Diverses: (1) Der Hochgestellte (Schauungen & Prophezeiungen)

Gerhard, Samstag, 17.04.2010, 21:02 (vor 5095 Tagen) (6463 Aufrufe)

Guten Abend!

Ich möchte unter dem Schlagwort „Diverses“ in mehreren Beiträgen verschiedene Fragen ansprechen, die zwar inhaltlich in ganz unterschiedliche Diskussionen der letzten Woche gehören, vielleicht jedoch wichtig und von allgemeiner Bedeutung sind. Die erste Frage ist die nach dem „dritten Hochgestellten“, der vor Kriegsausbruch ermordet werden soll.

Ich habe dazu den möglicherweise ältesten greifbaren Beleg herausgesucht, der zwar erst 1986 veröffentlicht wurde, aber auf einen Besuch zurückgeht, den Konstantin von Bayern Ende 1948 bei Irlmaier gemacht hat. Konstantin von Bayern war damals journalistisch tätig und hat für diverse Blätter Erlebnisberichte seiner Reisen und Begegnungen verfasst. Seine Meinung von Irlmaier war nicht sehr hoch, was schon daran kenntlich sein dürfte, dass er ihm den Namen „Irrlmeier“ gibt. Dennoch dürfte sein Bericht authentisch sein.

Der Mann auf der Bank, ohne die Pfeife abzuheben, forderte mich jetzt auf, Platz zu nehmen. Kein Wort wurde zwischen uns gewechselt, als ob er mich erwartet hätte.
Die Frau am Herd schimpfte:
„Prophezeit wird nicht!“
„Was für ein Mond heute Nacht", lenkte ich ab.
„Prophezeit wird nichts!“
Der Mann, der Irrlmeier, wandte den Kopf langsam zum Fenster. Ein kleines, bäuerliches, quadratisches Fenster zwichen geblümten Vorhängen. Auch er sah den Mond. Er nahm die Pfeife aus dem Mund, mit einer, wie mir schien, unendlich erstaunten Bewegung. Die Haut über seinen Backenknochen begann sich unnatürlich zu spannen. Der linke Ellenbogen, mit dem er sich auf der Tischplatte aufgestützt hatte, rutschte ihm unter die Kante. Der Kopf fiel ihm auf die Brust, ruhte auf dem gestickten Hosenträger.
„Nein“, rief die Frau am Herd. Sie streckte abwehrend beide Arme aus. „Nein!“
Er hatte sich eine Hand vor die Augen gelegt. Die andere, hängende rechte Hand, öffnete unter fremdartigen Impulsen die Finger, schloß sie, öffnete sie wieder. Ich sah seine Brust sich heben und senken.
„Jessas, jetzt hat’s ihn wieder derpackt!“
Die Frau am Herd hatte geschrien. Ich wurde Zeuge einer Vision, die in unzusammenhängenden Worte gestammelt, an grausiger Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig ließ.

„Die Ähren“, hörte ich Irrlmeier beschreiben, „stehen hoch am Halm. Das Laub an den Bäumen beginnt sich schon zu bräunen. Da geschieht der dritte Mord.“
„Morde? An wem?“
Sein Antwort kam, ohne dass er die merkwürdig eingesunkene Haltung verändert hatte, wie von tief hergeholt, oder wie aus weiter Ferne gesprochen. Ich musste mich zu ihm über den Tisch lehnen, um „Gandhi“ zu verstehen, „Bernadotte“.
„Der Dritte?“
„Erkenn ihn nicht.“

Nach einer Pause:
„Nach dem dritten Mord geht’s los!“
Kein Zweifel, er sprach von Krieg. Schon wieder Krieg.
„Das ganze Land zwischen Donau und Rhein ist in Rauch gehüllt. In drei gepanzerten Keilen greifen sie an, von Ost nach West, von Berlin bis zur böhmischen Senke. Sie spitzen sich zu auf Ruhr und Rhein. Jetzt, jetzt kommen die weißen Vögel vom heißen Sand.“
Ich sah ihn die Hand von den Augen nehmen. Was für Augen. Augen, wie die eines Blinden, die um so schärfer nach innen sehen.
„Sie kommen über die Alpen“, sagte er. Er wandte den Kopf zur Wand, dahinter ich die Berge wusste.
„Immer mehr.“
Er hob den Kopf zur Decke, als ob dort der offene Himmel und Tag wäre. Er schaute aus nach Norden.
„Armes Böhmen. Armes Prag.“
Er blickte in nordwestlicher Richtung.
„Sie werfen etwas ab, schaut aus wie Pakete, gelbe Pakete. Wo die hinfallen, da gibt es kein Leben mehr. Die Menschen liegen tot zwischen den Vögeln, die vom Himmel gefallen sind, auf den Straßen und Plätzen zwischen Häusern, an denen keine Fensterscheibe gebrochen ist.“
Warum sollte ich’s leugnen: Vor Beklemmung wagte ich kaum zu atmen. Weiter hörte ich ihn sagen: „Das Fleisch fällt den Toten schwarz vom Gerippe.“

Quelle: Konstantin von Bayern, NACH DER SINTFLUT, Berichte aus der Zeit eines Umbruchs, 1945-1948, Süddeutscher Verlag München, 1986 (Seite 163).

Konstantin versucht noch weitere Fragen an Irlmaier zu richten (und der gibt auch einige versprengte Antworten), aber Irlmaier ist offenbar innerlich aufgewühlt, insbesondere von der Frage nach Rom und dem Papst, und beendet seine Schau mit den Worten „Alles verschwimmt mir.“

Wenn nun der Bericht Konstantins der Wahrheit entspricht, so hätten man vermutlich den frühesten Beleg für die Aussage über das „dritte Attentat“, denn Gandhi wurde im Januar und Bernadotte im September 1948 ermordet, und Konstantin dürfte Ende des Jahres bei Irlmaier gewesen sein.

Die nächste Beleg zu diesem Thema stammt aus 1949 (Bayerische Landeszeitung, 22.10.1949). Auf die Frage:

"Wann wird das geschehen?", antwortet der Seher: "Nach dem dritten Mord!"

Dann folgt ein Beleg aus dem Jahr 1952:

"Ich aber seh' genau, dass ein neuer Krieg über uns kommen wird. Zuerst bringen's noch den Dritten um, auch einen Hochgestellten. Zwei hams schon ermordet. Da drüben muss er d'ran glauben, wo die Sonne aufgeht, und dann bricht's los über Nacht."

Diese Aussage stammt von dem offenbar zuverlässigen Ernst Ladurner. Hier bleibt offen, ob Irlmaier die beiden anderen Morde „gesehen“ haben könnte (ob in der Vision vor Konstantin oder ein anderes Mal). Mir scheint aber, dass Irlmaier hier in gewöhnlicher historischer Rede sprciht, die beiden ersten Attentate demnach als allen aus den Nachrichten bekannt voraussetzt.

Mir scheint weiter, dass in der Folgezeit Irlmaier in Interviews und bei persönlichen Fragen nun den Ausdruck "der dritte" formelhaft verwendet. So macht es wenigstens den Eindruck gegenüber der Frau, die 1956 einen Umzug nach Hamburg hat, und der er eine Rettungsroute vorschlägt.

"Bis der dritte Mord an einem Hochgestellten geschieht, mußt laufen! Nicht auf der Autobahn, sondern rückwarts auf den Bundesstrassen, die Autobahnen sind alle verstopft. Der Russ kommt."

Und möglicherweise aus einem der letzten Interviews in Irlmaiers Todesjahr 1959 stammt das folgende Zitat:

"Es hat sich nicht das Geringste daran geändert. Nur weil es nähergekommen ist, sehe ich es viel deutlicher. Und die zwei Männer, die den 'dritten Hochgestellten' umbringen, sehe ich auch."

Hier ist die Orthographie bemerkenswert (einfache Anführungszeichen), weil nur zwar wieder der „dritte Hochgestellte“ formelhaft auftaucht, er gleichzeitig aber gegen seine zwei Mörder abgegrenzt wird. In einem parallelen Beitrag werde ich auf die Mordszene selbst eingehen.

Hier wollte ich nur durch den obigen Text die von BB geäußerte Vermutung etwas absichern, dass mit den ersten zwei Morden Gandhi und Bernadotte gemeint waren. Beim Studium der Texte von Irlmaier wird ganz offensichtlich, dass er den dritten Krieg zu Anfang der 1950er Jahre erwartet hat. Damals hat die Formel vom „dritten Hochgestellten“ Sinn gemacht. Für unsere eigene Gegenwart wäre es wohl angebracht, nur von dem „Mord an einer hochgestellten Persönlichkeit“ zu reden.

Diese Auffassung scheint bereits 1978 bei Schönhammer durch, der eine sonst unbekannte Textquelle benutzt (wie bei Bekh auf einen Salzburger Priester zurückgehend?), in der nur noch allgemein die Rede ist von „Ich sehe einen Großen fallen, ein blutiger Dolch liegt daneben“. Dass diese Aussage auf Irlmaier zurückgeht, lässt sich durch das „ich sehe“ plausibel machen, sowie durch den Dolch, der sehr wahrscheinlich nicht symbolisch gemeint ist. Darüber mehr in meinem zweiten Beitrag „Die Ermordung“.

Gerhard


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