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Fabelbuch vs. Geschichtsbuch (Freie Themen)

Taurec ⌂, München, Mittwoch, 27.03.2019, 19:00 (vor 1850 Tagen) @ Frank Zintl (918 Aufrufe)

Hallo!

Jetzt muss ich meinerseits die Methode mit Zitaten verwenden. Einigen wir uns darauf, dass jede Aussage zur Zukunft eine Prophezeiung ist, aber dass hinter einigen Prophezeiungen vorher erlebte Schauungen stehen wie bei Anton Johansson und Birger Claesson. Viele Prophezeiungen sind auch freie Phantasien der zusammengekocht aus Zeugs, das man irgendwo aufgeschnappt hat.

Da hätte sie noch so oft "ich sehe" sagen können, und es wäre daraus keine Schau geworden. Es bleibt eine bloße Prophezeiung. Das Verwenden der altbekannten Motive und Reizwörter zeugt eher davon, daß sie in diesem Satze fremde Ideen verwertet hat.


Ich glaube nicht, dass fremde Ideen 1968 bis nach Etnedal in Valdres vorgedrungen waren, ohne Fernsehen und mit höchstens der Landwirtschaftszeitung als Medium. Aber vermutlich ist ja die Prophezeiung gar nicht von einer alten Dame aus Valdres, sondern von Minos selbst.

Die fremden Ideen sind in dem von mir zitierten Satze doch offensichtlich:

  • Jesu Wiederkehr, ein Kerndogma des Christentums. So etwas wird freilich nicht originär gesehen, sondern aus dem allgemein bekannten kulturellen Fundus geschöpft. Eine solche Aussage ist niemals originäre Schau, sondern als Prophezeiung formulierte, aus religiöser Prägung sich ergebende subjektive Erwartungshaltung.
  • Der Dritte Weltkrieg, dessen Konzept der Dame schon aufgrund der Verwendung dieses Begriffs nachweislich bekannt gewesen sein muß, sofern ihr diese Aussage nicht von Minos zugeschrieben wurde.

Deine Spekulation, Du glaubest nicht, in einem so fernen Tale sei solch seltene Kunde bereits eingetroffen, ist vor diesem Hintergrund irrelevant.

Das Wesentliche, um das es mir beim Aufgreifen dieses Satzes aber ging, übergehst Du aber: Sie beschreibt diese Motive (Jesu Wiederkehr, Dritter Weltkrieg) nicht, wie sie es bei gesehenen präkognitiven Szenen zu erwarten (und zu verlangen!!!) wäre, sondern nennt lediglich die Begriffe. Damit spielt sie (oder Minos) auf der Klaviatur des Vokabulars der Endzeitprophetie und bringt damit bei den Gläubigen erwartungsvolle Zustimmung zum Resonieren.

Das macht eben Schauungsberichte (wie Claessons) von Prophezeiungen christlichen Coleurs unterscheidbar: erstere Bemühen sich um die vollständige Beschreibung einer Wahrnehmung, letztere Behaupten nur etwas, in diesem Falle plakative christliche Endzeitmotive, deren Inhalt sich der Leser dann schon passenden denken wird.

Ein Beispiel für eine im AT beschriebene Schauung ist die Berufung des Propheten Hesekiel. Wenn man das liest, liest es sich fast wie eine Landung von Ausserirdischen vor Hesekiels Augen.

Im AT gab es ständig Prophezeiungen durch Propheten, die direkt
von Gott berufen waren und die ihre Mitteilungen über die Zukunft
und über den damit verbundenen Prophetenauftrag auch direkt von
Gott hatten. Praktisch jedes Prophetenbuch beginnt mit der Berufung
und mit dem Auftrag. Meistens ist auch eine genaue Zeitangabe dabei.

Das ist jüdische Mythologie, die als solche der Welt der Tatsachen in dem Maße nahe steht wie das mythologische Troja und die römischen Stadtgründungsmythen dem realen Troja und dem wirklichen Entstehungsprozeß Roms. Es ist ebeneso real wie das Nibelungenlied oder die Arthussage real sind. Es gibt jeweils historische Tatsachenkerne und eine dicke Schicht märchenhafter Ausgestaltung, wobei die Geschichten inhaltlich natürlich nicht obsolet sind, sondern für die Völker, die sie hervorbrachten (!), hohen Symbolcharakter haben. Daß Jahwe Propheten in seinem außerwählten Volk noch gesondert hervorhebt und den Auserwählten so die Richtung vorgibt, das entspricht schlicht dem Selbstverständnis des jüdischen Volkes, kann aber nicht als historische Tatsache gewertet werden. Ebensowenig sind die Interventionen olympischer Göttergestalten im trojanischen Krieg als historische Tatsachen zu betrachten. Aus diesem Grunde sind die alttestamentarischen Beispiele auch keineswegs als legitime Exemplare für das reale paranormale Phänomen "Schauungen" heranzuziehen, es sind sagenhafte Geschichten, die Bibel entsprechend ein Geschichtenbuch, kein Geschichtsbuch.

Daraus wird auch gerne gefolgert, daß Schauungen von Gott kämen, was meines Erachtens ebenso sehr verkürzend (bzw. frömmelnd verallgemeinernd) und in der Sache dem entsprechend falsch ist.


Falsch ? Echte Aussagen über eine Zukunft, die dann wirklich eintritt, können nur von einem Wesen kommen, das dem Zeitablauf übergeordnet ist. Also von Gott.

Das ist das metaphysische Weltbild eines Schulkindes, in dem der liebe Gott die ganze Welt regelt und als persönlicher, vermenschlichter Gott auftritt.

Deine unbelegte Behauptung 1: Schauungen kommen von einem Wesen.
Deine unbelegte Behauptung 2: Nur Gott ist dem Zeitenlauf übergeordnet. (In diesem, zeitunabhängigen Bereich sind eher viele Abstufungen, verschiedene Zeitbegriffe und Zeitübersichten zu vermuten, die alle als Quellschicht für Schauungen in Frage kommen.)

Das sind schlicht bloß religiös begründete Glaubenssätze, die wahr sein müssen, weil das christliche Weltbild (oder Dein christliches Weltbild) es erfordert. Sie speisen sich aus der Bibel, die per se wahr sein muß und beweisen sich per Zirkelschluß an sich selbst.

Tatsächlich weißt Du (wie jeder andere!) überhaupt nicht, wo Schauungen herkommen, welche Vorgänge sich damit in der immateriellen Welt verbinden. Der verkürzende Hinweis auf das Geschichtenbuch Bibel, das auch nur die 2000-3000 Jahre alten menschlichen Konzepte der Juden zu diesem Thema enthält, befriedigt nicht. Das kann einen denkenden Menschen kaum zufriedenstellen.

Der Text gibt uns eine Erklärung. Die Einwohner von Ninive, die Assyrer, damals die aggressivste Grossmacht im Nahen Osten, bereuten gegen alle Wahrscheinlichkeit ihre Untaten. Ganz anders als die Einwohner von Sodom im ersten Mosebuch. Deshalb fiel die Strafe aus. Damit brachte aber Gott Jona in Bedrängnis, denn der galt jetzt als falscher Prophet und hielt sich ausserhalb der Stadt versteckt.

Das sind eher moralische Lehrfabeln, die dem Zuhörer der damaligen Feiern, bei denen diese verlesen wurden, ein Licht über ihr Verhältnis zu Gott aufstecken sollten: Sünden bereuen, um nicht vernichtet zu werden. Vergleichbares gilt für Jonas Hader mit Gott nach dem ausbleibenden Strafgericht. Das sind Geschichten mit einer Moral, keine historischen Tatsachenberichte, aus denen sich Schlüsse über das reale Phänomen Schauungen ziehen ließen.

Da haben wir unterschiedliche Deutungen. Viele der biblischen Ereignisse sind durch Archäologie bestätigt, wie das alte Buch "Und die Bibel hat doch recht" nachgewiesen hat. Sie haben so oder doch sinngemäss so ähnlich stattgefunden.

Auch Troja ist archäologisch bestätigt und auf dem Palatin stand in der Antike ein "Haus des Romulus", in dem aber gewiß nie der mythische Romulus lebte. Man kann aus dem Nachweis des historischen Kerns nicht auf die historische Echtheit der damit verbundenen Dichtung schließen. Eigentlich einleuchtend.

Damit ich nicht falsch verstanden werde: Die biblischen Geschichten funktionieren für den Christen auch, wenn sie keine historischen Tatsachen berichten. Wie alle Märchen, Sagen und Mythen funktionieren sie dadurch sogar besser, weil sie dem Menschen allgemeingültige Figuren des Lebens und übergeordnete Wahrheiten darbringen, die in der historischen Tatsachenwelt zwar wiederkehren, dies aber nie so deutlich, wie sie in der Dichtung herausgearbeitet werden können.

Gruß
Taurec


„Es lebe unser heiliges Deutschland!“

„Was auch draus werde – steh zu deinem Volk! Es ist dein angeborner Platz.“


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