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Kunst, Philosophie und Wissenschaft (Übersinnliches & Paranormales allgemein)

Taurec ⌂, München, Sonntag, 12.08.2018, 10:22 (vor 2083 Tagen) @ Ranma (らんま) (4747 Aufrufe)
bearbeitet von Taurec, Sonntag, 12.08.2018, 11:14

Hallo!

Ja, vielleicht. Was meint denn Nietzsche dazu? Ich respektiere Nietzsche, auch wenn er meint, man kann die Wissenschaft nicht auf Grundlage der Wissenschaft verstehen. Welche Grundlage schlägt er stattdessen vor?

Die Hermeneutik als Methode wollte Nietzsche sicherlich nicht diskreditieren, schließlich ist das genau die Methode, derer sich Philosophen bedienen. Und wenn ich dadurch so schnell dazulerne, daß du dabei zusehen kannst, dann mach mir das halt zum Vorwurf. Ich finde das trotzdem nicht falsch.

Da ich das Zitat nur aus zweiter Hand bei Ernst Jünger aufgeschnappt habe, ohne Nietzsches "Geburt der Tragödie" gelesen zu haben, ist die Antwort natürlich nur rudimentär.

Bei Jünger ("Aladins Problem"): "Das Problem der Wissenschaft kann nicht auf dem Boden der Wissenschaft erkannt werden. … Die Wissenschaft ist unter der Optik des Künstlers zu sehen."

Und das soll einen Hinweis geben auf die Lösung des Problems des Protagonisten und seines Kameraden, beides Offiziere alten Adels, nämlich "die Frage, wieso wir, und mit Eifer, einem System dienten, das uns zuwider war, und warum wir uns für die Entwicklung von Waffen begeisterten, die eines Tages auch uns in die Luft sprengen würden – das war der Gipfel der Schizophrenie."
Das ist natürlich die Frage jedes heute hier Lebenden, der noch halbwegs alle Tassen im Schrank hat, denn das System kann einem nur zuwider sein.
Die Antwort unter anderem: "Schizophrenie ist ein Kennzeichen der Subalternen, also allgemein. Sie bleiben auf der Ebene, springen über ihren Schatten nicht hinweg", was heißt, das Problem läßt sich nicht auf Grundlage widerstreitender Theorien und Ideologien lösen, innerhalb welchen Rahmens Konservatismus, Monarchismus etc. nur eingehegte Ideen sind, die sich aneinander abnutzen und ihre Träger im Widerstreit der Systeme, für die sie sich verheizen lassen, zerreiben (meine Interpretation).
Statt dessen ist die Ablösung auf einer höheren geistigen Ebene zu vollziehen, auf der sich die systemischen Widersprüche zu Symptomen der Krankheit (Schizophrenie) vereinen. "Man konnte auf die Ebene hinabsteigen, konnte sie sich selbst überlassen, konnte sie als Schauspiel genießen oder eingreifen." Hier ist man dann frei und kann das Ding an sich widerlegen, die Moderne in sich töten.

Das läßt sich natürlich auf die Wissenschaft übertragen, die ebenfalls nur ein Subsystem der Moderne ist. Als solches löst sie keine Probleme, sondern schafft Probleme, bzw. ist selbst ein Problem. Wer allein darin verweilt oder davon ausgeht, bleibt innerhalb der Schizophrenie.
Daß man Dinge, deren Teil man selbst ist, aufgrund der Innenperspektive niemals in ihrer Gesamtheit erkennen kann, sollte unmittelbar einleuchten.

Das Zitat steht bei Nietzsche in der sechzehn Jahre nach der Erstveröffentlichung formulierten Vorrede zur "Geburt der Tragödie". Darin stellt er die Frage:
"Und die Wissenschaft selbst, unsere Wissenschaft – ja, was bedeutet überhaupt, als Symptom des Lebens angesehn, alle Wissenschaft? Wozu, schlimmer noch, woher – alle Wissenschaft? Wie? Ist Wissenschaftlichkeit vielleicht nur eine Furcht und Ausflucht vor dem Pessimismus? Eine feine Nothwehr gegen – die Wahrheit? Und, moralisch geredet, etwas wie Feig- und Falschheit? Unmoralisch geredet, eine Schlauheit?" Seiner Ansicht nach haben die Sokratiker mit ihrer Methode offenbar den Geist der klassischen Griechen getötet: "Könnte nicht gerade dieser Sokratismus ein Zeichen des Niedergangs, der Ermüdung, Erkrankung, der anarchisch sich lösenden Instinkte sein?"
Davon ausgehend formuliert Nietzsche sein Problem: "heute würde ich sagen, dass es das Problem der Wissenschaft selbst war – Wissenschaft zum ersten Male als problematisch, als fragwürdig gefasst. [...] hingestellt auf den Boden der Kunst – denn das Problem der Wissenschaft kann nicht auf dem Boden der Wissenschaft erkannt werden. [...] – die Wissenschaft unter der Optik des Künstlers zu sehn, die Kunst aber unter der des Lebens."

Kunst, das ist im Grunde nichts anderes als die intuitive und schöpferische Erfassung tieferer Wahrheiten in der Schöpfung und im Leben, die im Kunstwerk verdichtet (daher die Bezeichnung "Dichter") und symbolisch dargestellt werden. In diesem Sinne ist das gesamte Leben einer Hochkultur Kunst – im Gegensatz zur Natur, aus der sie hervorgeht –, in welchem sich die Kultur ihre Wahrheiten vor sich selbst hinstellt. Von diesem Punkte ausgehend ist auch die Wissenschaft nur als sekundäre Schöpfung, als Symptom aufzufassen. Ihr Sinn ist nicht, Probleme zu lösen, sondern selbst eines Darzustellen bzw. zu formulieren.
(Nietzsche hatte indes wohl in etwa den Hintergedanken, durch Zerlegung des rationalistischen, zersetzenden Kulturbetriebs den Geist der griechischen Tragrödien, also der ungebändigten Urkultur, wiederzubeleben.)

Die Hermeneutik als Methode [...] ist [...] genau die Methode, derer sich Philosophen bedienen.

Das gilt vermutlich nur für jene "Philosophen", die aus einem Philosophiestudium hervorgegangen sind, in welchem die Werke eigentlicher Philosophen rezipiert werden, die ihrerseits aber in den seltensten Fällen Philosophie studiert haben. Es ist vergleichbar den Literaturwissenschaften, Theaterwissenschaften etc. Man wird dadurch nicht Autor oder Dramatiker, sondern betrachtet es aus einer kalten Außenperspektive. Entsprechend landen in solchen Fächern epigonale Naturen, die selber in diesen Bereichen gar nichts zu bestellen in der Lage sind, aber durch angelesenes Wissen viel auf sich halten und prätentiös voreinander Kultur imitieren. Solche Studiengänge lassen sich ja überhaupt nur wirtschaftlich betreiben, indem man Massen von Nichtsnutzen aufnimmt, zwischen denen geniale Geister untergehen würden.
⇒ Wer sich geistig verbilden und als Philosoph für alle Zeit unmöglich machen will, der studiert Philosophie und/oder wird Hermeneutiker. Welch verquere Idee, statt das Leben zu studieren und darauf seine Philosophie aufzubauen, als "Philosophiewissenschaftler" die Philosophien über das Leben zu studieren und dadurch quasi einen undurchdringlichen Schleier vor den Quell der Wahrheiten zu legen, das Ding an sich nur um eine Ecke durch ein dünnes Fernrohr zu betrachten.

Gruß
Taurec


„Es lebe unser heiliges Deutschland!“

„Was auch draus werde – steh zu deinem Volk! Es ist dein angeborner Platz.“


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