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Haltung (Freie Themen)

Fenrizwolf, Sonntag, 20.06.2021, 11:50 (vor 1012 Tagen) (689 Aufrufe)

Hallo!

Es ist offenbar, daß Kooperation, Einfühlungsvermögen und die Fähigkeit zur komplexen Kommunikation das Erfolgsmodell des Menschen abbilden, mit dem er sich die Welt Untertan gemacht hat.
Gewiß, die Befähigung, Angelegen zu Abstrahieren und Erlerntes chronologisch zu sortieren und zu einer planvollen Erwartung zu Formen, sollte nicht unterschlagen sein.
Zwar sind Bären stärker, Insekten staatsfähiger und Greifvögel weitsichtiger, aber es ist doch der Mensch, der mit seinem Talent, auf Metaebenen denken zu können, das Rennen um die Weltherrschaft gewonnen hat.
So vermeinte man vor hundert Jahren - bevor der Mensch selbst zum Parasit seines eigenen Habitats geworden war.
Grundsätzlich ist der Mensch dem Menschen – bis auf Widerruf – Menschenfeind, da Opportunismus die gewaltigste Kraft im Streben und Denken ist. (Dein? Mein. Fein!)

Als empathische Wesen sind wir dazu verdammt, unserem Gegenüber ein gewisses Maß an Freimut zu offerieren, das sich unter Umständen bis hin zur Fürsorge ausdehnen kann.
Jede soziale Interaktion ist aber Preisgabe von persönlichen Grenzen. Im glücklichsten Fall führt dies zu gegenseitiger Erhebung in Form von Liebesbeziehungen, im Normalfall aber zu Konflikten.
Wir streiten uns, wir vertragen uns, wir behaupten etwas, oder gar uns selbst. Pack schlägt sich, Pack verträgt sich.
Im Grunde ist der Mensch trotz seiner Hybris doch vielmehr Fauna als ihm lieb ist. Manchmal, in Belangen der Partnersuche und Sexualität täte er gar gut daran, sich dessen gewahr zu sein.

Wesentliche Informationen werden nonverbal ausgetauscht, unbewußt bewertet und in Zusammenhang mit der Situation bzw. sozialen Interaktion gebracht.
Ohne Nachzudenken, werten wir, ob jemand weiblich, männlich, agil, fragil, alt, jung, fruchtbar oder furchtbar ist.
Man weiß durch die Befragung von bösartigen Gewalttätern, wie effektiv diese nicht bewußte Berechnung funktioniert.

Im Rahmen eigener Selbstbetrachtung ist mir einmal aufgefallen, daß ich meine Stimme nicht nur gemäß meiner eigenen inneren „Stimmung“ moduliere, sondern, daß ich zu fast jeder Person in Bezug auf das Maß von Intimität, Hierarchie und Wohlwollen sehr unterschiedlich intoniere.
Auf visueller Ebene war mir diese Fähigkeit leider nicht gegeben, was dazu führte, daß sich allmählich aber unmerklich innere Empfindungen in der Körperhaltung niederschlugen.

Zwar wußte ich, daß das Ausmaß meiner unwillkommenen Erlebnisse des letzten Lebensjahrzehnts zehrend und bedrückend waren, doch wunderte ich mich immer wieder darüber, ob das Ausmaß der Verrücktheit meiner Mitmenschen nicht längst einen kritischen Punkt ihrer Wahrnehmung erreicht haben müßte.
Machte man mir früher lieber freiwillig Platz, oder zeigte sich befremdlich vorsichtig, so häuften sich doch Provokationen, die ich als irritierend und ungebührlich empfand.
Daß ich rational nicht ohnmächtig und gern verbindlich bin, war wohl immer schnell klar, aber daß das Ausmaß meiner körperlich repräsentierten Unsicherheit meine Innere bei weitem übersteigen könnte, hätte ich nicht geahnt.
So wie ein überfordertes Immunsystem nicht mehr sicher vor Krankheiten schützt, setzt eine nicht adäquate Körperhaltung Signale, die mindestens zum Wettstreit einlädt.
Gerade für Persönlichkeitsgestörte wie Narzißten und Choleriker muß ich wirklich sehr einladend gewirkt haben.

In meiner frühen Jugend hatte ich mir durch Ungemach in der Schule auch einmal eine Haltung angewöhnt, die zur Repräsentation eigener Absichten wenig tauglich war.
Chronische Morgenmüdigkeit und für mich ungeeignete gymnasiale Lehrmethoden haben mein pubertierendes Ich damals so zerrüttet, daß ich schließlich dabei in Form von Mobbing eine weitere Herausforderung finden konnte. Selbstverfreilich war ich der passive Part des Dramas – also eigentlich schon so etwas wie ein Hauptdarsteller – nur ohne Macht zur Gegenwehr.
Meine eigene Familie hat die Warnzeichen in der besten aller erdenklichen Welten nicht so recht zu deuten gewußt, weshalb ich eine Zeit lang wegen meiner Affinität zur Dekonstruktion in der Nachbarschaft nicht wohl gelitten war.
Der kälteste und ignoranteste der drei „Mobber“ ist dann zügig Doktor geworden, der böse Dicke ist schnell und tief gefallen, und den Sohn des Bürgermeisters hat es zu einer Malocher-Karriere hingezogen.
Es war wohl eine Gnade des Schicksals, daß wir einen Familienausflug zu sehr konservativen Freunden der Familie gemacht haben.
Nach ausgiebiger Kritik an meiner Haltung lernte ich fortan mit einem Spazierstock zwischen Ellenbeugen und Wirbelsäule samt Büchern auf dem Kopf, wiederholt (!) das aufrechte gehen.

Im nachtönenden Lachen Johanna Harrers gelang es mir gar, so lange stattlich zu bleiben, daß germanischer Wuchs Wucherer, Wichser und Wegelagerer abwehren konnte bis ich mit der hohlen Stirn auf dem Schreibtisch aufschlug.
Heute, als einfacher Mensch vom Bau, erinnere mich notgedrungen an die Notwendigkeiten physischer Stärke.
Ich glaube, die cholerischen Gemüter am besten damit beruhigen zu können, indem ich die Ärmel fülle, gerade stehe, und Haltung bewahre.
Es ist sehr leicht und freudvoll, seine aktuelle physische Präsenz auszubauen, zu verbessern.
Mich deucht, die Mythen der 80er Jahre – bezüglich Körperkultur, waren ein Angriff auf die Volksgesundheit.
Noch heute sehe ich beim besten Wetter, in die Jahre gekommene, die sich mit „Jogging“ vor den ersten Cerealien noch schnell in Form bringen wollen.
Einen im Morgengrauen herumirrenden Finanzberater aus der Nachbarschaft habe ich irrtümlich mal für jemanden gehalten, der aus einer Anstalt ausgebüchst ist. Seine Bewegungen sind so grotesk hilflos, daß ich ihm die Knochen geradebiegen wollte.
Noch absurder ist mir die Tatsache, daß er es wirklich geschafft hat, eine attraktive Dame der besseren Männerwelt vorzuenthalten.

Ein echter Offizier steht kerzengerade,
auch wenn das Schrapnell ihm die Sicht nimmt.
Männer weinen nicht
Frauen pupsen nicht

Aber in der jetzigen Situation gilt es überhaupt, ein Rückgrat zu haben.
Der Wurm, der aufrecht steht, besteht aus einem Segment und ist ein Turm.

In höflicher und mitleidsloser Liebe

Fenrizwolf


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