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Zusammenhang mit IX/37? (Schauungen & Prophezeiungen)

Taurec ⌂, München, Montag, 11.09.2017, 09:23 (vor 2412 Tagen) @ Sagitta (4095 Aufrufe)
bearbeitet von Taurec, Montag, 11.09.2017, 09:48

Hallo!

Ich halte den Vers für eine reine Ereignis- und Datumsangabe. Er könnte deswegen als ein Hinweis aufgefasst werden, wie und dass Nostradamus zu einer Schauung (die Stadt, das Eis, der Wintersturm ...) die astrologisch-kalendarische Beziehung gesucht hat (Wintersonnenwende, d.h. 21./22. Dezember, Sonne Ingress Steinbock, Morgenstunde ...)***.

***) ich trage das hier nur bei, weil mir die Hypothese (und ihre öffentliche Äußerung in interessiertem Kreis) wichtig ist, dass Nostradamus seine Schauungsfähigkeit intentional auch auf Gestirnskonstellationen richten konnte: "sah" er auch Planeten, Sonne und Mond, mithin den Sternenhimmel in einer Ecke seiner Vision ??? Wenn andere Seher Kometen und Sternschnuppen 'sehen', warum darf dann Nostradamus keine Sternbilder 'schauen' !?

Das Problem ist, daß wir eigentlich gar nicht wissen, wie Nostradamus gesehen hat. Die beiden einleitenden Vierzeiler halte ich für rein allegorisch, um sich in die Reihe der antiken Orakel zu stellen. Ein Hinweis auf die Methode, mit welcher er sah, bzw. sich in den Schauungszustand versetzte, geben sie wohl nicht.
Denkbar wäre, daß er wie Jahenny, Lorber und einige andere Kontakt zu einem Jenseitigen hatte, der ihm die Verse schlicht diktierte, bzw. ihm akustische Informationen gab, die er zusammen mit seinem angelesenen Wissen in Versform brachte. Nostradamus basiert bekanntlich auf Pseudo-Methodius, Julius Obsequens, Johannes Trithemius und anderen sowie nicht zuletzt auf der Bibel und der traditionellen Endzeitprophetie. Denkbar wäre auch, daß er die Konstellationen auf Grundlage seiner eigenen mageren Fähigkeiten vorausberechnete oder sich schlicht und spekulativ überlegte, zu welchem Ereignis welche Konstellation wohl am besten paßte. Daß Nostradamus die Konstellationen selbst sah, halte ich für die unwahrscheinlichste aller Varianten, da sie durchaus naiv davon ausgeht, alles was ein Seher von sich gibt, wäre auch eine Schau.

Ich vermute ferner, dass er dieses Ereignis nicht nur als stolze Demonstration seiner Kunst und Fähigkeiten herausgreift, sondern dass es ein Indikator/Puzzleausschnitt für einen größeren Geschehenszusammenhang darstellt. Die Frage ist also, ob es Schlüsselbegriffe in diesem Vierzeiler gibt, die auf andere Vierzeiler verweisen.

Ja, durchaus. Im Vierzeiler IX/37 (nur 11 vor dem besagten!) ist ebenfalls von einer Katastrophe im Dezember und einer Flut die Rede. Die Frage ist, ob Nostradamus die relative Nähe zueinander deswegen herstellte, weil die Verse miteinander zu tun haben, oder weil sie nicht miteinander zu tun haben und er den Leser in die Irre führen will.

IX/37:
Pont & molins en Decembre verſez,
En ſi haut lieu montera la Garonne:
Murs, edifices, Tholoſe renuerſez,
Qu’on ne ſçaura ſon lieu autant matronne.

Brücke und Mühlen im Dezember gestürzt1,
Zu so hohem Ort steigt die Garonne.
Mauern, Gebäude, Toulouse umgestürzt2,
Wenn man seinen Ort nicht kennt, so wie die Matrona.

1 Frz. „verser“ = „gießen“, „kippen“, „umstürzen“ von lat. „vertere“ („wenden“).
2 Frz. „renverser“ = „umkippen“, „umstürzen“, „umwerfen“.

Z. 1: Symbole: Brücke = der Pontifex (Brückenbauer), also der Papst? Mühlen dahingegen das "weltliche Getriebe", z. B. der Wirtschaft? Möglicherweise steht "Brücke" als verbindendes Element in diesem Fall aber für Handel. Wirtschaft und Handel brechen im Dezember zusammen. Ein allgemeiner gesellschaftlicher Zusammenbruch. Dann wäre der Sturm in IX/48 ein rein abstrakter/symbolischer.
Z. 2: In Zusammenhang mit Zeile 1 könnte die Flut folglich das oft genutzte Symbol für "Umsturz" sein. An der Garonne liegen Toulouse und Bordeaux.
Z. 3: Vor allem Toulouse scheint davon betroffen zu sein. Seinerzeit war dort das Parlament zu Toulouse beheimatet, das für Südfrankreich als Gegengewicht zu Paris überregionale Bedeutung hatte. Darüber hinaus gab es in Bordeaux ein Parlament, welches für die umgebenden Provinzen zuständig war. "Garonne" kann für beide stehen.
Z. 4: "Matrona" war im antiken Rom sowohl die Bezeichnung für eine verheiratete Frau als auch für Muttergottheiten. Sie kennt ihren Ort ebenso nicht mehr wie "man", also die Allgemeinheit. Heißt: Die Menschen kennen ihre natürliche Stellung in der Gesellschaft nicht mehr, was ein typisches Merkmal der Demokratie ist, unter der die traditionelle Ordnung aufgelöst wurde. Die "Matrona" könnte der ebenfalls häufigen Chiffre der Frauenfiguren für Republiken (im Gegensatz zu männlichen Königtümern inklusive Papsttum, siehe Zeile 1) entsprechen. Der Vers kann dem entsprechend pauschal einen Umsturz wider die natürliche Ordnung oder im Rahmen einer Abirrung von dieser beschreiben. Ist man gewillt, IX/48 einzubeziehen, wäre davon nicht nur Frankreich, sondern auch Großbritannien (von Fluten umgeben) betroffen.

Frage: Handelt es sich um ein künftiges Ereignis, nämlich allgemeines Chaos und Bürgerkrieg in der Endphase der Republiken, wenn die demokratische (Dauer-)Umwälzung und die Herrschaft der dahinterstehenden Geldmächte zu ihrem naturgesetzlichen Ende führen? Oder ist dieser Umsturz bereits Vergangenheit?

Die Stadt ist umgeben von Eis: handelt es sich um eine Halbinsel-Stadt? Das kristallene Eis flutet: ist die Stadt gleichzeitig an einem Fluß gelegen, der zum Eisgang beiträgt? Für Städte weit im Norden (z.B. Sankt Petersburg) wäre das Ereignis nichts Ungewöhnliches und somit keine (von mir eben vermutete) besondere Markierung, womit dann eher wieder eine Stadt wie New York in Frage käme, bei der das gelegentlich, aber nicht regelmässig vorkommt.

Da "marée" im Mittelfranzösischen auch völlig unspektakulär soviel wie "Ufer" bedeuten konnte, könnte die Zeile schlicht auf den Umstand hinweisen, daß die Stadt auf einer von Wassern umgebenen Insel liegt. Dann käme am ehesten Großbritannien in Frage. London widmete Nostradamus bereits Verse zum Brand und der Pest 1665/66. Allerdings bin ich auch für andere Deutungen offen. Je weiter die Stadt örtlich und zeitlich von Nostradamus entfernt ist, desto herausragender müßte sie sein. In Amerika halte ich New York für den einzig denkbaren Kandidaten. Wenn man es auf New York bezieht, müßte es sich in Verbindung mit IX/37 um einen künftigen gesellschaftlichen Umsturz handeln, der natürlich Amerika, aber auch Frankreich/Europa betrifft.
Dann wäre auch eine komplementäre Naturkatastrophe nicht auszuschließen, was Johansson wieder ins Spiel brächte. Zeile 1 in IX/37 würde dann am ehesten für Welthandel und -wirtschaft stehen, deren Knotenpunkt New York ist.

Der folgende Artikel zählt einige der größeren Blizzards auf, die New York schon getroffen haben(= Schneestürme, manchmal eben zur Wintersonnenwende, d.h. um Weihnachten herum): http://www.nydailynews.com/new-york/5-snowiest-blizzards-new-york-city-history-article-1.2507123

Ich will aber nicht insinuieren, das Nostradamus tatsächlich New York gemeint hat.

Einen Blizzard (zumal im Dezember) halte ich für eine valide Deutung, wobei sich die Frage stellt, inwiefern mein obiges Deutungsregime dadurch wieder gelockert werden würde. Nostradamus schillert wie immer, und doppelte Böden oder Mehrfachbedeutungen sind nicht ausgeschlossen.

Gruß
Taurec


„Es lebe unser heiliges Deutschland!“

„Was auch draus werde – steh zu deinem Volk! Es ist dein angeborner Platz.“


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