betört, und die Begierlichkeit hat dir das Herz verkehrt. 57So hättet ihr an den Töchtern Israels handeln können; aus Furcht hätten jene sich mit euch eingelassen. Aber eine Tochter Judas ertrug eure Schurkerei nicht. 58Nun also sage mir: Unter welchem Baume hast du sie beide beisammen ertappt?“ Jener erwiderte: „Unter einer Eiche.“ 59Daniel erwiderte ihm: „Richtig hast auch du gegen dein eigenes Haupt gelogen, denn der Engel Gottes wartet schon mit dem Schwert in der Hand, dich mitten entzweizuteilen, um euch so auszurotten.“ 60Da schrieen alle Versammelten mit lauter Stimme und priesen Gott, der alle rettet, die auf ihn hoffen. 61Sie erhoben sich gegen die zwei Ältesten; denn Daniel hatte sie aus ihrem eigenen Munde als falsche Zeugen überführt. Man tat an ihnen so, wie sie an ihrem Nächsten übel handelten: 62Man ging also nach dem Gesetz des Moses vor und ließ sie hinrichten. So wurde schuldloses Blut an jenem Tage gerettet. 63Helkia und seine Gattin lobten Gott um ihrer Tochter Susanna willen gemeinsam mit Jojakim, ihrem Manne, und allen Verwandten, weil nichts Schandbares an ihr gefunden wurde. 64Daniel aber gewann hohes Ansehen vor dem Volke von jenem Tage ab und weiterhin.

Kapitel 14

Daniel und die Belpriester

1Der König Astyages war zu seinen Ahnen heimgegangen, und der Perser Cyrus hatte dessen Reich übernommen. 2Daniel war Vertrauter des Königs und angesehener als alle seine Freunde. 3Die Babylonier besaßen ein Gottesbild mit Namen Bel. Man verschwendete täglich für Bel zwölf Scheffel Feinmehl, vierzig Schafe und sechs Maß Wein. 4Auch der König verehrte ihn und fand sich täglich ein, ihn anzubeten. Doch Daniel betete seinen Gott an. 5Da sagte der König zu ihm: „Warum betest du Bel nicht an?“ Dieser entgegnete: „Ich erweise handgemachten Bildern keine Verehrung, sondern nur dem lebendigen Gott, der Himmel und Erde erschuf und über alles, was lebt, die Herrschaft innehat.“ 6Der König entgegnete ihm: „Glaubst du, Bel sei kein lebendiger Gott? Siehst du denn nicht, wieviel er tagtäglich ißt und trinkt?“ 7Da sagte Daniel lachend: „Laß dich nicht täuschen, o König! Dieser ist ja inwendig Lehm und außen Erz; gegessen und getrunken hat er noch nie.“ 8Der König geriet in Zorn, rief seine Priester herbei und sprach zu ihnen: „Wenn ihr mir nicht sagt, wer es ist, der diese Opfergaben verzehrt, dann müßt ihr sterben. Wenn ihr aber nachweisen könnt, daß Bel sie verzehrt, dann muß Daniel sterben, weil er Bel verhöhnt hat.“ 9Daniel erklärte dem König: „Es geschehe, wie du gesagt hast!“ Es waren aber siebzig Belpriester, abgesehen von den Frauen und Kindern. 10Der König begab sich mit Daniel zum Beltempel. 11Die Belpriester erklärten: „Siehe, wir gehen schleunigst hinaus. Du, König, lege selbst die Speisen auf, mische den Wein, stelle ihn hin, verschließe die Pforte und versiegle sie mit deinem Ring. Wenn du dann in der Frühe kommst und nicht alles von Bel verzehrt findest, dann sollen wir dem Tod verfallen sein, andernfalls aber Daniel, der uns verleumdet.“ 12Sie waren unbesorgt, da sie unter dem Opfertisch einen verborgenen Gang gemacht hatten; durch diesen konnten sie jederzeit hineinschlüpfen und alles beseitigen. 13Als sie nun weggegangen waren, legte der König die Speisen für Bel auf. 14Daniel gab aber seinen Dienern den Auftrag, Asche herbeizubringen und damit den ganzen Tempel durch ein Sieb zu bestreuen, wobei nur noch der König anwesend war. Dann gingen sie hinaus, verriegelten die Pforte, brachten mit dem Ring des Königs das Siegel an und entfernten sich. 15Nachts aber kamen wie gewöhnlich die Priester mit ihren Frauen und Kindern und verzehrten und tranken alles. 16Frühmorgens erschien der König zusammen mit Daniel. 17Der König fragte: „Sind die Siegel unbeschädigt, Daniel?“ Dieser entgegnete: „Ja, mein König!“ 18Gleich nach dem Öffnen der Pforte blickte der König auf den Opfertisch und rief mit lauter Stimme: „Groß bist du, Bel! Bei dir gibt es nicht den geringsten Betrug.“ 19Daniel aber lachte und hinderte den König, ins Innere einzutreten. Er sprach: „Schau doch den Boden an und stelle fest, wessen Fußspuren das sind!“ 20Der König entgegnete: „Ich bemerke die Fußspuren von Männern, Frauen und Kindern.“ 21Da geriet der König in Wut und ließ die Priester mit ihren Frauen und Kindern ergreifen. Sie mußten ihm die Geheimtüre zeigen, durch die sie eingetreten waren, um die Speisen auf dem Tisch zu verzehren. 22Der König ließ sie nun töten, und den Bel lieferte er dem Daniel aus. Dieser zerstörte ihn und sein Heiligtum.

Daniel und der Drache

23Es gab auch einen großen Drachen, den die Babylonier verehrten. 24Da sprach der König zu Daniel: „Von diesem kannst du doch nicht sagen, daß er kein lebendiger Gott sei; bete ihn also an!“ 25Daniel entgegnete: „Den Herrn, meinen Gott, werde ich anbeten, denn der ist ein lebendiger Gott. Du aber, o König, gib mir Erlaubnis, und ich werde den Drachen töten ohne Schwert und Keule!“ 26Der König sagte: „Ich gebe sie dir.“ 27Da nahm Daniel Pech, Fett und Haare, kochte diese zusammen, formte Fladen daraus und warf sie dem Drachen ins Maul. Der Drache fraß sie und barst auseinander. Nun rief Daniel aus: „Seht, was ihr verehrt!“ 28Als die Babylonier davon hörten, wurden sie heftig erbost, rotteten sich wider den König zusammen und riefen: „Ein Jude ist der König geworden; den Bel hat er zertrümmert, den Drachen getötet und die Priester hingeschlachtet.“ 29Sie begaben sich zum König und verlangten: „Liefere uns den Daniel aus! Sonst töten wir dich und deine Familie!“ 30Der König merkte, daß sie ihm heftig zusetzten, und lieferte ihnen, der Gewalt weichend, den Daniel aus. 31Man warf ihn in die Löwengrube, wo er sechs Tage weilte. 32In der Grube waren sieben Löwen; diesen gab man täglich zwei Leichname und zwei Schafe. Damals aber gab man ihnen nichts, damit sie Daniel fressen sollten. 33Nun lebte in Juda der Prophet Habakuk. Dieser hatte ein Essen gekocht, Brot in einen Napf gebrockt und ging eben auf das Feld, um es den Schnittern zu bringen. 34Da sprach der Engel des Herrn zu Habakuk: „Bringe das Gericht, das du hast, nach Babylon dem Daniel in der Löwengrube!“ 35Habakuk antwortete: „Herr, Babylon habe ich nie gesehen, und die Grube ist mir unbekannt.“ 36Da faßte ihn der Engel des Herrn am Scheitel, trug ihn an den Haaren seines Hauptes und versetzte ihn in einem Atemzug nach Babylon an den Rand der Grube. 37Habakuk rief: „Daniel, Daniel, nimm das Essen, das Gott dir geschickt hat!“ 38Daniel sprach: „So hast du dich doch meiner erinnert, o Gott, und hast nicht verlassen, die dich lieben!“ 39Dann erhob sich Daniel und aß. Der Engel Gottes aber versetzte den Habakuk sogleich an seinen früheren Ort zurück. 40Am siebten Tag kam der König, um Daniel zu betrauern. Er trat an die Grube und schaute hinein: Siehe da, Daniel saß darin. 41Jetzt schrie er mit lauter Stimme und rief: „Groß bist du, o Herr, du Gott Daniels! Es gibt außer dir keinen anderen!“ 42Er ließ ihn herausziehen, jene aber, die sein Verderben verschuldet hatten, in die Grube werfen. Sofort wurden sie vor seinen Augen aufgefressen. [Damals sprach der König: „Alle Bewohner der ganzen Erde sollen den Gott Daniels fürchten, weil er der Retter ist, der Zeichen und Wunder tut auf Erden, der Daniel aus der Löwengrube befreit hat!“]

Quelle

  1. Die Heilige Schrift des Alten und Neuen Testaments nach den Grundtexten übersetzt und herausgegeben von Vinzenz Hamp, Meinrad Stenzel und Josef Kürzinger. Pattloch Verlag, Aschaffenburg 1979. (Kapitel 13 und 14 sowie Fußnoten der Druckfassung entnommen.)