Genau hingucken lohnt immer (Schauungen & Prophezeiungen)

Nullmark, Dienstag, 10.09.2019, 13:13 (vor 1687 Tagen) @ Eyspfeil (866 Aufrufe)
bearbeitet von Nullmark, Dienstag, 10.09.2019, 13:20

Hallo Eyspfeil,

ich kann Dir gut folgen. Und Dir bleibt unbenommen das Ganze so zu sehen. Es ist ohnehin schwierig bezüglich Irlmaier heutzutage etwas Zielführendes zusammen zu kriegen, weil sich nach so langer Zeit mehr verklärt, als aufklärt. Das ist das Problem. Deshalb ist mein nachfolgende Text eine Meinung und kein Beleg.

Irlmaier hatte paranormale Fähigkeiten. Das ist unstrittig. Seine Trefferquote lag jedoch weit jenseits der 100%, was seinen zweifelhaften Ruf eher verstärkte, aber hoch genug, um seine Ergebnisse nicht als Zufälle abtun zu können.
Das er nebenher ein Spitzbube war, ergibt sich klar aus seinem Strafregister. Er war aber pfiffig genug, niemand seine Seherdienstleistungen in Rechnung zu stellen. Darin ein altruistisches Verhalten zu sehen ist wohl eher verfehlt, denn er hatte auf die Möglichkeit der freiwilligen Spende verwiesen, was unter dem Strich nichts anderes ist als eine Vergütung. Das genügte aber, um eine erneute Kollision mit dem Gesetz zu vermeiden.

Dass Irlmaier kollektive Ereignisse schauen konnte schließe ich aus, weil diese seiner bekannten und mehr oder weniger anerkannten Profession und Methodik entgegenstehen und das Ergebnis ohnehin eher mager ist. Dies wage ich solange zu behaupten, wie seine Schauungen auch durch eindeutige Ursache-Wirkungsbeziehungen oder Wirkungsketten beschreibbar sind bzw. die reale Existenz von Dingen zum Zeitpunkt der Schauung nachweisbar ist. Es ist insoweit unerheblich, auf welche Weise die jeweilige „Schau“ im Kopf oder in der Milz des Sehers initialisiert wurde.

Nicht zu vergessen, dass Irlmaier in Freilassing wohnte und lebte und eben nicht im letzten Tal vor dem Gletscher. Dass er sowohl zu Politikgrößen (Adenauer) als auch zu Militärs (Clark) Kontakte gehabt haben soll und zu Adlmaier sowieso legt nahe, dass (s)ein Wissensvorsprung bestimmte Dinge betreffend nicht unmöglich war. Ob er diese im Detail richtig zuzuordnen vermochte, steht wegen seiner eher einfach strukturierten Persönlichkeit auf einem ganz anderen Blatt.
Mehr oder weniger wahrscheinlich ist eben ungleich ausgeschlossen oder wahrhaftig.

Mit seinen Schauungsaussagen wurde Irlmaier zu dem idealen Medium des Zeitgeistes, was vom damaligen Journalismus dankend aufgenommen wurde. Das stärkte Auflagen und Umsätze.
Die betreffenden Pressemeldungen blieben natürlich nicht ohne Wirkung:
Das „ … ungeheure Anschwellen des Interesses der Gaukelei aller Art während der Nachkriegszeit …“ wurde jedoch von der Regierung mit Sorge betrachtet.
(u. a. hier http://www.alois-irlmaier.de/Dokument%20Prozessurteil.htm und hier http://www.alois-irlmaier.de/Dokument%20Hoelzl.htm)

Die Aussagen Irlmaiers fanden ebenso Eingang in den Bericht über Gerüchte in der amerikanischen Besatzungszone (`Topic Listed in Order of Frequency of Mention` in `RUMORS IN THE U.S. ZONE OF GERMANY`). (Ich weiß nicht mehr, wer den Bericht verlinkt hatte - trotzdem Danke).
Dieser klassifiziert Irlmaiers Propheterie im Abschnitt „ II. GENERAL WAR RUMORS AND PROPHESIES“ eindeutig als „Allgemeine Kriegsgerüchte und Prophezeiungen“ .
Dass sich Irlmaier an genau dieser Stelle wieder findet, belegt unzweifelhaft, dass selbst das amerikanische Militär nicht von einem demnächst beginnenden neuen Krieg in Deutschland ausging.
Der Glaube an durch die damalige Presse verbreitete Unfehlbarkeit irlmaierscher Schauungen, dass der Krieg demnächst zurückkehrt, verursachte die massive Zunahme von Hamsterkäufen. Die Amis reagierten darauf mit Gegenmaßnahmen: Sie beschlagnahmten alles, was noch an Konservendosen und Weißblech verfügbar war. Damit erübrigt sich auch jeder weitere Kommentar.

Interessant ist aber noch etwas anderes.
Nach eigener Aussage hat Irlmaier ein genaues Datum für den neuen Krieg gar nicht gesehen. Er sagte lediglich, dass er bezüglich des Krieges eine bestimmte Anordnung von Strichen und Zahlen gesehen hat. Was das heiße, wisse er aber nicht. Das ist seine bezeugte Aussage.
Na prima. Und wo kam dann die Terminierung auf Herbst 1952 her, die in den Zeitungen stand? Hehe, ist womöglich diese Jahreszahl das Ergebnis einer Suggestivfrage eines Reporters?
Denn als 1952 vorbei war, zuckte Irlmaier mit den Schultern und merkte an, sich geirrt zu haben. Wobei denn? Mit dem Krieg oder mit dem Termin... Und das ist bekanntlich nicht die einzige Stelle, wo der Gute irrte.

Ich habe hier gelernt: Wenn sich die vom Seher getroffene Zuordnung seiner Schau innerhalb des von ihm geschauten Zeitraumes nicht oder wenigstens so ähnlich realisiert hat, ist sie eben nicht eingetroffen und hat damit die ihr zugesprochene Relevanz verloren. Die Schauung kann dann nicht einfach, wie inzwischen üblich, in andere Zeitepochen oder in eine andere Verständnisebene transformiert werden, um anschließend den Seher nachträglich zu rehabilitieren.

Diese Methode ist universell anwendbar, denn danach lässt sich ausnahmslos alles in die gewünschte Richtung biegen und der tatsächliche Inhalt durch Auslegung, Vermutung und Spekulation ersetzen.
Das kann man machen, aber es ist nicht geeignet eine Schau zu verifizieren i. S. „Ich, Irlmaier habe gesehen …“ - was unser herumgeeiere um das Zubanschachtel ähnliche Smartphon mit oder ohne Kreditkartenfunktion sehr anschaulich macht.

Mit der Zulässigkeit der Interpretation wird eine Schau immer weiter aufgefächert und deren Inhalt zunehmend verwässert. Auf diese Weise verschwindet der ursprüngliche Kern der Botschaft im Nebel. Bedauerlich.

Gruß und alles Gute
Nullmark


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