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Kafkaeskes Erwachen (Freie Themen)

Fenrizwolf, Sonntag, 30.05.2021, 09:15 (vor 1059 Tagen) @ Isana Yashiro (1019 Aufrufe)
bearbeitet von Fenrizwolf, Sonntag, 30.05.2021, 09:21

Hallo Dr. Shiro!

Der Tag fängt ja gut an… Vor dem Kaffeekochen mußte ich mich erst einmal mit den Zähnen vom Bett losknoten, und wäre fast über die fremde Wäsche gestolpert, die jemand aus purer Bosheit dort ausgelegt hat.

Die Vögel sangen alle schief, pfiffen eh alle aus dem letzten Loch, und fielen am Ende tot von der Dachrinne.
Ich bin diese elenden Coverversionen der immer selben Lieder schon seit den 1960ern leid – obwohl ich da noch gar nicht da war. Aber seit ich weiß, daß die Viecher nicht nur des Nachbars Klingelton seit der Jahrtausendwende nachträllern, sondern ebenfalls den Vibrationsalarm auf die Dachrinne übertragen, was dazu führt, daß sich über die Wasserrohre das Surren auf das ganze Gemäuer überträgt, bin ich dazu übergegangen, diesem viehischen Imponiergehabe entschlossen entgegenzutreten.

Auf ca. acht Meter hohen Stelzen unter meinen ca. 25 cm hohen Plateuschuhen (die ich vor meinem Bett fand) bewegte ich mich, mit einer Deodorantdose (pure masculine power by Adonisone) in der Linken und einem Sturmfeuerzeug in der Rechten langsam auf das Dach zu, um urplötzlich auf einer Pfütze voller Vogelkot auszurutschen.
Glücklicherweise beschrieb mein Fall einen Halbkreis, der auf kürzestem mechanischem Wege in meinen Komposthaufen führte, der randvoll mit toten Raten und Liebesbriefen auf Ökopapier war. Denn die Dinger lese ich eh nicht.

Schon leicht angesäuert, begab ich mich, mit dem rechten gebrochenen Fuß den linken abstrakt abstehenden Fuß hinterherschleifend, auf den Weg zu Briefkasten, um sicherzustellen, nicht weiter mit emotionalem Durchfall x-beliebiger Heiratswilliger belastet zu werden.
Glücklicherweise fand ich dort nur die üblichen Schreiben des Amtsgerichtes neben den blindgegangenen Böllern aus den Vorjahresfeuerwerken nebst einigen Abscheulichkeiten, die haßerfüllte Kinder aus der Nachbarschaft vermutlich hineingestopft haben.
Rasierklingen in Bauschaum, Cerealien in Milch so wie Exkremente in Trauerkarten widerten mich an; worauf ich den ganzen Aushub auf die Straße warf.

Wenige Minuten später stürzte der Postbote schwer. Sein auf dem Asphalt zerborstener Schädel bot einen bizarren Anblick in einem Rinnsal aus eingedicktem Blut, welches sich durch einen Berg an Liebesbriefen auf Ökopapier bis in den Gully ergoß.
Sein obskur mehrfach verwinkelter Posteinwurfsarm erstreckte sich in komplexer Geometrie gen Himmel und hielt ein Schriftstück mahnend empor:
Es war eine Grußkarte auf dem ungeliebten Papier, auf dem stand: „Danke für die schöne Nacht, ich wünsche Dir einen wundervollen Tag. Dein Egon.“

Hätte ich mich zufälligerweise nicht daran erinnert, daß ich mit jenem Absender tags zuvor beim Grillen ein Kasten Bier leergemacht hatte (jeder einen), wären mir die jüngsten Erlebnisse doch reichlich dubios vorgekommen.
Die staunenden Nachbarn versuchten offensichtlich ihre Schädel gegen den aufziehenden Wind zu sichern, indem sie beide Handflächen auf die Wangen legten, und dabei laut stöhnten.

Nachdem ich mir den Weg durch den mit Fliegenfängern behangenen Weg durch den Garten zur Haustüre bahnte, ihr sattes Klicken vernahm, und erstmals dadurch so etwas wie Zufriedenheit verspürte, setzte ich mich gleich im Schneidersitz auf den Küchentisch und meditierte darüber, wie viele Kirschkerne wohl wirklich in einen Bauch passen, bevor darin ein Baum wächst, und warum ich immer der Einzige im Dorf bin, der mit dem Staubwedel die Straßenlaternen allabendlich in neuem Glanz erstrahlen läßt.
Hätten alle dasselbe Talent für Gemeinsinn, wäre die Welt gewiß ein friedlicherer Ort.
Ich freue mich schon darauf, den Nachbarn zu Silvester wieder die Polenböller in die engen Briefschlitze zu drücken.

Kommt Zeit, kommt Landrat.

Niederbrombach, 8° - Ostwind

Horrido, Johoh!

Fenrißwolph


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