Ansichtssache? (Schauungen & Prophezeiungen)

Gerhard, Mittwoch, 12.08.2009, 18:25 (vor 5343 Tagen) @ BBouvier (7349 Aufrufe)

Das beurteile ich nach jahrzehntelanger Beschäftigung
mit dem Phänomen des Sehens anders.
M.E. sieht der Seher das gelbe Fahrrad dort,
weil es dort stehen wird.

Hallo BB - wir können weder theoretisch noch durch ein Experiment entscheiden, wer von uns beiden Recht hat.

Vielleicht wären beide Ansichten enthalten in dem folgenden Zitat vom altbekannten Meister Eckehart:

Was Gott heute tut, und was er vor tausend Jahren getan hat, und was er in tausend Jahren tun wird, ist ein Werk.

Denn in dem Wort "Werk" steckt ein wenig mehr von der Dynamik des "Zeitgeschehens" drin, auf die Du wohl hindeuten willst, und doch ist gleichzeitig enthalten, dass das Werk eine Ganzheit ist.

Ein anderer Aspekt Deines Einwurfes betrifft das Problem der Willensfreiheit. Ich habe diese Frage übrigens in einem meiner letzten Beiträge mit aufgeworfen, als ich fragte, ob wir Mitspieler in diesem Universum sind oder nur passiv Gespielte, wobei in dieser meiner Formulierung etwas mehr der Aspekt des Mitschaffens, Mitschöpfens, also der Kreativität betont wird.

Wer sich in der gegenwärtigen Philosophie oder in der Hirnforschung (z.B. Wolfgang Singer) umschaut, der wird erstaunt sein, dass im Gegensatz zur allgemeinen Volksmeinung diese Profis in Bezug auf unsere Willensfreiheit sehr, sehr skeptisch sind. Aufgrund meiner jahrelangen Erforschung von historischen und biographischen Zyklen bin ich hier ebenfalls eher ein Pessimist.

In Deiner "Eingangssequenz" bringst Du ein Beispiel, dass Du eine freie Entscheidung darüber hast, ob Du jetzt ein Zigarillo rauchst - oder auch nicht. Du hast aber vergessen, die Frage zu stellen, warum Du gerade in diesem Augenblick, das Verlangen hattest, eine zu rauchen. Bist Du in Deinen Gewohnheiten, spontanen Einfällen, in Deinen Verlangen etc. vollkommen frei?

Die Situation ist so, dass der Mensch ein Wesen ist, das potentiell zur Freiheit befähigt ist. Diese Gabe ist eine der wenigen "Einzigartigkeiten", die den Menschen erst zum Menschen machen. Aber dieser Tatsache muss der Mensch sich erst bewusst werden, und dann muss er sich stetig darin üben, frei und immer freier zu werden. Das ist ein Handwerk und eine Kunst, um die sich aber die meisten Menschen gar nicht mühen.

Schade, meine ich.

Gerhard


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