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Vorausschauende Literatur (Schauungen & Prophezeiungen)

Taurec ⌂, München, Freitag, 04.01.2019, 10:02 (vor 1911 Tagen) @ Ludwig (1023 Aufrufe)

Hallo!

Zum Heerlager der Heiligen habe ich bereits etwas geschreiben, nämlich hier im Gelben und hier.

Das Heerlager ist nicht in der Quellensammlung, weil es sich weder um eine Seherschauung noch um eine klassische Prophezeiung handelt. Beide Sorten treten mit dem Anspruch auf, die Zukunft konkret zu zeigen. Hingegen handelt es sich beim Heerlager eher um eine Dystopie, die eine generationenlange Entwicklung und ihre Faktoren in ein einzigen Ereignis überspitzt darstellt. Die Gesamtentwicklung wurde korrekt vorweggenommen, ob allerdings dem Ende noch Aussagekraft innewohnt, darf bezweifelt werden, da es aus dramaturgischen Gründen überzogen ist. In unserer gegenwärtigen historischen Situation enthält der Roman meines Erachtens keine brauchbaren Aussagen mehr für die konkrete Zukunft. Allenfalls dient er der Klärung zur Zeit wirkender Mächte, wenn man Raspails verschiedenen Hinweisen auf die Grundlagen der Katastrophe folgt. Diese sieht er wohl nicht nur in der generellen Dekadenz, sondern auch in einem in Hintergrunde wirkenden antichristlichen, satanischen Geist, der sich des Abendlandes bemächtigt hat.

Den tieferen Ursachen der Krise wird im allgemeinen nicht auf den Grund gegangen. Auch Spengler beschrieb den bis heute wirkenden historischen Prozeß in seinem 1933 erschienenen Buch "Jahre der Entscheidung" korrekt, wobei er an einer Stelle davor warnt, die im Abendlande hochgekommenen revolutionären Kräfte, deren innerer Impuls schlicht dessen vollständige Zerstörung ist (aufgrund dessen, was man heute als "kulturellen Selbsthaß" bezeichnet), würden sich mit der aufbegehrenden farbigen Welt (= alle nichtweißen Bevölkerungen außerhalb und nunmehr auch innerhalb Europas) verbünden, um dem Abendlande ein für allemal ein Ende zu machen. Dies ist nunmehr unzweifelhaft geschehen. Der Feind sitzt in allen Regierungen und gesellschaftlichen Instiutionen und gibt den Ton an.
Der Antrieb der farbigen/außereuropäischen Komponente des Bündnisses ist das Beenden der weißen Dominanz, die in unserer Zeit nicht durch Kolonialismus, sondern mittels der Zwänge des weltweiten Finanz- und Wirtschaftssystems in Verbindung mit "Amerikanismus" aufrechterhalten wird. Die "Farbigen" wittern unsere Schwäche, haben unsere Technologien übernommen und finden in den kulturmasochistischen Europäern willfährige Verbündete. Das ist wohl eine der phänomenalsten Stellen in Spenglers Werk, die mit dem rund vierzig Jahre später erschienenen Heerlager korreliert, das indes eine mehr religiöse Perspektive einnimmt.

Wie Raspail selbst sagte, überkam ihn der Inhalt des Romans wie eine Vision (Quelle ist mir momentan nicht mehr gegenwärtig).

Dazu wären eine Quellenangabe und der originale Wortlaut wirklich interessant.
Die Frage ist außerdem, ob es sich nicht eher um eine poetische Wendung handelt. "Wie eine Vision" bedeutet nicht zwingend "gleich einer" oder "als Vision". Ich lese es so, daß ihn die Erkenntnis wie ein Schlag, wie eine Eingebung in Form eines Geistesblitzes traf.
Eine hellsichtige Intuition will ich Raspail nicht absprechen. Sie ist bei solchen Autoren, die konservativ und pessimistisch in die Zukunft blicken, wohl nicht selten anzutreffen.

Möglicherweise sind die Kategorien der Quellensammlung "Schauung" oder "Prophezeiung" zu eng gefaßt, weil die zugrundeliegenden geistigen Fähigkeiten sich auf vielfältige Weise in menschliche Tätigkeiten einbringen. Ich kann allerdings schlecht das ganze Buch in die Quellensammlung eintragen. Daher müßte ich bei Gelegenheit einen Artikel verfassen, der die wesentlichebn Aussagen des Heerlagers zusammenfaßt, und damit eine neue Kategorie (etwa "Literatur mit vorausschauendem Charakter" o. ä.) begründen.

Gruß
Taurec
(P.S.: Die Zuschrift ging vor Weihnachten ein und wurde von mir wegen allgemeinen Interesses als Gastbeitrag eingestellt.)


„Es lebe unser heiliges Deutschland!“

„Was auch draus werde – steh zu deinem Volk! Es ist dein angeborner Platz.“


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