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Sprachgebrauch in den Briefen (Schauungen & Prophezeiungen)

Taurec ⌂, München, Sonntag, 08.12.2019, 08:23 (vor 1599 Tagen) @ Ulrich (1152 Aufrufe)
bearbeitet von Taurec, Sonntag, 08.12.2019, 08:29

Hallo!

Im ersten Brief schrieb Rill das Wort "wieder" 6x richtig und nie falsch, eine Woche später soll er es 3x falsch und nie richtig geschrieben haben?
Das ist "wider"sinnig...

Vieles ist allerdings in beiden Briefen identisch und gehört wohl zu seinen Schreibgewohnheiten:

  • "hofen" statt "hoffen" (mit abgeleiteten Wörtern wie "hofentlich"/"hoffentlich")
  • "komen" statt "kommen" (nur einmal im ersten Brief "kommen" und im zweiten einmal "komm")
  • "solte" statt "sollte", zu gleich aber richtig in beiden Briefen die dritte Person er/sie/es "soll"!
  • "falen" statt "fallen" (und Ableitungen)
  • "u" statt "und"
  • "den" statt "denn" (nur einmal im ersten Brief "denn")
  • "wen" statt "wenn"
  • "dan" statt "dann"
  • Im ersten Brief "Fensterblök", "Sandsäke". Im zweiten Brief kommt diese Vermeidung des "ck" nur bei "Rükehr" vor.
  • "ß" an den falschen Stellen: "hinreißen", "beßer", "dießer", "zurücklaßen" (im zweiten Brief insgesamt häufiger)
  • Interpunktion, insbesondere Abgrenzung der Nebensätze durch Kommata kommt praktisch nicht vor.

Insgesamt legt Rill in beiden Briefen eine Tendenz an den Tag, Wörter durch Unterlassung der Konsonantenverdoppelung abzukürzen. Ist das seine Technik, um Briefpapier zu sparen bzw. Platz zu gewinnen, oder ist es ein Zeugnis des Scheiterns der kaiserlichen Grundschulbildung an einem bayerischen Handwerker? Die Fehler mit "ck" und "ß" scheinen zu seinen typischen Fehlern zu gehören, wenngleich es in jeweils einem der Briefe (für jeden Fehler ein anderer) nur ein Beispiel dafür gibt. Auch dies fällt aber unter das Paradigma der Abkürzung der Wörter.
Immerhin kann er "daß" und "das" unterscheiden, dessen viele Forumsschreiber heutzutage nicht mehr fähig sind. Bei der Verwendung es "wo" statt "wenn" legt er aber bereits Züge modernen Sprachverfalls an den Tag. ;-)

Insgesamt wirkt die Rill'sche Orthographie in beiden Briefen konsistent. Die Frage ist, was dieser eine Unterschied zwischen "wieder" und "wider" angesichts dessen und einer generell hanebüchenen Rechtschreibung, bei der vieles offenbar Glückssache ist, aussagt. Möglicherweise entschied er sich beim ersten Vorkommnis des "wieder" im zweiten Brief, es ohne Dehnungs-ie zu schreiben, und hat diese Variante für das gesamte Schriftstück durchgehalten.
Um zu prüfen, ob das tatsächlich widersinnig ist, bräuchte man weitere Briefe Rills aus dem ersten Weltkrieg, so daß nachvollziehbar wird, wie wechselhaft seine Orthographie von einer Woche auf die andere allgemein war. Sind solche Wechsel zwischen "wieder" und "wider" die Regel, würde ich daran nichts ungewöhnliches erkennen. Für sich allein ist mir diese Abweichung noch nicht schlagend genug, um einen Schluß daraus abzuleiten.

Während die Wortpaare des ersten FPB mit 16 "früher" und 14 "später" (von 30 Wortpaaren) zwar "früher" vermuten lassen könnten, aber noch in der Streuung des zu erwartenden ausgeglichenen Ergebnisses liegen, sagt der "Ngram Viewer" zu 19 von 24 Wortpaaren des zweiten FPB "später", nur zu 5 Wortpaaren "früher", das entspricht einem Verhältnis von 79 zu 21 % !

Das ist interessant. Mich würde interessieren, um welche Wortpaare es sich dabei handelt, um die Untersuchung selbst nachvollziehen zu können.
Dann stellt sich mir die Frage, warum nur Wortpaare untersucht wurden und nicht die gesamte Wortwahl beider Briefe auf einen Sprachgebrauch, der 1950 von 1914 zu unterscheiden hülfe.

Beim Lesen fallen einige Merkwürdigkeiten ins Auge, die man jedenfalls heute im Sprachgebrauch nicht mehr feststellt:

  • in Ruhe sein
  • nicht zu glauben sein
  • niedere Stufe
  • von etwas/jemandem geboren sein
  • auf jemandes Diktat gehen
  • zu etwas gearbeitet werden
  • Kleiderpracht
  • sich in etwas kleiden
  • in Italien fliehen (statt "aus Italien fliehen", wie wir es sagen würden)
  • gegen jemandem gehen
  • an etwas genug haben (statt "von etwas genug haben")
  • fortkommen
  • durchgehen (satt "gutgehen")
  • miteinander stehen (statt "zueinander stehen")
  • ins Ziel kommen (statt "zum Ende kommen")
  • gute Lehren ziehen (statt "Lehren ziehen", die ja eigentlich stets gut sind)
  • an jemanden kommen (statt "zu jemandem kommen")
  • "Schwefel" für "Unsinn"

War das für Rill typisch oder im damaligen Sprachgebrauch in Bayern und dieser Bevölkerungsschicht üblich? Waren dergleichen Wendungen um 1950 schon wieder unüblich? Im zweiten Brief scheinen sie mir seltener zu sein.

Das handschriftliche Bild beider Briefe erscheint mir als Nichtgraphologen identisch, weswegen ich keinen Grund zu der Annahme habe, daß nicht beide Briefe von Rill geschrieben wären. Unter dem Gesichtspunkt Deiner Hypothese wäre dann jedoch eine Kardinalfrage, warum Rill mindestens dreißig Jahre später einen zweiten Brief fälschen und auf 1914 rückdatieren sollte, wenn er selbst in seinem Umfeld und durch seine Interessen vermutlich keinen großen Antrieb hatte, eine Prophezeiung zu fälschen. Das Motiv wäre eher bei solchen (Kirchenkreisen) zu vermuten, die Frumentius eine Prophezeiung zur Veröffentlichung hätten zuschachern wollen. Später ist Behk in solche Fallen (z. B. bei Erna Stieglitz oder der böhmischen Flüchtlingsfrau) wohl häufiger getreten.

Zudem ist historisch belegt, daß Rill während der Nazizeit wegen des Briefinhalts Probleme mit den Behörden hatte: "Er bekam Schwierigkeiten im Dritten Reich, da er schon vor Beginn der Naziherrschaft das Ende eines kommenden Diktators vorausgesagt hatte." (Bender 1980, S. 2; siehe auch die Befragung des Sohnes auf S. 9) Der Untergang des dritten Reiches ist allerdings ein zentraler Inhalt des zweiten Briefes. Ist diese Aussage bei Bender korrekt, so wäre der zweite Brief zweifelsohne als präkognitiv zu betrachten.
Laut Bender soll Frumentius den ersten Brief bereits 1941 kennengelernt haben, den zweiten indes erst 1945/46. Wäre er eine Fälschung, so müßte er gegen Ende oder unmittelbar nach dem zweiten Weltkrieg hergestellt worden sein – sofern man nicht Frumentius selbst Lüge und Betrug unterstellen wollte. Dann könnte man den in Frage kommenden Fälschungszeitraum bis zur Erstveröffentlichung 1953 ausdehnen
Die Fälschungshypothese ist (läßt man die Schwierigkeiten im Dritten Reich außer Acht) wegen der Gleichheit des Schriftbildes allerdings nur unter der meines Erachtens abwegigen Annahme aufrechtzuerhalten, daß der erst 1958 verstorbene Rill tatkräftig mitgeholfen hätte.

Gruß
Taurec


„Es lebe unser heiliges Deutschland!“

„Was auch draus werde – steh zu deinem Volk! Es ist dein angeborner Platz.“


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