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Zivilisation und Eigenwohl (Freie Themen)

Taurec ⌂, München, Sonntag, 18.09.2022, 13:57 (vor 580 Tagen) @ styx (792 Aufrufe)

Hallo!

Auf dem Land ist das in weiten Teilen auch der Fall; da macht die Gegend keinen Unterschied. Selbst wenn auf dem Dorf nach außen hin immer gern von Dorfgemeinschaft etc. geredet wird, hintenrum ist da auch Isolation und ein Gegeneinander (großteils).
Weil die Mehrheit eben nur aufs Eigenwohl bedacht ist, im Sinne von:
"Es ist egal was anderen passiert, solange es einem selbst nicht passiert."

Solche moralisch wertenden Begründungen halte ich nicht für zielführend. Die Menschen leben so, weil in den letzten grob 200 Jahren sukzessive die Lebensgrundlagen aus der jeweils eigenen Umgebung und Eigenverantwortung nach "oben" auf unpersönliche Systeme und Maschinerien verlagert wurden. Wir nennen das Zivilisation (die gemäß Spengler im Gegensatz zur Kultur steht, die es bis dahin gab). Gleich ob man auf dem Lande lebt oder in der Stadt, kommt die Nahrung aus dem Supermarkt, der Strom aus der Steckdose, die Nachrichten aus dem Fernseher (statt vom Nachbarschaftstratsch – zudem betreffen sie nicht das eigene Umfeld, sondern das Weltgeschehen, das für den Einzelnen eigentlich uninteressant sein sollte). Die Kinder werden nicht von der Sippe oder der Gemeinschaft erzogen, sondern vom Bildungssystem (auch negativ durch Abwesenheit dessen Funktionierens) bzw. vom Staat. Selbst Körperfunktionen werden maschinell oder pharmakologisch ans System ausgelagert. Wer früher Silber oder Gold sein Eigen nannte und dadurch einen "Wert an sich" in Händen hielt, trägt nun Banknoten herum oder verfügt über abstrakte Kontostände, deren Wert vom System nur versprochen wird. Auch das wurde (wie bald alle Aspekte des Eigentums) vom Einzelnen weg verlagert, so daß letztlich alles, was der Mensch früher selbst war und besaß, ihm nunmehr vom System zugewiesen wird und auch entzogen werden kann. Entsprechend sind die Menschen logischerweise nicht mehr wechselseitig aufeinander bezogen, sondern allein auf das System, den "großen Bruder" oder wie man es nennen will. Sie leben nicht mehr miteinander, sondern nebeneinander her und stoßen sich, wenn sich ihre Bahnen zufällig kreuzen. Wer den Menschen zum Vorwurf macht, was eigentlich eine kühle Zustandsbeschreibung sein sollte, gelangt nicht zum Kern des Problems dessen, was hier eigentlich vor sich geht. Selbst wenn die Mehrheit anders leben wollte, wäre es ihr praktisch völlig unmöglich. Man kann aus diesem Kartenhaus der Zivilisation nicht beliebig viele Karten herausziehen, ohne daß es mit tödlichen Folgen für alle Bewohner, deren Lebensgrundlage davon abhängt, zusammenbräche. Man vergesse nicht, daß diese Bevölkerungsmassen ohne globale Nahrungsmittelindustrie, weder entstanden wären, noch am Leben erhalten werden könnten. Ohne die Zivilisation und ihre die Einzelwesen entfremdende und in auf bloßes Funktionieren in Systemkreisen ausrichtende Existenzweise wären all diese Menschen, die von einem moralischen Standpunkt aus anders leben sollten, gar nicht vorhanden. Man kann aber von Menschen, die als eines ihrer Erzeugnisse (!) in der modernen Welt gefangen sind, nichts verlangen, das nur außerhalb dieser möglich ist. Wenn es heißt, daß nur einer von hundert oder einer von tausend zum "Waldgange" (also dem Austritt aus dem System) fähig sei, ist das mehr als eine Frage der geistigen Voraussetzungen. Es ist eine energetische/technische Zwangsläufigkeit. Die Mehrheit lebt nicht nur in der Zivilisation, sie ist die Zivilisation und wird mit ihr verschwinden, sich aber niemals ändern.

Das Bedachtsein aufs Eigenwohl halte ich übrigens für eine durchaus gesunde Einstellung, die dem Leben wahrscheinlich als "Grundprägung" eingegeben ist. Der springende Punkt liegt wieder im Unterschied zwischen der modernen und der alten Welt. Während das Eigene früher durchaus die eigene Lebensgemeinschaft umfaßte und dessen Wohlergehen das altruistische Engagement des Einzelnen förderte (wodurch dieser umgekehrt profitierte), ist in einer Zivilisation des Zurückgeworfenseins des Einzelnen auf sich selbst und Betreuung durch anonyme Subsysteme das Eigene schlicht die eigene Person (die ihrer Konditionierung folgt, um vom großen Bruder mit Konsummöglichkeiten belohnt zu werden) und sonst nichts. Am Primat des Eigenwohls ändert das nichts. Es wurde nur wie alles andere korrumpiert, so daß es nunmehr negativ wirkt.

Gruß
Taurec


„Es lebe unser heiliges Deutschland!“

„Was auch draus werde – steh zu deinem Volk! Es ist dein angeborner Platz.“


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