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Unterhaltungsempfehlung Fernseh-Tatort „Vielleicht“ (Freie Themen)

Fenrizwolf, Sonntag, 11.07.2021, 07:07 (vor 992 Tagen) (626 Aufrufe)

Liebe Cineasten,

war mir der sonntägliche „Tatort“ mit seinem ewig gleichen Intro und dem asozialen Rüpelbullen im dreckigen Anorak so sympathisch wie die Titelmelodie der Lindenstraße, so hob eine adoleszente Nastassja Kinski einst das Niveau durch ihren Anblick nachhaltig so gewaltig, daß auch die angeweichten Eukalyptusbonbons in Schimanskis M65 dahinschmolzen und biedere bundesdeutsche Fernsehunterhaltung mehr Sinnlichkeit darbot als „Bondgirls“ es je vermochten – von Maryam d’Abo einmal abgesehen.

Da die Produktion der einzelnen nun ca. 538.274.064 „Tatorte“ Angelegenheit der Landessendeanstalten des öffentlichen Rundfunks ist, gestaltet sich deren Genese ausgesprochen föderalistisch mit hinreichend Lokalkolorit.

Mit den jeweiligen Konterfeis der involvierten Schauspieler in der Mediathek des „ersten Programms“ nach „Ermittlerteams“ fein kategorisiert, stellt sich schon beim Betrachten der Rubrik traurige Scham beim Betrachter ein.

Doch es würde dieser Sendereihe nicht gerecht, würde man sie pauschal für Schund erklären wollen.

Wie bei modernen Interpretationen Wagners „Ring der Nibelungen“ sind mit einigen Drehbuchautoren und Regisseuren wohl alle Reiter der Eukalypse dabei durchgegangen, Götz Georges Erbe als asoziales Ermittlerarsch in eine neue marode Welt zu überführen.

Es gab gruselige Orte, fantastische, humoristische und alberne solche; aber auch ausgesprochen gelungene Folgen, die vielleicht zum Besten gehören, was der zwangsabgabenfinanzierte Rundfunk in Jahrzehnten zu bieten hatte.

Der televisionistische Kommissar ist grundsätzlich ambivalent in seiner Struktur, hat er doch immer einen dramaturgischen Gegenpart.
Meist ist er ein kleines bißchen „asi“, neurotisch oder oberlehrerhaft und fährt stets ein historisches Automobil, daß seiner äußeren Erscheinung diametral entgegensteht. Sogar die Dienstwaffen sind meist individueller als die kongenialen Partner.

Das amüsante gegensätzliche Ensemble aus Jan Josef Liefers und Axel Prahl vermöchte stets zu gefallen, doch haben Treppenwitze die Angewohnheit sich zu verschleißen, so wie man auch das Münchner Duo nach mehr oder minder erfolgreichen Jahrzehnten für ein armoröses alterndes Paar halten könnte.

Allein der ewig wie von Sinnen empörte und zerbrechliche Martin Brambach und der stilistische Elitist Ulrich Tukur geben der Sendereihe eine annehmbare Note.

Zu oft, und ja, viel zu oft erinnern sich die Auftraggeber und deren Drehbuchschreiber ihrer volkserzieherischen Aufgabe. Döner gut – Bratwurst bäh!

Aber aufgrund der bis ins Endlose ausufernden Diversität gibt es neben Stangenkost und Altbackenem auch wirkliche Glanzlichter zu sehen: mal eher exzentrisch, mal gediegen.


Eine eher gediegene aber gelungene Produktion ist die Folge „Vielleicht“ (2014):

Eine introvertierte norwegische Studentin mit seherischer Gabe sieht den Mord an ihrer Kommilitonin präkognitiv voraus, und teilt dies unter stechendem Gewissen der Polizei mit.
Diese weist sie nicht ab, sondern insbesondere der nachdenkliche Kommissar zeigt sich offenherzig und interessiert. Als dann der Mord, wie gesehen, doch geschieht, entschließt sich jener in Zukunft beherzter zu handeln, was sowohl ihn wie auch die unfreiwillige Seherin in Nöte bringt, als diese ihm ein neues Gesicht offenbart.
Die Involviertheit in das geschlossene Schicksal und das Ringen der Protagonisten mit dieser Bürde wurden überraschend fein herausgearbeitet und legen alle Verletzlichkeit bloß.
Auch wenn es kein Meisterwerk geworden ist, thematisiert dieser Film unser Sujet auf wirklich erfrischend aufgeklärte weise, ohne schließlich mit Überraschung zu geizen.
Der Film wirkt dadurch, daß er sich auf das Wesentliche beschränkt, die Unmöglichkeit eines wirklichen offenen Dialogs und die Belastung der Protagonisten in den Vordergrund stellt, und demgemäß weder spekulativ noch abstrus ausufert.
„Vielleicht“ ist vielleicht viel zu leicht für Schnellfeuerschießsportathleten wie Tilly „the kid“ Schwaiger, aber blaue Bohnen allein, machen noch keinen gelungenen Eintopf.

Tatort "Vielleicht" in der Mediathek der ARD

MfG der Tartortreiniger

Fenrizwolf (als "Ermittler" Kommissar Matthew Hopkins)


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