Hallo!
Ich habe nun mal alle Lindeliedfassungen nebeneinandergelegt und auf Unterschiede überprüft.
Damit haben wir jetzt zumindest alle eine Überblick, wie das Lied in den einzelnen Ausgaben lautet.
Nicht miteinbezogen habe ich Veröffentlichungen, die nach Adlmaiers "Blick in die Zukunft" erschienen, weil ich davon ausgehe, daß diese alle auf Adlmaier zurückgehen.
Es folgt die Urfassung von 1920 mit originaler Rechtschreibung und Zeichensetzung (die Nummerierung stammt von mir). Farbig hervorgehoben unter einer Zeile sind von der Urfassung abweichende Fassungen aus anderen Drucken angegeben. Dabei habe ich, nachdem sich die Rechtschreibung immer wieder in einzelnen Buchstaben unterscheidet, lediglich auf abweichende, bzw. unter Umständen bedeutungsverändernde Formulierungen und Wortwahl geachtet, sowie auf Wortverdreher.
Die Unterschiede sind bisweilen so gravierend, daß ich mich stellenweise Frage, ob Adlmaiers Version tatsächlich auf Martin Hingerl (1920 oder 1925) zurückgeht. Mir scheint, da hat zumindest jemand im Laufe der Jahre einige Stellen nacheditiert, nämlich jene, die bei Adlmaier erstmalig so auftauchen und bei denen Abschreibefehler ausgeschlossen sind (Barren => Paaren; kaisert => keifert/heuert; ...).
Der Weg des Liedes von Hingerl zu Adlmaier ist nach wie vor ungeklärt; ebenso, ob es zwischen Hingerl und Adlmaier noch andere Veröffentlichungen des Liedes gab und ob Hingerl überhaupt der Autor des Liedes ist.
Zugrundeliegende Literatur:
Hingerl, Martin: Staffelberg-Sagen und Der alten Linde Sang von der kommenden Zeit. Freising 1920.
Hingerl, Martin: Staffelberg-Kranz. Gedichte von Martin Hingerl. Freising 1925.
Adlmaier, Conrad: Vor 100 Jahren ein prophetisches Gedicht. In: Traunsteiner Nachrichten. Nr. 44 vom 10. Dezember 1949, Seite 9. [Die Strophen 1 bis 5, 9 und 29 bis 33 fehlen in dieser Ausgabe.]
Adlmaier, Conrad: Blick in die Zukunft. Traunstein 1950. [Die Strophen 1 bis 5, 9 und 29 bis 33 fehlen in dieser Ausgabe.]
Adlmaier, Conrad: Blick in die Zukunft. Traunstein 1955.
Adlmaier, Conrad: Blick in die Zukunft. Traunstein 1960.
1.
Alte Linde bei der heilgen Klamm,
Ehrfurchtsvoll betast ich deinen Stamm:
Karl den Großen hast du schon gesehen,
Wann der Größte kommt, wirst du noch stehen.
2.
Dreißig Ellen mißt dein grauer Saum,
Aller deutschen Lande ältster Baum!
Kriege, Hunger schautest, Seuchennot,
Neues Leben wieder, neuen Tod.
3.
Schon seit langer Zeit dein Stamm ist hohl,
Roß und Reiter bargest einst du wohl,
1925: Roß und Reiter barg er einstens wohl
Bis die Kluft dir deckte milde Hand,
1925: Bis die Kluft ihm deckte milde Hand
1960: Bis die Kluft dir sacht mit milder Hand
Breiten Reif um deine Stirne wand.
1925: Breiten Reif um seine Stirne wand.
4.
Bild und Buch nicht schildern deine Kron
Alle Aeste hast verloren schon
Bis zum letzten Paar, das mächtig zweigt,
Blätterfreudig in die Lüfte steigt.
5.
Alte Linde, die du alles weißt,
Teil uns gütig mit von deinem Geist,
Send ins Werden deinen Seherblick,
Künde Deutschlands und der Welt Geschick!
6.
Großer Kaiser Karl, in Rom geweiht,
Eckstein sollst du bleiben deutscher Zeit:
Hundertsechzig Siebenjahre Frist
1949: Hundertsechzig sieben Jahre Frist
1950: Hundertsechzig sieben Jahre Frist
1955: Hundertsechzig, sieben Jahre Frist
1960: Hundertsechzig, sieben Jahre Frist
Deutschland bis ins Mark getroffen ist.
7.
Fremden Völkern frohnt dein Sohn als Knecht,
Tut und läßt, was ihren Sklaven recht.
Grausam hat zerrissen Feindeshand
Eines Blutes, einer Sprache Band.
8.
Zehr o Magen, zehr von Deutschlands Saft,
1925: Schröpft, Vampyre, schröpft von Deutschlands Saft
1949: Zehr vom Magen, zehr von Deutschlands Saft
1950: Zehr vom Magen, zehr von Deutschlands Saft
1955: Zehre Magen, zehr vom deutschen Saft
1960: Zehre, Magen, zehr vom deutschen Saft
Bis mit seiner endet deine Kraft:
1925: Bis mit deutscher endet eure Kraft
1955: Bis mit einmal endet deine Kraft
1960: Bis mit einmal endet deine Kraft
Krankt das Herz, siecht ganzer Körper hin,
Deutschlands Elend ist der Welt Ruin.
9.
Ernten schwinden, doch die Kriege nicht,
Und der Bruder gegen Bruder ficht;
Mit der Sens und Schaufel sich bewehrt,
Wenn verloren gingen Flint und Schwert.
10.
Arme werden reich des Geldes rasch,
Doch der rasche Reichtum wird zu Asch:
Aermer alle mit dem größern Schatz,
1925: Ärmer alle mit dem großen Schatz
1949: Ärmer alle mit dem größten Schatz
1950: Ärmer alle mit dem größten Schatz
Minder Menschen, enger noch der Platz.
11.
Da die Herrscherthrone abgeschafft,
Wird das Herrschen Spiel und Leidenschaft,
Bis der Tag kommt, wo sich glaubt verdammt,
Wer berufen wird zu einem Amt.
1925: Wer berufen wird zu hohem Amt.
12.
Bauer kaisert bis zum Wendetag,
1949: Bauer keifert bis zum Wendetag
1960: Bauer heuert (keifert?) bis zum Wendetag
All sein Mühn ins Wasser nur ein Schlag:
1949: All sein Mühen ins Wasser nur ein Schlag
1950: All sein Mühen ins Wasser nur ein Schlag
1955: All sein Mühn ins Wasser mit einm Schlag
Mahnerrede fällt auf Wüstensand,
1955: Mahnwort fällt auf Wüstensand
1960: Mahnwort fällt auf Wüstensand
Hörer findet nur der Unverstand.
13.
Wer die allermeisten Sünden hat,
1949: Wer die meisten Sünden hat
1950: Wer die meisten Sünden hat
1955: Wer die meisten Sünden hat
1960: Wer die meisten Sünden hat
Fühlt als Richter sich und höchster Rat.
Raucht das Blut, wird wilder noch das Tier,
Raub zur Arbeit wird und Mord zur Gier.
14.
Rom zerhaut wie Vieh die Priesterschar,
Schonend nicht den Greis im Silberhaar
Ueber Leichen muß der Höchste fliehn
Und verfolgt von Ort zu Orte ziehn.
15.
Gottverlassen scheint er, ist es nicht;
1949: Gottverlassen scheint er, ist er nicht
1950: Gottverlassen scheint er, ist er nicht
Felsenfest im Glauben, treu der Pflicht,
Leistet auch in Not er nicht Verzicht,
Femt den Gottesstreit vors nah Gericht.
1949: Bringt den Gottesstreit vors nah Gericht
1950: Bringt den Gottesstreit vors nah Gericht
1955: Bringt den Gottesstreit vors nah Gericht
1960: Bringt den Gottesstreit vors nah Gericht
16.
Winter kommt, drei Tage Finsternis,
Blitz und Donner und der Erde Riß.
Bet daheim, verlasse nicht das Haus,
Auch am Fenster schaue nicht den Graus!
17.
Eine Kerz, die ganze Zeit, allein
1949: Eine Kerz die ganze Zeit alleine gibt
1950: Eine Kerz die ganze Zeit alleine gibt
1955: Eine Kerze gibt die ganze Zeit allein
1960: Eine Kerze gibt die ganze Zeit allein
Gibt, wofern sie brennen will, dir Schein.
1949: Wofern sie brennen will dir Licht
1955: (Wofern sie brennen will) dir Schein
1960: Sofern sie brennen will, dir Schein
Giftger Odem dringt aus Staubesnacht:
1949: Geistger Odem dringt aus Staubesnacht
Schwarze Seuche, schlimmste Menschenschlacht!
18.
Gleiches allen Erdgebornen droht,
Doch die Guten sterben selgen Tod;
Viel Getreue bleiben wunderbar
Frei von Atemkrampf [1955: Fußnote: Andere Lesart: Menschenkampf] und Pestgefahr.
19.
Eine große Stadt der Schlamm verschlingt,
Eine andere mit dem Feuer ringt.
Alle Städte werden totenstill,
Auf dem Wiener Stephansplatz wächst Dill.
20.
Zählst du alle Menschen in der Welt,
Wirst du finden, daß ein Drittel fehlt,
Was noch übrig, schau in jedes Land
Hat zur Hälft verloren den Verstand.
21.
Wie im Sturm ein steuerloses Schiff
Preisgegeben einem jeden Riff,
Schwankt herum der Eintagsherrscherschwarm,
1949: Schwankt herum der Eintag-Herrscher Schwarm
1950: Schwankt herum der Eintag-Herrscher-Schwarm
1955: Schwankt herum der Eintags-Herrscher-Schwarm
Macht die Bürger ärmer noch als arm.
22.
Denn des Elends einzger Hoffnungsstern
Eines bessern Tages ist endlos fern.
Heiland sende, den du senden mußt,
Tönt es angstvoll aus der Menschenbrust.
23.
Nimmt die Erde plötzlich andern Lauf?
Steigt ein neuer Sonnenstern herauf?
1949: Steigt ein neuer Hoffnungsstern herauf?
1950: Steigt ein neuer Hoffnungsstern herauf?
1955: Steigt ein neuer Hoffnungsstern herauf?
1960: Steigt ein neuer Hoffnungsstern herauf?
Alles ist verloren! hier noch klingt,
Alles ist gerettet! Wien schon singt.
24.
Ja von Osten kommt der starke Held,
Ordnung bringend der verwirrten Welt,
Weiße Blumen um das Herz des Herrn
Seinem Rufe folgt der Wackre gern.
25.
Alle Störer er zum Barren treibt,
1949: Alle Störer er zu Paaren treibt
1950: Alle Störer er zu Paaren treibt
1955: Alle Störer er zu Paaren treibt
1960: Alle Störer er zu Paaren treibt
Deutschem Reiche deutsche Rechte schreibt.
1955: Deutschem Reiche deutsches Recht er schreibt
1960: Deutschem Reiche deutsches Recht er schreibt
Bunter Fremdling, unwillkommner Gast,
Flieh die Flur, die nicht gepflügt du hast.
1955: Flieh die Flur, die du gepflügt nicht hast
1960: Flieh die Flur, die du gepflügt nicht hast
26.
Gottesheld, ein unzerbrechlich Band
Schmiedest du um alles deutsche Land!
Den Verbannten führest du nach Rom,
1925: Den Verbannten führst du heim nach Rom
Große Kaiserweihe schaut ein Dom.
1925: Große Königsweihe schaut ein Dom.
1949: Große Kaiser schaut der Dom
1950: Große Kaiser schaut der Dom
27.
Preis dem einundzwanzigsten Konzil,
Das den Völkern weist ihr höchstes Ziel
Und durch strengen Lebenssatz verbürgt,
Daß nun Reich und Arm sich nicht mehr würgt.
28.
Deutscher Name, der du littest schwer,
Wieder glänzt um dich die alte Ehr,
Wächst um den verschlungnen Doppelast,
Dessen Schatten sucht gar mancher Gast.
29.
Dantes und Cervantes weicher Laut
1955: Dantes und Cervantes welsche Laut
1960: Dantes und Cervantes welscher Laut
Schon dem deutschen Kinde ist vertraut,
1955: Schon dem deutschen Kinde sind vertraut
Und am Tiber- wie am Ebrostrand
1955: Und am Tiber- und am Ebrostrand
Singt der braune Freund von Herrmanns Land.
1955: Liegt der braune Freund vom Herrmannsland
1960: Liegt der braune Freund von Herrmannsland
30.
Wenn der engelsgleiche Völkerhirt
Wie Antonius zum Wandrer wird,
Den Verirrten barfuß Predigt hält,
Neuer Frühling lacht der ganzen Welt.
31.
Alle Kirchen einig und vereint,
Einer Herde einzger Hirt erscheint.
Halbmond mählich weicht dem Kreuze ganz,
Schwarzes Land erstrahlt im Glaubensglanz.
1925: Heidenland erstrahlt im Glaubensglanz.
32.
Reiche Ernten schau ich jedes Jahr,
Weiser Männer eine große Schar,
Seuch und Kriegen ist die Welt entrückt:
1955: Seuchen, Kriege sind der Welt entrückt
Wer die Zeit erlebt, ist hochbeglückt.
33.
Dieses kündet deutschem Mann und Kind,
Leidend mit dem Land die alte Lind
Daß der Hochmut mach das Maß nicht voll,
Der Gerechte nicht verzweifeln soll.
Gruß
Taurec
--
„Es lebe unser heiliges Deutschland!“
―
„Was auch draus werde – steh zu deinem Volk! Es ist dein angeborner Platz.“