Irlmaier & Co. (Schauungen & Prophezeiungen)

trace, Donnerstag, 18.03.2010, 21:08 (vor 5123 Tagen) @ Taurec (5834 Aufrufe)
bearbeitet von trace, Donnerstag, 18.03.2010, 21:17

Es ist das Problem aller Seher, Propheten, Wahrsager oder wie auch immer man sie bezeichnen möchte, dass sie keine Zeitangaben zum Vorhergeschauten machen können! Wie man weiß, sind zeitliche Zuordnungsversuche vor Eintreffen der erwarteten Ereignisse - ob nun vom Seher selbst oder späteren Betrachtern - so gut wie nie erfolgreich. Trotzdem wird genau das von beiden Parteien (die eigentlichen Seher und die mit der Schauung Konfrontierten) immer wieder mit Vehemenz angestrebt, wahrscheinlich weil sie keinen Sinn darin erkennen können, möglicherweise etwas vorherzuwissen, aber eben nicht das "wann", ja, nicht einmal ob überhaupt die eigene Lebenszeit bzw. Person davon betroffen ist. Es ist somit Tragik und Schicksal des "Sehenden", das geglaubte "Wissen" nie wirklich mit Außenstehenden teilen zu können. Er kann zwar davon künden, aber immer mit dem Risiko, nicht für voll genommen zu werden oder zumindest mehr oder weniger direkter Skepsis zu begegnen. Im besten Fall kann er auf "Gläubige" hoffen, mit denen aber nie auf "Augenhöhe" zu diskutieren ist. Wenn hier zudem von "anerkannten Schauungen und Sehern" die Rede ist, so kann es nur solche betreffen, die seit längerer Zeit bekannt sind und unter dauerhafter Beobachtung stehen und dabei zumindest ein paar Beachtungstreffer hatten.

Hier zeigt sich gleich das nächste Problem: Schon die Chronisten diverser Seher machen den feinen Unterschied zwischen "kleinen" und "großen" Schauungen, wobei das gelegentliche Eintreffen so genannter "kleiner" Schauungen dann als Indikator für die Glaubwürdigkeit der noch nicht eingetroffenen "großen" Schauungen angesehen wird. Nun ist aber das Phänomen kleiner Schauungen - worunter die direkte und zeitnahe Betroffenheit des Sehers und seines Umfeldes (auch des geographischen) zu verstehen ist - nicht wirklich außergewöhnlich. Wer sich mit dem Thema befasst, wird bestätigen, dass ihm solches manches Mal sogar mit einiger Genauigkeit schon selbst passiert ist, und bei gezieltem Nachfragen wird er von manchem Anderen Ähnliches erfahren können. Die Wenigsten dürften darüber Buch führen, geschweige denn auch noch einem größeren Publikum Mitteilung machen. Wen sollte es schon interessieren, dass man in aller Klarheit die Umstände des Ablebens von Tante Frieda "gesehen" hat oder im "Traum" knöcheltief in der eigenen Wohnung im Wasser stand, was 3 Tage später die defekte Waschmaschine verwirklichte? Mit solchen Vorgesichten würden m.E. höchstens Profilneurotiker hausieren gehen, um sich den Nimbus des Besonderen geben zu können. Nun hat sich aber gezeigt, in welch krassem Kontrast die "großen" Schauungen diesen kleinen gegenüberstehen. Alles, was über die eigenen Person, das direkte Umfeld, die geographische Lage und einen überschaubaren Zeitrahmen hinausgeht, wirkt demgegenüber - trotz (möglicherweise) klar "gesehener" Bilder - ziemlich zusammenhangslos, verschwommen und unbestimmbar. Nicht selten hat der Seher ausgesprochene Mühe, die "Bilder" in die richtigen Worte umzusetzen, und oft werden zusätzlich mehrdeutige Umschreibungen notwendig, weil dem jeweiligen Seher in seiner eigenen Zeit noch die entsprechenden Begriffe fehlen. Da wundert sich dann der Zeitgenosse, und der spätere Deuter bzw. Interpret hat das große Rätselraten.

Ich will hiermit gewiss keinen echten Seher vom Sockel schubsen, obwohl ich der Meinung bin, dass es davon nur sehr wenige gibt. Die nicht seltene Fähigkeit, Dinge und Ereignisse, die bereits anstehen und somit schon "in Luft liegen" zu erahnen oder in Träume umzusetzen, macht noch keinen Seher! Ihre Bilder sind bereits in der Zeit!
Der wirkliche Seher braucht den Zugang in den Bereich, der noch nicht Zeit ist, wo die Dinge in Ihrer Potenz vorhanden sind, also das Ungeschehene und auch alles (aus der Zeit) Verdrängte. Der Seher vermag vielleicht winzigste Bruchteile einer dieser Potenzen zu erfassen; möglicherweise sieht er bildhaft die Folgen einer Vorgeschichte, die er nicht mal mehr kennt, deren Weichen aber bereits gestellt wurden.

Nun weiß ich zwar nicht, ob es bereits eine Statistik über positive und negative Voraussagen gibt, aber ich gehe davon aus, dass die überwältigende Mehrzahl negativ ist. Das mag vielleicht auch daran liegen, dass ihnen mehr Beachtung geschenkt wird, schon weil es einfacher ist, gelassen eine gute Prognose abzuwarten, anstatt mit einer ständigen Bedrohung zu leben. Die Wahrscheinlichkeit der seherischen Wahrnehmung von eigenem wie auch kollektiv Verdrängtem dürfte folglich die größte sein, denn nur VERDRÄNGTES ist Bedrohung.


Die Überlegungen sind gewiss nicht vollständig - aber vielleicht ein Anfang?

Es grüßt
trace


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