Offenbarung (Schauungen & Prophezeiungen)

Leseratte, Freitag, 19.03.2021, 11:53 (vor 1133 Tagen) @ Taurec (1285 Aufrufe)
bearbeitet von Leseratte, Freitag, 19.03.2021, 12:08

Hallo Taurec,

danke erstmal. Weil du auf die Offenbarung anspielst, will ich antworten.

Die Offenbarung des Johannes fusst auf zwei Texten.

Der erste ist Daniel, mit der Beschreibung des Tieres aus dem Abgrund als spirituelle und ideologische Metapher für das Imperium des Antiochus IV. Epiphanes. Dazu muss man sagen, dass alle Imperien vorher sich nie groß um den Glauben der Untertanen gekümmert hatten, jetzt also, das war ein Novum, sollte Antiochus IV. angebetet werden. Dazu kommt, dass die griechische Zivilisation, die den Erdumfang kannte, erste Rechenmaschinen konstruierte sowie über Logik und den Monotheismus räsonierte, einen umfassenden Anspruch erhob, was sie fundamental von allen andere Kulturen unterschied.

Der zweite Text ist Ezechiel 37ff, die Rückkehr der auferstandenen Toten nach Israel und die Schlacht von Armaggedon samt dem Tempelbau. Ob man nun diesen Text für eine authentische Prophezeiung hält oder nicht, mag jedem selbst überlassen sein, entscheidend ist, dass dieser Text das Muster für die Offenbarung ist.

Die Offenbarung wurde zum Zeitpunkt der ersten Christenverfolgungen geschrieben, als Judentum und Christentum sich getrennt hatten und die Christen nicht mehr den Schutz der religio licita hatten, also vom Kaiserkult befreit waren. Die Christen erwarteten Strafen, an denen gemessen selbst heutige Exzesse der internationalen Strafjustiz durchaus menschenfreundlich sind. Das genaue Datum der Abfassung läßt sich nicht eruieren, dürfte aber im 2.Jhr. nach Christus liegen. Der Aufbau der Offenbarung ist etwas kompliziert, nach dem Gruß an die (fiktiven?) Adressaten kommt es zu der Reihung der visionären Bilder, die immer wieder wiederholt wird. Kaum ein Text hat die Ikonographie seitdem so beeinflußt wie dieser. Für eine umfassende Auslegung fehlt hier der Rahmen, auch müßte man Fachleute diverser Disziplinen dazu ziehen, der Exegese, der Tiefenpsychologie und möglicherweise weitere Disziplinen, wie die aktuelle angelsächsische Forschung über Nahtoderlebnisse (einige Passagen der Offenbarung erinnern an das Bardo Thödröl der Lamaisten).

Die Offenbarung ist ein streng gegliederter Text, siebenmal geht sie durch dieselbe Geschichte, jeder Durchgang endet mit dem Jubel der Heiligen und Geretteten, am Ende des gesamten Textes steht die Vision vom kommenden Jerusalem, eine Parallele zu Ezechiel 40ff. Es heißt mehrmals, man müsse nochmals die Vision erzählen, jedesmal unter einem anderen Blickwinkel, man kann das mit Gesängen vergleichen, die immer wieder dieselbe Melodie variieren und wiederholen. Damit fällt jegliche Möglichkeit einer linearen Betrachtung weg. Der Text hat eine absolut klare prophetische Aussage: auf der spirituellen und ideologischen Front werden die Gläubigen über das Imperium siegen. Um diese Aussage zu treffen, werden Bruchstücke prophetischer Bilder, Ezechiels oder des Buches Daniel verwendet. Einige Bilder werden beschrieben, die so klar sind, dass sie über Jahrhunderte prägend bleiben. Natürlich tauchen zeitbezogene Bilder auf, die 200 Millionen etwa, die aus dem Osten hereinbrechen, sind eine Hommage an die Parther, der Angstgegner Roms. Hier sieht man die spezifische Anspielung des Autors oder der Autoren. Weit mehr Bilder scheinen in symbolischer, tiefenpsychologischer oder spiritueller Sphäre angesetzt zu sein.

Immer wieder wird natürlich gefragt, was es mit dem Tier aus dem Abgrund und der Zahl 666 zu tun habe. Wer das Alte Testament genauer liest, wird wissen, dass Salomon, der reicher als jeder Pharao lebte, im Jahr 666 Talente Silber einnahm, also wurde alles, was während der Woche erarbeitet wurde, von ihm kassiert. Als Salomon tot war, fiel Israel von Juda ab, man war die Steuern leid. Jetzt gibt es in der Exegese natürlich Zahlenspiele, auf welchen Kaiser 666 passen würden, die Zahlenspiele sind völlig gleichgültig, es ist der Kaiser, das Imperium, die Macht, der Luxus, all das, was der Gläubige niemals vergöttlichen darf. Ein spezifischer Antichrist ist nicht gemeint, die Rolle wechselt in den Evangelien von Antiochus IV. zu dem kommenden Scheusal um dann in der Offenbarung bei Nero oder Ulpius zu enden. Während wir heute Person als eine individuelle Ausprägung wahrnehmen, war in der Antike die persona die Maske, die Schauspieler im Theater trugen, also die Rolle, die jemand spielt. Der Antichrist oder das Tier aus dem Abgrund sind also Typologien. Auch die Hure Babylon ist umgezogen, sie sitzt jetzt weiter am Meeresufer und die Seeleute sehen ihren Fall von See aus.

Das tausendjährige Reich ist ein spezifisch jüdischer Topos, es gab die Mythologie, dass vor dem Reich Gottes, es eine befristete Periode des noch nicht allumfassenden Heiles geben müßte. Bei Marx kehrt das als die Diktatur des Proletariats, die dem Kommunismus vorausgeht, wieder.

Natürlich könnte ich dann fragen, welche Bedeutung hat die Offenbarung des Johannes im Sinne einer genaueren Prognostik? Meine persönliche Antwort wäre die, keine, außer ich würde glauben und würde das himmlische Jerusalem sehen wollen. Ob jemand das will, muss jeder selber wissen. Das einzige, was die Offenbarung prophezeit, ist, dass dieser Entscheidung nicht auszuweichen sei, weil irgendwann Macht und Pracht dem Zorn des Lammes anheimfallen.

Viele Grüße Leseratte


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