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Christlicher Blick auf das "Germanentum" (Freie Themen)

Taurec ⌂, München, Montag, 22.04.2019, 12:07 (vor 1803 Tagen) @ Frank Zintl (1209 Aufrufe)
bearbeitet von Taurec, Montag, 22.04.2019, 12:17

Hallo!

Genau gegen die mystifizierende Sichtweise auf ein "Germanentum", das es in der Antike gar nicht gegeben hat, wende ich mich. Der Begriff "Germanen" war den so bezeichneten Stämmen völlig fremd. Er war von den Römern als Sammelbezeichnung konstruiert.

Es ging mir in meinem Beitrag nicht um das, was zeitgenössisch und rückblickend konstruiert wurde, sondern was vor der Christianisierung tatsächlich vorhanden war, verloren ging und uns nun fehlt. Wenn es leicht erkennbar wäre, bestünde das Identitätsproblem womöglich nicht in dieser Schwere.

Diese Identität besteht nicht darin, daß man sich oberflächlich einen Begriff zur Selbstbezeichnung geben kann, sondern in der Verwurzelung in der Tradition der Vorfahren und einer Herkunft "von oben".

Davon abgesehen bezeichneten sich die Germanen neben ihren jeweiligen Stammesbezeichnungen wohl selbst schlicht mit ihrem Worte für Volk. Die erschlossene germanische Wurzel "þeudō" ist mit Entsprechungen in anderen indogermanischen Sprachzweigen verwandt, z. B. "tautà" auf dem Baltikum, "túath" in Irland, "touto" bei den vorlatinischen Italikern. In anderen germanischen Sprachen hat es sich z. B. als "thede" (Mittelenglisch), "þjóð" (Isländisch), "tjod" (Norwegisch) erhalten, durchgängig mit der Bedeutung "Volk". Diese wohl schon seit indogermanischer Zeit gebräuchliche Begrifflichkeit wurde im Frankrenreich als Bezeichnung der gegenüber den Romanen durchaus als Einheit empfundenen Gesamtheit der germanischen Stämme rechtlich verankert: "diutisc" als althochdeutsche Form des Wortes "deutsch". Das war keine Wortneuschöpfung, um etwas zu bezeichnen, das zuvor nicht existierte, sondern die Weiterverwendung des traditionell gebräuchlichen.

Abgesehen davon ist trotz diverser Unterschiede im Detail in der Überlieferung und archäologisch eine gewisse kulturelle Einheitlichkeit der germanischen Stämme in Mittel- und Nordeuropa erkennbar, die nicht negiert werden kann. Sie ist nicht nur bis heute sprachlich nachweisbar. Religiös ist sie spätestens seit der Völkerwanderungszeit vorhanden. Nicht zuletzt hätten die Römer keine eigene Sammelbezeichnung für etwas prägen können, das sich wegen allzu großer Unterschiede nicht zusammenfassen läßt.
Tacitus weist selbst auf die mythische Genalogie hin, die verschiedene germanische Stammesgruppen miteinander verband und "auf ein irgendwie geartetes Gefühl der Zusammengehörigkeit schließen" läßt. Daß die römische Bezeichnung "Germanen" mehr war als eine Sammelbezeichnung für innerlich nicht zusammenfaßbare Stämme, zeigt sich auch darin, daß antike Autoren für die slawischen Stämme östlich der Germanen die Begriffe "Veneter" und "Sarmaten" prägten. Tacitus versuchte auf seiner dünnen Informationsgrundlage durchaus, eine Unterscheidung zu treffen und die Stämme entlang sprachlich-kultureller Ähnlichkeiten zu gruppieren, wobei er die Veneter eher aufgrund oberflächlicher Merkmale (z. B. Hausbau) irrig den Germanen zuordnete.

Nochmal: Ich will nicht im Sinne der Romantik des 19. Jahrhunderts eine nationale Identität als Klammer konstruieren, um diese dann als oberflächliches Emblem auf der Brust tragen zu können. Es geht um den seelischen Urgrund, der unterschwellig ist und aus dem sowohl germanische Mythologie als auch das Abendland hervortrieben, das unter der Tünche nicht christlich (also nahöstlich), sondern europäisch ist.

Die Religion des Asatru bot den Leuten keine Erlösung, keine Aussicht auf ein ewiges Leben bei Gott, sondern nur das trostlose Schattendasein in Hel, ähnlich wie der griechische Hades. Nur den Schlägertypen, die auf dem Schlachtfeld ihr Leben verloren, stellten die Götter ein zeitlich begrenztes Schlaraffenland in Valhall in Aussicht. [...] Das Christentum hingegen weist ALLEN, auch den Sklaven, einen Weg zu Gott und in ein ewiges seliges Leben. DAS war der Konkurrenzvorteil gegenüber einer Verkündigung, die im darwinistischen Sinn nur den Starken etwas zu bieten hatte.

"Asatru" ist keine ursprüngliche Bezeichnung für die germanische Religion, sondern eine moderne, romantisierende Wortneuschöpfung. Wenn schon die antike Bezeichung "Germanen" keine Berechtigung haben soll, trifft das auf "Asatru" erst recht zu.

Nachdem die Kunde der germanischen Religion überwiegend durch den christlichen Filter ging (wohl auch bei Snorri Sturluson schon), ist anzuzweifeln, ob die Bewertung deren Motive authentisch ist oder nicht breits die christliche Miesmacherei enthält, die den Gegner zugunsten der Darstellung eigener Überlegenheit zu erniedrigen strebte. Ich unterstelle, daß es aus christlicher Zeit keine unvoreingenommene Darstellung der germanischen Religion gibt, was ja gerade den Bruch markiert, auf den ich hinweisen wollte. Daß die Germanen selbst eine Religion in die Welt brachten, unter der sie letztlich litten und die ihnen keinen Ausblick auf Annäherung an das Göttliche bot, ist sehr stark zu bezweifeln. Wenn sie nicht ursprünglich eine Perspektive für alle, Krieger, Alte, Schwache, Frauen, Kinder gleichermaßen geboten hätte, wäre sie gar nicht erst entstanden. ;-)

Wie es wirklich war, läßt sich wohl nur ansatzweise rekonstruieren. Es scheint so zu sein, daß bis zur Völkerwanderungszeit nicht Odin, sondern Tyr im Zentrum des germanischen Pantheons stand, wo er Gott des Kampfes/Sieges und Bewahrer der Rechtsordnung war, also als Ankerpunkt gesellschaftlicher Stabilität galt. Die Wurzel "Teiwaz" weist ihn über die Sprachverbindung "deiwos" (indogermanisch) ⇒ "divus" (lateinisch "göttlich") als mit "dies piter" und "Zeus patér" ("Gottvater", die Urform Jupiters und Zeus') verwandt aus. Damit haben wir auch hier äquivalent zu allen Religionen die Vorstellung eines himmlischen Vaters, aus dem sich letztlich alle untergeordneten Göttergestalten (ähnlich den christlichen Engeln) ableiten. Erst in der Völkerwanderungszeit rückte Odin ins Zentrum, von dem man sich in dieser Chaoszeit auf magische Weise wohl ein konkreteres Eingreifen ins Weltgeschehen erhoffte als von dem über allem thronenden Vater des Himmels.
Daraus folgt aber logisch, daß Walhall als in Odins Burg gelegene Statt der Krieger ebenfalls eine späte Schöpfung nur ist, die der Christianisierung nicht lange voraus ging. Wikipedia schreibt hierzu: "Der Glaube, daß Odin die toten Krieger des Schlachtfeldes in seine (Burg-, bzw. Hof-)Walhall rufe, dürfte erst im Ausklang der Völkerwanderung und mehr oder weniger auf die nun entstehende Kriegerkaste beschränkt entstanden sein, die allerdings am königlichen Hofe die Überlieferung beherrschte."

Du beschränkst Dich in Deiner Darstellung also auf die Vorstellung einer bestimmten Gesellschaftsschicht, die aber nichts über die Vorstellung des Nachlebens beim Rest der Bevölkerung aussagt.

Deine Darstellung Helheims trägt wohl bereits Züge christlicher Entstellung: "Dabei erfuhr Helheim eine Umwertung. Zunächst war es als ein Ort für alle Toten gedacht. Vermutlich unter dem Einfluss des Christentums entstand die Vorstellung von einem Ort der Strafe und des Leidens und entspricht später der christlichen Höllenvorstellung."
Zu Hel selbst heißt es: "Die Beschreibung Helheims ist widersprüchlich: Einerseits ist es ein trostloser und düsterer Ort, andererseits auch ein lebendiger und wärmender. Verbrecher wie Mörder und Diebe, aber auch Lügner werden dort ewiglich Kälte, Schmerz und Hunger leiden. Diese Menschen erfahren zuweilen noch eine größere Qual beim Drachen Nidhöggr, der sich vom Fleisch der Toten ernährt. Möglicherweise spielen dabei bereits Angleichungen an oder Einflüsse aus der christlichen Höllenanschauung eine Rolle.
Hel ist nicht nur eine 'verborgene' Göttin, sondern auch eine gerechte. Den einen tritt sie nett und liebenswert gegenüber, den anderen unerbittlich und grausam. Sie vereint scheinbare Gegensätze, dies spiegelt sich auch in ihrem äußeren Erscheinungsbild wider."

Wir haben heute offenbar nur die letzte Form des germanischen Glaubens vor uns, die während einer schon von christlichen Einflüssen geprägten Zeit entstand und in der Darstellung die für Erlösungsreligionen mit Alleinvertretungsanspruch typischen Abwertungen und Entstellungen erfuhr. Gerade das kennzeichnet ja den von mir beschriebenen Bruch! Interessant, daß die vermeintlich negativen Elemente letztlich ein Spiegelbild christlicher Vorstellungen zu sein scheinen. Man macht der Gegenseite die eigenen blinden Flecken zum Vorwurf?

Das Luxusleben in Valhall dauert denn auch nicht für ewig, sondern nur bis Ragnarök.

Und worin unterscheidet sich diese zeitliche Beschränkung bis Ragnarök von der christlichen Endzeitvorstellung, daß die Toten aus ihren Gräbern steigen und ein Endgericht über die Seelen gehalten werde?
Mich deucht, diese Ragnarökvorstellung geht bereits auf eine christliche Verzerrung zurück, die dann (eher als eine Art des Strohmannarguments) den Heiden von den Christen zum Vorwurf gemacht wurde.

Die von Dir beschriebene Ewigkeit tritt wohl erst in Kraft, nachdem das Endgericht überstanden ist, das nur die wenigsten als Gute in den Himmel aufsteigen läßt, die Mehrzahl hingegen in die ewige Verdammnis wirft. Das entspricht der nahöstlichen Vorstellung eines "höhlenhaft" geschlossenen Weltkreislaufs, innerhalb dessen es gilt, sich endgültig für die richtige Seite zu entscheiden. Dagegen ist die Vorstellung einer unbedingten Ewigkeit eher faustisch-germanisch. Dem entsprechend trägt Ragnarök das Merkmal nicht eines einmaligen Ereignisses, sondern einer Erneuerung der Welt.

Wenn Du die christliche Verdammnis zugunsten der Ewigkeitsaussicht für alle (vernünftigerweise) vernachläßigst, so halte ich das für eine Angleichung des christlichen Materials an das faustische Seelentum, das die ihm ungemäßen Elemente zugunsten derjenigen verringert, die ihm quasi aus der Seele sprechen.

Gruß
Taurec


„Es lebe unser heiliges Deutschland!“

„Was auch draus werde – steh zu deinem Volk! Es ist dein angeborner Platz.“


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