Kleine ;-) Annotation (Schauungen & Prophezeiungen)

Harald Kiri, Dienstag, 20.10.2020, 19:07 (vor 1274 Tagen) @ Phoebus (776 Aufrufe)

Hallo Phoebus,

dass die Rechtschreibung irgendeinen Einfluss auf die Sprache hätte, wage ich zu bezweifeln. Sie regelt lediglich die Schreibweise und war schon in der Version, die Du in der Schule lerntest, normiert.

Hier Auszüge aus schriftdeutsch.de:

Nach der Schaffung des Deutschen Reiches 1871 berief der preußische Kultusminister 1875 eine Konferenz zur "Herstellung größerer Einigung in der deutschen Rechtschreibung" ein, an der u. a. Konrad Duden teilnahm, dessen Name jedem Deutschen heute bekannt ist. Ihre Beschlüsse wurden von den meisten Ländern jedoch abgelehnt, und Reichskanzler Bismarck verbot den Beamten unter Strafandrohung sogar, die neuen Schreibregeln zu befolgen.

(Deine Rebellion gegen eine Erneuerung hat also prominente Vorkämpfer.)

Schließlich legte 1901 die vom Reichsamt des Innern einberufene 2. Berliner Orthographiekonferenz die seither übliche Rechtschreibung fest, die ein Jahr später vom damaligen Bundesrat als für alle deutschen Länder verbindlich erklärt wurde und im Wörterbuch Konrad Dudens ihren Niederschlag fand. Dieses paßte die Rechtschreibung in der Folgezeit allerdings dem tatsächlichen Schreibgebrauch an, wenn es Abweichungen von den 1901 beschlossenen Regeln feststellte.

1903: Die 1901 beschlossenen Orthographie wird am 1. Januar in den Behörden des deutschen Reiches eingeführt und am 1. April für die deutschen Schulen verbindlich.

1943: Reichserziehungsministers [sic!] Bernhard Rust (seit 1934) setzt eine Orthographiekommission ein. Deren "Vorschläge zur Vereinfachung der deutschen Rechtschreibung" ähneln dem "Erfurter Programm" (gemäßigte Kleinschreibung, ss nach kurzem Vokal, kein Komma vor Hauptsätzen etc.) und finden sich Jahre später in den "Stuttgarter Empfehlungen" von 1954 wieder.

1944: Eine vorsichtigere reduzierte Teilreform des Reichsministers sieht vor:
Eindeutschung von Fremdwörtern;
vermehrte Groß- und Auseinanderschreibung;
Konsonanten werden höchstens zweimal geschrieben: Schiffahrt, Schiffracht;
Trennung nach Sprechsilben: Pä-da-go-ge;
Kein Komma vor und und oder, auch nicht vor Hauptsätzen.

Diese "Kleine Rustsche Reform", die in vielen Einzelheiten der Schreibreform von 1996 gleicht, wird angesichts der sich abzeichnenden Kriegslage am 24. August durch eine Anordnung Hitlers gestoppt.

Hätte Hitler die Reform nicht 1944 gestoppt, hättest Du in der Schule in den 70ern schon so ähnlich geschrieben, wie es heute Standard ist.

1955: Die "Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder" teilt unter der Rubrik "Sonstiges" im Bundesanzeiger vom 15. Dezember 1955 mit, daß fortan in Zweifelsfällen der Sprache "die im Duden gebrauchten Schreibweisen und Regeln verbindlich sind." Damit wird zugleich ein Verlags-Monopol begründet, das bis zur Verabschiedung der Zwischenstaatlichen Vereinbarung über die Rechtschreibreform von Deutschland, Österreich und der Schweiz im Juli 1996 halten soll.

1995: Die "Deutsche Rechtschreibung. Regeln und Wörterverzeichnis" wird veröffentlicht. Im Dezember desselben Jahres stimmen die Kultusminister und Ministerpräsidenten einer veränderten Fassung zu; sie sind vor allem gegen die eingedeutschte Schreibung von Fremdwörtern.

1996: Juli: Eine gemeinsame Absichtserklärung zur Schreibreform wird durch die zuständigen Stellen Belgiens, Deutschlands, Italiens, Liechtensteins, Österreichs und der Schweiz in Wien unterzeichnet.

Erstmals eine einheitliche Schreibweise in vielen deutschsprachigen Gebieten Europas. Wie ich finde, eine großartige Leistung.

August: Zehn Bundesländer führen die neuen Regeln an den Schulen ein und schaffen so zwei Jahre vor dem vereinbarten Inkrafttreten "vollendete Tatsachen", auf die sie sich fortan berufen, um die Unzumutbarkeit der Rücknahme der Reform zu begründen.

2005: 1. August: Die "Rechtschreibreform" tritt in 14 von 16 deutschen Bundesländern eingeschränkt in Kraft: Getrennt- & Zusammenschreibung, Silbentrennung und Zeichensetzung werden nicht verbindlich, da der staatliche "Rat für deutsche Rechtschreibung" diese überarbeitet, und in Bayern und Nordrhein-Westfalen bleibt die Übergangsregelung bestehen, bis der "Rat" auch die übrigen "Reform"-Teile bewertet hat.

2006: 24. Februar: Der staatliche "Rat für deutsche Rechtschreibung" beendet auf Wunsch der Kultusminister vorzeitig seine Revision der "Rechtschreibreform". Die Laut-Buchstaben-Zuordnung, die Schreibweisen von Fremdwörtern und die ss-Schreibung kommen nicht mehr zur Sprache, die Groß- und Kleinschreibung wurde nur teilweise behandelt.

2. März: Die Kultusministerkonferenz (KMK) stimmt ohne Detailberatung den Vorschlägen des Rates für deutsche Rechtschreibung zu. Die Änderungen der Schulschreibung sollen vom 1. August 2006 an bundesweit umgesetzt und nach einjähriger Übergangsfrist gültig werden.

Wie gesagt, es geht allein um die Schreibung, nicht die Sprache.

Dass sich Sprache verändert, steht außer Frage.

Allerdings dachte ich, eine gesicherte Faktenlage könnte helfen, in weiteren Diskussionen Argumente zu haben.

Viele Grüße
Harald


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