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Themen ohne Thema (Freie Themen)

Taurec ⌂, München, Freitag, 08.11.2019, 20:48 (vor 1623 Tagen) @ BBouvier (1004 Aufrufe)

Hallo!

Das hat nichts mit Oberlehrerhaftigkeit oder desgleichen zu tun. Videos inhaltlich nicht zusammenfassen zu können oder zu wollen ist anscheinend eine Form der "digitalen Demenz", sprich des Verlusts kultureller Fähigkeiten aufgrund der durch das Internet geförderten passiven Konsummentalität. Es ist leichter, ein Video zu beglotzen, als sich Ideen stückweise lesend und verstehend anzueignen.

Videos, vor allem Vortragsvideos, die lediglich die Antlitze der Sprecher feilhalten, haben dabei folgendene Nachteile:

  • Während man Texte beliebig oft und in beliebiger Geschwindigkeit lesen, dabei augenblicklich vor- und zurückspringen, schwierige Stellen mit wenig Zeitverlust bis zum völligen Verständnis nochmals lesen und sich Anstreichungen/Notizen machen kann, die man schnell wieder bei der Hand hat, sieht man sich Videos in der Regel einmal an, dann nie wieder.
  • Ebenso wie die Tätigkeit des Schreibens ist Lesen eine aktive Verstandestätigkeit, die mit dem Nach-Denken des Geschriebenen verbunden ist. Lesen, Schreiben und Denken sind eng verzahnte Geistesfähigkeiten. Wer liest, das Gelesene oder seine eigenen Gedanken in Worte faßt, der denkt auch und lernt das Denken. Dahingegen ist Vortragskonsum weitaus oberflächlicher und erreicht kaum je tiefere Schichten des Geistes. Das meiste Gesagte ist nach kurzer Zeit wieder vergessen. Man kennt es aus der Schule. Es bleibt lediglich der diffuse, mit Wissenfetzen versetzte Eindruck etwas gelernt zu haben. Wenn man es nicht wiedergeben kann, hat man aber nicht darüber nachgedacht und es nicht verstanden.
  • Die Information, die ein Video in einer halben Stunde vermittelt, läge in geschriebener Form auf einer bis zwei Textseiten vor, die man in fünf Minuten gelesen hätte. Der Verlust an Lebenszeit durch den Videokonsum wiegt den Informationsgewinn in den meisten Fällen nicht auf.
  • Die Darbietung ist zumeist weit weniger ausgefeilt und intellektuell hochstehend als ein geschriebener Text, dem man die Fähigkeit oder Unfähigkeit seines Verfassers unausweichlich ankennt. Entsprechend dem zu Lesen, Schreiben, Denken Ausgeführten sind gesprochene Worte weniger schlüßig und weniger durchdacht hingeklatscht, was den meisten Zusehern und -hörern durch das optische Beiwerk und die oberflächliche Natur des passiven Konsumierens aber nicht auffällt. Es überwiegt der durch oberflächliche Reize hervorgerufene, gefühlsmäßige Eindruck, informiert zu werden.

Die Ausbreitung der Videounkultur ist natürlich ein durch den technischen Fortschritt begünstigtes Massenphänomen. Jeder Unbemittelte kann heute seine halbgaren Vorstellungen im Handumdrehen durch Internet pusten und findet Scharen anderer Unbemittelter, die zur tiefergehenden Analyse weder den Willen, noch die Kompetenz haben.

Ein Internetforum ist allerdings eine schriftliche Plattform, die von Denken und Formulieren existentiell abhängt. Massen halbstündiger oder stundenlanger Videos, ohne Zusammenfassung der Kernaussagen und des Mehrgewinns für den Leser abgeladen, werden von kaum einem überhaupt je (vollständig) angesehen. Dem entsprechend sind solche Einstellungen essentiell gleichbedeutend mit dem Eröffnen eines Themas, das überhaupt keine Aussage aufweist. Solche Fäden gebrechen eines sachlichen Fokusses und sind von Anfang an dazu verdammt, in Belanglosem, Sinnlosem, stimmungsgetriebenen Labereien und letztlich zwischenmenschlichen Streitereien auszufransen. Denn egal, was geschrieben wird, irgend jemand will immer etwas dazu sagen. Wenn es kein sachliches Thema gibt, keine Frage oder kein Problem, das den Diskurs einnordet, mühen sich die Menschen aneinander ab. Recht bald bekommt man sich dann über Persönliches oder Religiöses/Weltanschauliches in die Haare.

Daraus folgt, daß es obligatorisch ist, wenn man auf ein Video verweist, dessen sachlichen Gehalt, seinen Sinn darzustellen, weil andernfalls das eröffnete Thema keinen Sinn hat. Indem man über den Inhalt nachdenkt, um ihn zusammenzufassen, macht man ihn sich zueigen, so daß man nicht nur als Überbringer dient, sondern tatsächlich einen eigenen Beitrag verfaßt.
Das mag nicht jedem einleuchten, der sich tagtäglich durch Videokonsum dem Surrogate des Verstehens ausliefert. Wir sollten uns aber insbesondere in einem Forum, das sich mit der gegenwärtigen Weltkrise befaßt (oder befassen könnte), den Verfallserscheinungen, die auch ein unbedacht genutztes Internet begünstigt, entgegenstemmen.

Gruß
Taurec


„Es lebe unser heiliges Deutschland!“

„Was auch draus werde – steh zu deinem Volk! Es ist dein angeborner Platz.“


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