zur unterschiedlichen Bedeutung der Bezeichnung Menschensohn in den Evangelien vs. Daniel (Freie Themen)

Ulrich ⌂, München-Pasing, Freitag, 26.10.2018, 23:13 (vor 1981 Tagen) @ Taurec (2618 Aufrufe)

Hallo Taurec,

Es läßt sich spekulieren, ob dieses historisch schon längst obsolet gewordene Machwerk [Daniel] deswegen in den Kanon aufgenommen wurde, weil es die Gleichsetzung des Messias' bzw. Jesu mit einem inkarnierten Gottesbestandteil ermöglichte. Die Wirkungsgeschichte dieser Konfabulation wäre dann weitaus fataler als von mir bislang angenommen.

Man traut es ihnen zu, den Möchtegern-Heils-Monopolisten, aber das setzt m.E. voraus, dass die Bezeichnung Menschensohn in den Evangelien auf Daniel verwiesen hätte.

Diese Interpretation hält Wolfgang Schenk für falsch:

"2.5 Eine Berührung oder gar Verschränkung mit der Visionsgestalt von Dan 7 ist
in Q schon morphologisch und erst recht semantisch nicht gegeben
: Bei der Visionsgestalt
steht eine Vergleichspartikel und es fehlt nicht nur der deiktische Artikel,
sondern auch jedes Moment einer Selbstreferenz. In den biographisch jesuanischen
Texten jedoch, wo Selbstreferenz maßgebend ist, fehlt die Visionsgestalt, und
umgekehrt fehlt da, wo die Visionsfigur von Dan 7 maßgebend ist, jedes Element
einer Selbstreferenz. Ebenso fehlt da, wo der deiktische Artikel maßgebend ist,
jede Vergleichspartikel der Visionsfigur und umgekehrt.

2.6 Darum ist der Assoziations-Schluss, dass die morphologische Genitivwendung
MS in frühchristlichen Texten schon als solche eine Rezeption des homonymen
Ausdrucks von Dan 7 belege, texttheoretisch unzulässig.
"

["MS" steht für "Menschensohn" ]

Quelle:
Wolfgang Schenk: Das biographische Ich-Idiom 'Menschensohn' in den frühen Jesus-Biographien. Der Ausdruck, seine Codes und seine Rezeptionen in ihren Kotexten. (Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments 177)
Vandenhoeck & Ruprecht, 1997 , ISBN: 352553860X,9783525538609
Kapitel: J Peroratio, S. 226-227
Die Begründung seines Urteils arbeitet Schenk auf den Seiten 31-54 nachvollziehbar aus.

Zur Herkunft / Deutung der Bezeichnung Menschensohn in den Evangelien fasst Schenk zusammen:

"1.2 Der Verursacher des Ausdrucks MS dürfte eine abwertende Fremdbezeichnung
von Opponenten für einen gewöhnlichen Menschen (in Antithese zu einer Autorisierung
durch Gott) sein.
1.3 MS ist also nicht einfach eine primär christliche oder gar jesuanische Prägung
zum Ausdruck einer Selbstbewertung, sondern eine Prägung von Opponenten, die
sich einem an sie gerichteten Anspruch widersetzen und entziehen.
1.4 Der Ausdruck MS gehört von seiner Genesis her zunächst in das Wortfeld 'Sünder'.
1. 5 Diese polemische Fremdbezeichnung wurde in der frühchristlichen Rezeption
antipolemisch und pointiert zur Selbstbezeichnung umfunktioniert."

Gruß
Ulrich


Gesamter Strang: