@Ranma (Freie Themen)

Ulrich ⌂, München-Pasing, Sonntag, 05.08.2018, 18:08 (vor 2063 Tagen) @ Ranma (らんま) (1188 Aufrufe)

Hallo Ranma,

Ich rate zu mehr Vorsicht.

selbstverständlich, das sollte jedoch m.E. nicht Vermeidung zur Folge haben, sondern Umsicht beim Umgang mit diesem "spirituellen" Sondermüll:
An der nicht beampelten Kreuzung sich auf Vorsicht beschränkend, wird man sie ggf. aus Furcht nicht überqueren, ist man umsichtig (schau links, schau rechts) sollte es gelingen, wenn auch hakenschlagend, unbeschadet die andere Straßenseite zu erreichen.

Wer meint, nachdem sich ihm bei der Quellenforschung zu abendländischen Schauungen ein Sumpf von Fälschungen, Erfindungen, Täuschungen, Betrug usw. offenbart hat, er käme bei der Beschäftigung mit Okkultismus, Magie oder was man in Neusprech "Esoterik" nennt, in ruhige Fahrwasser, wäre naiv. Beide Bereiche überschneiden sich, hier wie dort gibt es Hochstapler, Scharlatane und Betrüger, und das sind nicht selten die, die sich in die erste Reihe drängen.

Dem unter dem Berndt-Syndrom leidenden, der den Adlmaierschen Fälschungen Authentizität bescheinigt, weil deren Motive sich in älteren französischen Quellen wiederfinden, würde hier zu Recht der Forentigger verliehen.
Diesen verdient m. E. auch Jeder, der ergriffen Crowleys personalisierte Versionen von Tarot, Yoga, Astrologie und sonswas verinnerlicht, ohne sich kritisch und gründlich um deren Herkunft, also um Crowleys Quellen, Gedanken zu machen, und der Crowley für einen in einer langen Tradition stehenden "Meister" hält, weil Andere vor ihm, deren Irrtümer er übernommen hat, den gleichen Unsinn schrieben.

Man sollte zweierlei bedenken: Wer meint, in den Handbüchern zur Magie, egal ob von Crowley, Bardon oder sonstwem Anleitungen für eine selbständige Schulung vorzufinden, der verkennt, wofür sie real-historisch meist gedacht waren: Das Interesse zu wecken, einer meist geschlossenen Gruppe beizutreten, den Leser zu animieren, vom Laien zum Kreis der Eingeweihten vorzustoßen, Anhänger zu gewinnen.

Zum zweiten war es üblich, Teile dieser (Marketing-)Publikationen durch Vertauschung einzelner Elemente zu verschlüsseln, jedoch durch Widersprüche im System, die sich dem aufmerksamen Leser erkennbar daraus ergeben, die Trottel von den kritischeren Geistern zu scheiden und eine persönliche Kontaktaufmahme letzterer zu forcieren. Also kein Dummenfang, sondern ein beabsichtigter Filter. Das hat zumindest seit dem Mittelalter Tradition.

Bardon, der sich den Inhalt seiner Schriften nicht aus den Fingern sog, sondern Schüler von Karl Weinfurter und vermutlich auch von Friedrich Wilhelm Quintscher war, verwendete in seinem Buch "Die Praxis der magischen Evokation" z.B. Bezeichnungen aus "Occulta Philosophia" von Agrippa von Nettesheim. Offensichtlich hat er jedoch (wie auch Quintscher) deren Reihenfolge verschlüsselt: Viel Vergnügen beim Evozieren ...
Quelle: "Anubis - Zeitschrift für praktische Magie und Psychonautik", Heft 10/Dezember 1988 (Hrsg.Ralph Tegtmeier, Pseud.: Frater U.D.)
Eine Kostprobe zum Hauen und Stechen über diese und andere Unstimmigkeiten: http://www.verlag-dr.de/Politik/Artikel/Rez-Stejnar.htm

Im übrigen wirft Dr. Lumir Bardon, der Sohn Franz Bardons, in einem offenen Brief vom 21. März 2018, dem Erst-Herausgeber Hermann Bauer (Bauer-Verlag, Freiburg) vor, jener habe "einige kleine Änderungen in den Texten vorgenommen, die seiner Auffassung nach helfen sollten, die Bücher besser zu verkaufen" und stellt fest:

"Beim Durchlesen der Original-Manuskripte meines Vaters fiel mir auf, dass keines der Bücher meines Vaters jemals so herausgegeben wurde, wie er sie selbst im Original geschrieben hat."

Sofern ich das nicht missverstehe, bezieht er mit "jemals" offensichtlich auch den bisherigen Herausgeber (in Nachfolge des Erst-Herausgebers Hermann Bauer), den Verlag Dieter Rüggeberg mit ein, ohne diesen allerdings zu nennen. Allerdings sind manche von Rüggebergs eigenen Büchern sowas von "großzügig" im Umgang mit Fakten, dass es der Sau graust, und der Entzug der Vertriebsrechte spricht für sich.
Quelle: https://archivhermetischertexte.at/brief-von-lumir-bardon-21-03-2018

"Magie" ist ein schwammiger Begriff, oft genug für falsche Etikettierung missbraucht. Halte ich mich an Crowleys Definition, so versteht er darunter offensichtlich: "Die Kunst und Wissenschaft, die Welt in Übereinstimmung mit dem Willen zu formen." Abgesehen davon, daß dies in meinen Ohren nach Hybris klingt, wirft seine Definition die Frage auf, was er mit "dem Willen" meint, um seine Definition überhaupt verstehen zu können.

Sollte er seinen (und meinen, Deinen usw.) persönlichen Willen meinen, überlasse ich die Diagnose dem Psycho-Pathologen, meint er aber einen "überpersönlichen" Willen, z.B. im Sinne Schopenhauers o.ä., dann bleibt er die Erklärung schuldig, warum dieser Wille zu seiner Verwirklichung einen zwielichtigen Typ wie Crowley und dessen Methoden überhaupt nötig hätte. Kurzum: Klingt nach der Definition eines Schwätzers, die alles offen lässt.

Ich störe mich auch an anderen "Kleinigkeiten": Crowleys Zwangsneurose, allem Vorgefundenen einen "persönlichen Stempel" aufzudrücken, um es sich einzuverleiben, was sich in grotesken Neologismen wie "Magick" oder "Astrologick" sowie seinem Hütchenspiel mit Tarotkarten mittels Umbenennung und Neu-Zuordnung äußerte. Ich finde das schäbick und lächerlick.

Franz Bardons Definiton von Magie klingt pragmatisch, aber auch letztlich utilistisch, damit m.E., anders als er behauptet, "un-heilig":
"In Wirklichkeit ist Magie eine heilige Wissenschaft. Sie ist im wahrsten Sinne des Wortes das Wissen alles Wissens, denn sie lehrt die Universalgesetze kennen und gebrauchen."
"Gebrauchen"? Vielleicht ist das grottig übersetzt, denn selbst menschengemachte "Gesetze" sind üblicherweise zur verbindlichen Orientierung gedacht , man hat sie zu respektieren, das gilt für die Straßenverkehrsordnung bis zur Haager Landkriegsordnung.
Die "Universalgesetze" jedoch, die "das Wissen alles Wissens" beinhalten, die sollen laut Bardons Magie-Definition dazu da sein, um sie mittels Magie zu "gebrauchen"?
Und dafür einen 10-stufige Schulung durchlaufen? Das erinnert fatal an die Art, wie sich Papageien unter dem Flügel hindurch am Kopf kratzen. Nein Danke.

Ich gehe inzwischen davon aus, daß Bardons Richtung nicht unbedingt meine ist. Mittels Astrologie kann man ähnlich viel erreichen. ...

Eine kluge Einschätzung, auch wenn der Vergleich etwas hinkt, da sich Elektionen meiner Erfahrung nach nicht dazu missbrauchen lassen, die Welt nach "dem [persönlichen] Willen zu formen", sondern (im Sinne Bardons?) dadurch den Sinn für die "Universalgesetze" zu entwickeln. Und sich einzufügen, wäre zu ergänzen.

Den Klassiker zu diesem Thema wirst Du kennen: Vivian Robson "Electional Astrology", (1937 und daher gemeinfrei) https://archive.org/details/in.ernet.dli.2015.128090
Mindestens ebenso zu empfehlen ist "Horary Astrology: Practical Techniques for Problem Solving with a Primer of Symbolism" von Marc Edmund Jones, das eine Sonderstellung einnimmt: "... Every other horary book (see Lilly's classic work) is a long list of what amounts to magical formulas. As a minister [Jones war presbyterianischen Pastor] lacking a magical religious foundation, Marc Edmund's horary book is a list of philosophical traits. ..." http://www.astroamerica.com/jones.html
Allen Edwall bietet gratis die Windows-Software "Election Helper" an: https://astrowin.org/ehwin.php , für die praktische Anwendung.

... Aber ohne in der Klapse zu landen.

Kommt wohl öfter vor, als man meint: http://www.kompetenznetz-schizophrenie.info/forum/index.php?action=vthread&forum=2&topic=9623

Fazit im Beitrag #76 (letzte Seite):
"Iopus, ich habe mich vier Jahre jeden Tag mit dem Werk von Bardon auseinandergesetzt.
Jeden Tag 2 Stunden die Übungen gemacht.
Ich habe das Buch durchgearbeitet. Und meine Begabung entfaltet.
Diese Begabung kann aber dafür sorgen dass man in der Klinik landet, da die Geistige Welt nicht darauf gewartet hat dass man sich mit ihr unterhält.
Mit Medikamenten ist alles okay.
Wenn man sich wie in Bardon 2. Buch mit Aliens unterhalten will, dann unterhält man sich mit Aliens, was ein Krankheitsbestand ist.
Daher kann es sein, dass man bei seinem Hermetischen Tun einen Psychiater dazuholen sollte."

Also eine ausgewogene Mischung aus täglichen magischen Übungen nach Bardon, Medikamenten und ärztlicher Begleitung, das ist der Trick, dann wird schon nichts passieren.

Gruß
Ulrich


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