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Leseratte, Freitag, 20.08.2021, 18:11 (vor 978 Tagen) @ Taurec (756 Aufrufe)

Hallo,

ich erlaube mir drei Anmerkungen:

Erstens, es ist keine Inkonsistenz kirchlicher Theologie oder Ideologie, wenn nach der Apokalypse die Kirche überflüssig wäre. Das Bild der Offenbarung, dass im Neuen Jerusalem die Menschen Gott von Angesicht zu Angesicht zu sehen würden, impliziert genau dieses (Thomas von Aquin sah nach seiner Gottesschau seine Schriften als Spreu, also als Nichtiges).

Zweitens, richtig ist, dass das Buch Daniel und die Offenbarung des Johannes eher moraltheologische oder ideologische Schriften denn Offenbarung sind. Nur, die Apokalyptik ist im Judentum ein Import aus der persischen Religion, ähnlich wie die Selbstmordattentäter des modernen Islam ein Import aus der japanischen und buddhistischen Tradition sind. Beiden Phänomenen liegt zugrunde, dass die Importprodukte dem früheren Denken gegenüber fremd sind. Die Apokalypse hat allerdings ein Pendant in der germanischen Überlieferung, hier ist es Walhall, das untergeht und in dem die bösen Götter samt der Helden sterben, anschließend stünde der getöte Lichtgott Baldr wieder auf. Die apokalyptischen Bilder auf machtpolitische Erwägungen der Kirchenväter zu reduzieren greift zu kurz.

Die Frage, ob man in apokalyptischen Zeiten lebe, wird im Katholizismus und in der lutherischen Kirche als moralisch nicht vertretbar gesehen, zu oft hätten sich die Menschen geirrt und zuviel Böses sei daraus erwachsen, sodass man so nicht denken dürfe. Das ist keine ontologische Frage (“die Apokalypse ist ein Hirngespinst”) denn eine moralische: Diese Gedanken tun nicht gut und sind nicht zu denken.

Kann es sein, wenn ich mir die Frage erlauben darf, dass nach dem scheinbaren Ausbleiben der erwarteten Dinge du deine Skepsis so weit ausbreitest, dass du sagst, alles sei Unsinn und damit Marx repetierst, indem aus dem historischen Gebrauch ontologische Gewissheiten ableitest?

Grüße Leseratte


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