Manchesterkapitalismus und Saddam Hussein (Freie Themen)

Pat @, Montag, 15.11.2021, 23:53 (vor 865 Tagen) @ Fenrizwolf (505 Aufrufe)
bearbeitet von Pat, Dienstag, 16.11.2021, 00:19

Hallo Fenrizwolf!

Besten Dank für die musikalische Empfehlung, besonders für den bekannten Song Stairway to Heaven. Da ich nämlich eher mit den Beatles aufwuchs, hatte ich mir Zeppelin’s Meisterstück bisher noch nie richtig angehört.

<Mensch in innigerem Einklang mit der Natur lebte>

Ja, wahrscheinlich ist Urlaub für viele eine echte Erholung, weil – zumindest einige Leute – freiwillig auf die elektrische Dauerberieselung teilweise verzichten und ein Stück weit zu jenem natürlichen Rhythmus zurückfinden; zumindest im Sinne eines temporären Ausgleichs.

<waren die Segnungen der neuen Technik vielmehr ein Segen der führenden Schichten, […] als daß sie in ähnlichem Maße Lasten von den Schultern des gemeinen Menschen genommen hätten.>

Teilweise stimmt das, wobei das Wohlstandsniveau dennoch auch für den gemeinen Menschen angehoben wurde.
Marx irrte nicht nur, was die Utopie betrifft, sondern er hat sich vor allem darin geirrt, dass seine richtige Ausgangsbeobachtung – schlimmste Verhältnisse und Missbrauch der Arbeiter und Kinder während des Manchesterkapitalismus– zur historisch-logischen Konsequenz führe, die Arbeiter würden mit der Zeit – von unten angetrieben – eine Revolution starten.

<spiegelbildliche Reaktion auf brutale bolschewistische Umtriebe>

Historisch mag die Beobachtung zutreffen. Sie aber als massgebliche Erklärung darzustellen, leuchtet nicht ein:

X ist eine spiegelbildliche Reaktion auf Y.

X = Untaten, Missbräuche, Verbrechen der Gruppe braun.

Y = Untaten, Missbräuche, Verbrechen der Gruppe rot

(Farben bzw. Kollektive können beliebig geändert und ausgetauscht werden).

=> Man müsste voraussetzen, dass äussere Einflüsse (= Aktionen, Finanzierungen etc.) automatisch zu einer bestimmten Reaktion führen. Dies wäre ein Determinismus, in dem die Verantwortung für eine Tat nicht bei jedem Einzelnen liegt und zudem ein Kollektiv "reagiert", statt einzelne Menschen.
Solch eine Argumentation wird auch im materialistischen Sozialismus einseitig verwendet (ich sage nicht, dass Fenrizwolf diese vertritt): Da es u. a. keine Reinkarnation gibt, hat der Einzelne keine Verantwortung, in welche Verhältnisse er hineingeboren wird und was er aus sich selbst macht. Er ist für keine seiner späteren Taten (letztlich) verantwortlich, sondern nur die Ungleichheit, welche durch das ungerechte Herrschaftssystem bedingt sei oder aufrechterhalten werde (das andere Extrem wäre das indische Kastenwesen, wonach jede soziale Rückständigkeit und Ungerechtigkeit durch individuelles Karma gerechtfertigt werden kann).

<Wer als Deutscher beispielsweise der Mähr ewiger Kollektivschuld weiter frönen will, sollte nicht außer Acht lassen, daß der Gefreite Hitler […] durch die Demokratie erst dahin kommen konnte,

Die These, dass es erst in der Demokratie zu solch einem Herrscher kommen konnte, finde ich an sich eine interessante historische (alternative) Fragestellung.

<wohin ihn das Unwesen der Sozialisten erst mit finanzieller Unterstützung des Auslandes trieb.>

Falls er eine Marionette ohne freien Willen gewesen ist – wie ein Stück Treibholz – wäre trieb passend; ebenfalls was diejenigen Personen angeht, die an seinem Aufstieg (aktiv) beteiligt waren.

Hingewiesen sei auf Jaspers begriffliche Differenzierung, (die im Prinzip auf jedes Volk anwendbar ist, um sich mit Kriegsverbrechen aus der eigenen Geschichte auseinanderzusetzen und sich dabei weder mit dem flachen Begriff der Kollektivschuld zu belasten, noch Verbrechen aus der eigenen Geschichte mit Verbrechen anderer Völker aufzurechnen):

Vier Kategorien der Schuld, denen vier Instanzen der Klärung entsprechen [direkte Zitate aus der Webseite]:

- die kriminelle Schuld aufgrund objektiv nachweisbarer Gesetzesverstöße,
- die politische Schuld durch Handlungen der Staatsmänner, an denen der Einzelne durch seine Staatsbürgerschaft und durch seine Mitverantwortung, wie er regiert wird, beteiligt ist,
- die moralische Schuld durch Handlungen, deren Charakter nicht allein dadurch nicht verbrecherisch wird, daß sie befohlen sind,
- die metaphysische Schuld aus der Mitverantwortung für alles Unrecht und alle Ungerechtigkeit in der Welt ("Wenn ich nicht tue, was ich kann, um es zu verhindern, so bin ich mitschuldig".).

<"Die Instanzen zur Klärung der einzelnen Kategorien der Schuld sind
das Gericht (im formellen Verfahren) zur ersten Kategorie,
zur zweiten die Gewalt und der Wille des Siegers (wenn das Regime im Krieg unterlegen ist),
zur dritten das eigene Gewissen und schließlich
Gott allein zur vierten Kategorie.">

Fazit zum nichtssagenden Begriff der (kriminellen und moralischen) Kollektivschuld:

<"Ein Volk könne nie als Ganzes angeklagt werden, da Verbrecher immer nur der Einzelne sei.">

<"Ein Volk könne aber auch nie als Ganzes moralische Schuld tragen, da es keine allgemein verbindende Moral oder Unmoral eines ganzen Volkes gebe.">

( Quelle )


<Mord an Saddam Hussein>

Es kann zugleich zutreffen:

- Bestimmte Amerikaner des US-Regimes sind Kriegsverbrecher: Beispiel Massaker von Mỹ Lai
- Die USA haben den Irak-Krieg unter Lügen oder falschen Behauptungen begonnen.
- Bestimmte Iraker des Hussein-Regimes sind Kriegsverbrecher: Beispiel Anfal Operation (Tonbandaufnahmen)

In den Berichterstattungen wird die westliche Empörung als scheinheilig bezeichnet, da man schon längst von den Massakern an den Kurden gewusst habe und es zudem eine deutsche Finanzierung gab: "Nachträglich wurde bekannt: Über 50 Prozent der Ausrüstung für die Giftgasproduktion war Saddam Hussein aus Deutschland geliefert worden." ( Quelle)

=> In diesem Fall wäre es ebenso wenig einleuchtend, begrifflich zu artikulieren, die irakischen Kriegsverbrecher seien erst durch deutsche Finanzierungen zu den Taten getrieben worden.

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Wechsel in die musikalische Sphäre:

Me and that Man’s On the Road

Zum Gott Thor, der – während Ragnarök – gegen die Midgardschlange kämpft:
Amon Amarth’s Twilight of the Thunder God

Viele Grüsse, Pat


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«Die Kritik der Religion endet mit […] dem kategorischen Imperativ, alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist.»
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«Also war die Kritik der Utopie implicite bereits eine Kritik der Technologie in der Vorschau ihrer extremen Möglichkeiten.»
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«Das ist wirklich ein zu weites Feld.»


Gesamter Strang: