Graf von Stauffenberg bis Sophie von Bechtolsheim: Den Nachkommen zuhören (Freie Themen)

Pat @, Sonntag, 11.07.2021, 23:22 (vor 1018 Tagen) @ Fenrizwolf (620 Aufrufe)

Hallo!

meine These lautet, dass nebst politischen Sichtweisen oder Analogien die Aussagen von Betroffenen und Nachkommen, ihre Lebensgeschichten etc., ebenso relevant für diesen Diskurs sind.

Der syrische Mediziner Baschar al-Assad, Präsident Syriens, eines Kunststaates, dessen Grenzen die Briten in ihrem Wahn einst künstlich mit dem Lineal zogen, wurde, obwohl er Jahre zuvor mit den pompösesten Politnutten der Erde noch an einem Tisch saß, als das Übel der Welt dargestellt.

Wie dumm kann man eigentlich sein, um die Analogien zwischen Assad, Hussein, Gadaffi und Hitler nicht zu erkennen?

Was Deutschland während des Zweiten Weltkrieges betrifft: Zweifellos sah der Graf von Stauffenberg in Hitler ein Übel; und zwar so sehr, dass er bereit war, sein Leben für das Attentat bzw. den Tötungsversuch am 20. Juli 1944 zu riskieren und hingerichtet wurde.

Jedenfalls lässt sich der ganze Diskurs nicht nur primär auf die Perspektive der Siegermächte/Regierung versus in ihrer Meinung manipulierten oder einer "Zensur" unterworfenen Deutschen reduzieren; da ein breites Spektrum von ähnlichen und unterschiedlichen Berichten, Dokumenten und Lebensgeschichten zugänglich ist.
Allgemein bin ich überzeugt, dass wenn Zeitzeugen oder Nachkommen interviewt werden, deren Aussagen nicht nur vorausgehende Diskursstränge wiedergeben (wie z. B. bei Irlmaier-Zeitzeugen, deren Irlmaier -Zitate sich meistens auf die gleichen Plagiate zurückführen lassen), sondern sich das subjektiv Erlebte, Gefühlte, Erlittene, Gesehene usw. auch auf objektive Geschehnisse bezieht.

Die Autorin Sophie von Bechtolsheim, die Enkelin des Grafen von Stauffenberg, erzählt im Podacst (ca. 15 min) über ihr neues Buch:

Nach der Veröffentlichung von „Stauffenberg: Mein Großvater war kein Attentäter“ meldeten sich viele Menschen bei ihr und erzählten Bechtolsheim die Geschichten ihrer Familien in der Nazizeit: Manche waren Nachfahren von Tätern, manche von Opfern des NS-Regimes. In ihrem neuen Buch „Stauffenberg. Folgen“ hat von Bechtolsheim nun zwölf dieser vom Nationalsozialismus geprägten Lebensgeschichten versammelt. Jeder trage einen historischen „Rucksack“ mit sich, sagt Bechtolsheim, nämlich „dass wir alle unsere Geschichte erben, und zwar die große, allgemeine, aber auch das, was in den Familien passiert ist.“ Ihre Hypothese sei gewesen, dass es die Menschen sehr beschäftigt, was ihre Vorfahren getan und unterlassen haben. „Was erlitten oder verantwortet und verschuldet wurde, spült sich auch immer wieder von sich aus nach oben.“

Bemerkenswert ist, als Sophie im Podcast von der Begegnung mit Frau Johst erzählt, der Tochter von Heinrich Berger; des Stenografen, der durch den Sprengsatz von Stauffenberg am 20. Juli 1944 ums Leben kam. (siehe auch: https://www.bz-berlin.de/berlin/mein-vater-starb-beim-hitler-attentat-in-der-wolfsschanze )
Dabei geht es nicht nur um rückblickende Familienschicksale im Kontext der Geschichte, sondern auch, wie Frau Johst auf Sophie reagiert, was im Podcast zur Sprache kommt.
Weiter berichtet Sophie, "dass manche, aus der sogenannten Enkelgeneration, Verhaltensweisen haben, von denen sie gar nicht wissen, woher die kommen und erst wenn die vom Schicksal ihrer Grosseltern wissen, können sie das einordnen. Also zum Beispiel Frau Fleisch, die berichtet, dass sie als kleines Kind immer Täschchen auf ihrem Nachtkasten hatte, mit einem Apfel, dem Kinderausweis und dem Lieblingskuscheltier oder so, um eine schnelle Flucht zu ermöglichen. Und sie stammt eben – ein Teil ihrer Familie waren Juden – die sozusagen alles erlitten haben, was die Nazis den Juden haben antuen wollen und können. Und das haben mir ganz viele Leute berichtet, auch die die jetzt nicht in dem Buch zur Sprache kommen, dass diese Dinge eben immer wieder so nach oben schwappen und insofern ist es glaube ich auch wichtig, zuzuhören. Ich könnte mir vorstellen, dass viele Leute sich vielleicht auch in den einzelnen Geschichten wiederfinden."

Podcast: https://www.deutschlandfunkkultur.de/nationalsozialismus-wir-alle-erben-unsere-geschichte.1270.de.html?dram:article_id=495484

Sophie von Bechtolsheim: „Stauffenberg. Folgen. Zwölf Begegnungen mit der Geschichte“
Herder Verlag, Freiburg 2021

Viele Grüsse, Pat


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«Die Kritik der Religion endet mit […] dem kategorischen Imperativ, alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist.»
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«Also war die Kritik der Utopie implicite bereits eine Kritik der Technologie in der Vorschau ihrer extremen Möglichkeiten.»
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«Das ist wirklich ein zu weites Feld.»


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