zu: Sean Carrolls Magerquark (Freie Themen)

Ulrich ⌂, München-Pasing, Sonntag, 16.09.2018, 12:56 (vor 2048 Tagen) @ Explorer (970 Aufrufe)

Hallo Explorer,

Vielleicht entsteht ja eine informative Diskussion.

"The Teaching Company", die den 12-stündigen Film 2012 produzierte, schreibt über Sean Carroll im beiliegenden Buch zum Kurs *: "having taught more than 200 scientific seminars and colloquia and given more than 50 educational and popular talks".

Die souveräne Routine und die gelungene anschauliche Darstellung sollten m.E. nicht darüber hinwegtäuschen, dass Carroll seine Zuhörer durch die vorgestellte Ideenwelt zu seiner Sicht der Welt "leiten" will, dabei unausgesprochene Prämissen nicht benennt und strittige Fragen auslässt.

Während dem Zuschauer Carrolls "Arrow of Time" von allen Seiten um die Ohren saust, hört man zum das Konzept der "zyklischen Zeit" bei 18:45 -19:00 nur die kurze Dorfschullehrer-Ermahnung, man solle sich durch die kreisförmige Mechanik [analoger] Uhren nicht dazu verleiten lassen, der Zeit eine zyklische Eigenschaft zu unterstellen (oder so ähnlich) .

Sein Buch: "From Eternity to Here: The Quest for the Ultimate Theory of Time" erschien 3 Jahre zuvor. Darin schreibt er zum Konzept der zyklischen Zeit:

Kap. 10
"Recurrent Nightmares

In Book Four of The Gay Science, written in 1882,
Friedrich Nietzsche proposes a thought experiment. He
asks us to imagine a scenario in which everything that
happens in the universe, including our lives down to the
slightest detail, will eventually repeat itself, in a cycle that
plays out for all eternity.
.."

uns schliesst dann mit:

"But in the 1890s controversy flared again, this time
in the form of Zermelo’s “recurrence paradox.” To this day,
the ramifications of these arguments have not been
completely absorbed by physicists; many of the issues that
Boltzmann and his contemporaries argued about are still
being hashed out right now
. In the context of modern
cosmology, the problems suggested by the recurrence
paradox are still very much with us
."

Wenn Zermelos "recurrence paradox" immer noch nicht entkräftet wurde und nach wie vor diskutiert wird, warum dann nicht von ihm?
(dazu: https://www.yumpu.com/en/document/view/18728364/zermelo-boltzmann-and-the-recurrence-paradox )

Was soll die ganze langatmige Erklärerei, wenn er fundamentale Einwände ausklammert?

"Wenn uns die Natur einen so schwer zu lösenden Knoten bietet, wollen wir ihn so lassen, wie er ist, und zum Zerschneiden dieses Knotens nicht die Hand eines Wesens benutzen, das dann für uns einen neuen Knoten bedeutet, der noch unlösbarer als der erste ist. Fragen Sie einen Inder, warum die Welt in der Luft schwebt, so antwortet er ihnen, sie ruhe auf dem Rücken eines Elefanten. Und worauf stützt sich der Elefant? Auf eine Schildkröte! Und die Schildkröte — wer trägt die? Dieser Inder tut Ihnen leid, doch könnte man Ihnen ebenso wie ihm sagen: Herr Holmes, lieber Freund, gestehen Sie zunächst Ihre Unwissenheit und verschonen Sie mich mit dem Elefanten und der Schildkröte."

aus: Denis Diderot: Brief über die Blinden. Zum Gebrauch für die Sehenden.
in: Philosophische Schriften, Bd. 1. Berlin, 1961, S. 78 f.

In Sean Carrolls "The big picture : on the origins of life, meaning, and the universe itself", das 2016 erschien, sucht man die Worte "cycle" und "cyclic" vergeblich und Zermelos Paradox ist ihm keine Erwähnung mehr wert, aber so kennt man das von Leuten, die sich berufen fühlen, "The big picture : on the origins of life, meaning, and the universe itself" erklären zu wollen.

Um das "Carroll-Gap" zu füllen, empfehle ich "Zyklen der Zeit: Eine neue ungewöhnliche Sicht des Universums" von Roger Penrose:
https://www.amazon.de/Zyklen-Zeit-ungew%C3%B6hnliche-Sicht-Universums/dp/3827428017

Im beiliegenden Kursbuch schriebt Carroll:
"The past that we have experienced is important to who we are
today. Even in the process of watching these 24 lectures, you’ll
learn things, you’ll change, and you’ll come out of this course
a different person than you were when you came in
. That’s a
central aspect of how time works."

öhm, nein. Kann ich nicht bestätigen.
Habe ich damit Sean Carroll widerlegt?

Gruß
Ulrich

*
Wer Carrolls kompletten Kurs oder eines der genannten Bücher leihweise ...


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