nochmal Wallraff und Feldpostbriefe (Schauungen & Prophezeiungen)

randomizer, Sonntag, 17.08.2014, 22:11 (vor 3530 Tagen) @ Sagitta (4545 Aufrufe)
bearbeitet von randomizer, Sonntag, 17.08.2014, 22:39

Hallo Sagitta!

Ich bedanke mich bei @Ulrich und @Randomizer für Ihre historischen Tiefenbohrungen, indem ich eine eigene Bohrung zur Wallraff hier einstelle.
Sie war wohl nicht gebildet genug, um die von Ulrich zitierten Traditionen zu kennen.

Ulrichs Quergedanke ist originell, aber für uns an dieser Stelle nicht von Belang.

Allenfalls könnte die Vorhersage zu Papst und Köln durch ihren Herausgeber, den Ortspfarrer Heinen, in den Text ihrer Prophezeiungen hineingeraten sein, doch halte ich das für wenig wahrscheinlich.

Ja, eher unwahrscheinlich; das ist für uns auch unwichtig, da wir ja gerade die möglichen Vorlagen des prophetischen Elsässers untersuchen und nicht mutmaßliche Vorlagen der Helena Wallraff.

Es findet sich nichts von ihr in der Sammlung Beykirch (siehe unten Quellen 1),

Doch, auf den Seiten 75 bis 78, das Papstzitat findest Du auf Seite 77, siehe mein Posting an Dich vor wenigen Tagen.

allenfalls könnte der prophetische Franzose aus dem Elsaß ihre Voraussage zu Köln aus den Voix von Curicque kennen - das würde aber voraussetzen, dass der prophetische Franzose ein halber Deutscher war bzw. Deutschland in seinem persönlichen Focus hatte (darum auch seine Voraussagen regional auf den Süden Deutschland?).

Als Elsässer jener Zeit war er vermutlich wirklich halb Franzose, halb Deutscher. Ob er eher germanophiler Franzose oder vielmehr franconisierter Deutscher war, finde ich nicht so entscheidend. Wichtig für uns ist nur, daß er beide Sprachen fließend sprach. Falls jemand aber unbedingt über die Herkunft/Abstammung des prophetischen Elsässers fachsimpeln möchte: Er war ja Mitglied der Loge 'Zur Treue' in Colmar, die dortigen Mitglieder jener Zeit haben zu >90% deutsche Namen, daher ist die Wahrscheinlichkeit relativ groß, daß auch der prophetische Elsässer einer deutschen Familie entstammte.

Denn in der französischen Prophezeiungstradition spielen deutsche Themen und Orte eigentlich nur eine nebensächliche Rolle (siehe unten Quellen 2).

Daher auch mein Vorschlag, nicht umständlich Curicque zu bemühen, sondern vielmehr die deutschen Sammlungen wie Beykirch (1849), Truelle (²1850) oder Warnefried (1861) zu favourisieren (vgl unten). Die meisten Einschübe/Fremdmotive aus Rills Feldpostbriefen finden sich nämlich bereits in diesen Sammlungen!

Falls die Papst-Köln-Voraussage des prophetischen Franzosen tatsächlich auf Wallraff/Curique zurückgeht, so zitiert er sie unvollständig. Im Original lautet sie dort: "D’apre`s Hélène Wallraff, il arriverait aussi qu’un Pape fugutif, suivi seulement de quatre cardinaux, viendrait se réfugier à Cologne."

Er (bzw. Rill) zitiert unvollständig (egal ob aus Beykirch oder Curicque), aber warum soll das von Belang sein?

Das heißt: die Prophezeiung hat bei Wallraff ein weiteres, auffälliges Charakteristikum, nämlich die vier Kardinäle.

soweit so bekannt..

Die Frage ist, ob dies ein literarisches Motiv der Prophezeiungstradition ist oder genuin von Wallraff stammt

..imho genuin, aber was hat das mit den Feldpostbriefen zu tun?

Umgekehrt hat der prophetische Franzose neben dem regierenden Papst noch das Motiv des Friedensschlusses - da wüßten wir gerne, ob das auf die Wallraff zurückgeht - können wir aber nicht mehr nachprüfen (siehe aber ganz unten das Zitat aus dem Wörterbuch Aberglauben).

Liest Du die Quellen eigentlich auch, mit denen Du hier jonglierst? Oder liest Du wenigstens die Antwort-Postings an Dich?

"Bei Cöln oder in Cöln, soll der Weltfriede geschlossen werden.[...]"
=Heinen, E. J.: Helena Wallraff von Brüggen, die merkwürdigste Seherin am Rhein. Euskirchen 1849, Seite 23

Ein paar ganz wenige Infos zur Wallraff findet man in einem Büchlein von 1849 (Quellen 3), Curicque hat seine Zitate wohl daraus oder aus aus einer deutschen Schrift jener Jahre (ebenfalls Quellen 3).

Curicque übersetzt die rheinisch-westphälischen Prophezeiungen wahrscheinlich aus einer der deutschen Sammlungen: entweder Beykirchs 'Prophetenstimmen';(1849) oder Truelles 'Buch der Wahr- und Weissagungen' (1850) oder Warnefrieds 'Seherblicke in die Zukunft' (1861). Daß Curicque Heidens Heftchen kannte, ist recht unwahrscheinlich, aber nicht völlig ausgeschlossen. Diese Prophetien waren übrigens allesamt auch bereits 1850 in England und Amerika bekannt: z.B. Gregory, William: "German Popular Prophecies." in: The Eclectic Magazine of foreign literature, science and art. New York 1850, Seiten 465-476. Dies nur am Rande als Beispiel für die häufig überschätzte Sprachbarriere.

Ich komme nochmals zurück auf den prophetischen Franzosen. Die Diskussion habe ich nur angefangen aus methodischen Gründen, um darauf aufmerksam zu machen, dass wir bei der Beurteilung von Schauungen einerseits danach fragen müssen, ob der/die Schauende sogenannte Bestätigungen vorweisen kann. Im Falle des prophetischen Franzosen finden sich in den ersten Teilen der Feldpostbriefe ja einige entsprechende Anhaltspunkte (vorausgesetzt die Briefe stammen tatsächlich aus dem Jahr 1914, und die von Bender recherchierten Hintergründe sind korrekt). Neben solchen Bestätigungen muss man sodann weiter prüfen, wie eine Voraussage sich zur Tradition verhält, d.h. wie weit sie einerseits mit der Tradition identisch ist und von ihr somit wahrscheinlich abstammt, und inwiefern sie andererseits von der Tradition abweicht.

Den Antworten von Taurec und mir kannst Du entnehmen, daß wir dies ohnehin genauso handhaben.

Besonders das Letztere ist dann wichtig, im Falle des Franzosen etwa die Hinweise auf die Naturkatastrophenereignisse in Bayern, auf Kriegsgerät, Flucht und Revolution der Russen, auf die Schweizer Hilfe. Derartige Information machen eine Voraussage nicht sicherer, aber in gewisser Weise wertvoll.

..bis hierher noch verständlich..

Die hier aufgezählten Merkmale gelten demnach auch für die Beurteilung der Voraussagen etwa von NeuOrest, Schippie und Aeneas, die ich für wichtig erachte und die ich gerne kommentiert hätte, aus Zeitgründen aber leider nicht kann. Diese aktuellen Schauungen gehen inhaltlich über das, was wir bereits wissen, nicht hinaus. Aber sie bringen neue Farben ins Spiel, und das lässt sie, ganz wie die Feldpostbriefe, authentisch erscheinen.

Du hast manchmal (nicht nur an dieser Stelle) eine merkwürdige Art zu argumentieren und zu schlußfolgern, das macht eine Fachsimpelei mit Dir eher anstrengend.

Viele Grüße
randomizer


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