Schauspielerin (Schauungen & Prophezeiungen)

Lost Centuries, Freitag, 19.03.2021, 23:10 (vor 1128 Tagen) @ Bea (1278 Aufrufe)

Hallo Bea,

Ich kann mir Frau Merkel ebenfalls nicht als harmlos-naive Schauspielerin vorstellen.

ich glaube, da haben Sie mich gründlich mißverstanden. Harmlos-naiv ist Frau Merkel ganz sicher nicht. Und das geht aus meinem Beitrag ja auch gar nicht hervor. Mit naiv sind die Medien gemeint, die allzu unkritisch über die Regierungspolitik der letzten Jahre berichtet hatten. Die unkritische Haltung gegenüber der Kanzlerin ist nicht die Folge von Drohungen, Erpressungen oder finanziellen Vorteilen, die den Medienschaffenden gewährt werden, auch nicht Teil einer wie auch immer gearteten (Welt-)Verschwörung durch Superreiche, Freimaurer, Teufelsanbeter etc., sondern schlicht und ergreifend auf Einfalt, ideologische Verblendung, Realitätsverweigerung, politische Parteinahme der allermeisten Journalisten, Redakteure und der anderen in diesem Metier Tätigen zurückzuführen.

Nein, einfältig ist diese Frau ganz bestimmt nicht. Sie spielt die ihr zugedachte Rolle ja auch ganz hervorragend, mit aller Konsequenz zieht sie diese Nummer unerbittlich durch, bis zu dem Moment, als sie das Zimmer (= "die Bühne") verlässt und dem Ausgang zustrebt (= sich von der Politik verabschiedet). Die Frage ist nur: Ist sie selbst die große Strippenzieherin oder auch nur eine Marionette?

Dass die Politik einfach nur inszeniertes Theater ist, möchte ich Ihnen an einem Beispiel verdeutlichen. Ich bin Lehrer an einer Schule in Deutschland. Sie erinnern sich sicherlich noch an den Lockdown vor Weihnachten letztes Jahr. Als im Dezember die Zahl der Neuerkrankungen stark anstieg, wurde zuerst ein Lockdown ab Montag (oder Dienstag), den 21. Dezember bzw. 22. Dezember zwischen den Ländern vereinbart, jedenfalls ganz kurz vor Weihnachten (an das ursprüngliche Datum erinnere ich mich nicht mehr). Ab Montag, den 21. Dezember - so war geplant - wäre dann unsere Schule auf Notbetreuung umgestiegen. Es wurden dann entsprechende Pläne für die Aufsicht erarbeitet, eine für den damaligen Montag geplante Klassenarbeit verschob ich auf den Freitag davor.

Da die Zahlen der Coronakranken rapide anstiegen, wurden die Ministerpräsidenten der Länder zu einer kurzfristig anberaumten Konferenz mit der Kanzlerin für den Sonntag, den 13. Dezember einberufen. Ich erinnere mich noch sehr gut, wie mir an dem Freitag VOR den Beratungen eine Kollegin ganz aufgeregt über den Weg lief. Ich nahm sie zur Seite und fragte sie, was denn geschehen sei, denn normalerweise ist diese Frau die Ruhe in Person, und so aufgeregt und unbeherrscht hatte ich sie nie zuvor gesehen. Sie erzählte mir, dass sie eben mit einer Freundin telefoniert habe, die in der Gewerkschaft tätig sei, und von ihr habe sie erfahren, dass ab Mittwoch, dem 16. Dezember, alle Schulen und alle Geschäfte geschlossen werden. Ich konnte das nicht glauben und versuchte, sie davon zu überzeugen, dass das Unsinn sei. Warum sollte man den Beginn des Lockdowns um wenige Tage nach vorne verlegen, wenn ein späterer Beginn unter den Ländern bereits vereinbart worden sei? Was würde es denn bringen, die Schulen schon am Mittwoch, den 16., statt am darauffolgenden Montag, dem 21. zu schließen? Wegen dieser wenigen zusätzlichen Tage im Lockdown-Modus werde die Zahl der Neuinfektionen sich auch nicht gravierend ändern.

Doch meine Kollegin ließ sich nicht umstimmen. Was sie am meisten empörte, war jedoch die Tatsache, dass "die in der Gewerkschaft das schon seit zwei Wochen wussten, dass die Ministerpräsidenten den früheren Lockdown-Beginn mit der Kanzlerin vereinbart hatten". Nun ja, und dann kam der Sonntag mit der legendären Ministerpräsidenten-Konferenz. Was wurde uns da nicht alles erzählt: von erbitterten Kämpfen der Befürworter, von verzweifeltem Ringen der Gegner, vom Auf und Ab der Argumente, von einer eingelegten Nachtschicht, in der die Kanzlerin heldenhaft den Kompromiss suchte - und schließlich fand. Und dann am nächsten Tag ein Ergebnis verkündete, das offenbar schon viele Tage zuvor beschlossen worden war: der Lockdown ab Mittwoch, den 16. Dezember.

Also, Politik kann manchmal einfach nur Theater sein. Oder wie es einmal ein kluger Kopf formulierte: Die ganze Welt ist eine Bühne - nur die Darsteller werden von Jahr zu Jahr mieser, meint:

Lost Centuries


Gesamter Strang: