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Wissenschaft und Religion, die drölfte... (Freie Themen)

Taurec ⌂, München, Donnerstag, 07.06.2018, 08:06 (vor 2122 Tagen) @ Ranma (らんま) (2301 Aufrufe)
bearbeitet von Taurec, Donnerstag, 07.06.2018, 08:24

Hallo!

Ich hatte Physikunterricht an der Schule und ich hatte Physik als Nebenfach an der Uni. In beiden Fällen wurden klassische Experimente wiederholt.

Es wurden Experimente zur Mechanik durchgeführt, zum Beispiel auf den berüchtigten Luftkissenschienen, die immer wieder die Frage aufwerfen, warum Schwebebahnen nicht so funktionieren. Man kann jederzeit Experimente zur Mechanik wiederholen, sogar jedes Billardspiel zählt darunter. Das ist Wissenschaft. Aber kein Glaubenssystem.

Du unterstellst leichtfertig, daß z. B. Gebete, Opfer, schamanische Praktiken oder generell irgendwie geartete Beziehungen zu transzendenten Ebenen nicht wie Experimente wiederholbare und – sofern Praxis und Methode bzw. Experimentaufbau und Grundannahmen stimmen – reliabele Ergebnisse liefern würde.

Die Anwendungen reichen von der Heilung einer Besetzung durch Exorzismen und Gebete über die geistige Heilung seelischer und körperlicher Krankheiten bis hin zum Schutz vor Unheil durch höheren Beistand. Diese Dinge funktionieren. Tun sie es nicht, war der Ansatz falsch, z. B. falsche Glaubensannahmen oder fehlende Begabung. Es hat auch nicht jeder den Kopf für ein Physikstudium.

Priester, Mönche, Schamanen, Medizinmänner usw. liefern wie Wissenschaftler Antworten auf Fragen und Probleme der Menschen. Der einzige Unterschied ist, daß sie verschiedene Ausrichtungen haben. Sie sind auf verschiedene Schichten der Welt gerichtet und gehen mit jeweils dafür entwickelten Methoden an diese heran, um ihnen Antworten zu entlocken.

Im weiteren sagst Du nur wissenschaftliche Beschwörungsformeln und Zaubersprüche auf (Spektralfarben, Doppelspaltversuch usw.), um dem Leser einen Ausweis Deiner Priesterschaft zu liefern. Du hast Dein Kirchenlatein gelernt und kannst nun die heiligen Schriften verstehen. ;-)

Schließlich muß man auch zur Thermodynamik nichts einfach glauben. Die ist nämlich kein Glaubenssystem, sondern Wissenschaft.

Sofern man zu den Grundannahmen kommt, kann man nur glauben. Wir hatten das schon mal, aber Du hast es nicht kapiert.
Es macht keinen Unterschied, ob man die Gesetze der Thermodynamik anwenden und funktionierende Technik entwickeln kann, oder ob man durch aufrichtiges Bereuen seiner Sünden und echten priesterlichen Beistand ein übles Schicksal abmildert oder sich für das gute Gelingen einer Sache einsetzt. Das sind Anwendungsfragen, die in beiden Fällen Ergebnisse liefern, da sie auf erkannten Gesetzmäßigkeiten – physischen und metaphysischen – beruhen.

Mit elektrischem Strom experimentierten wir auch etwas herum. Das Einzige, das ich dabei lieber glaubte als es auszuprobieren, war der Hinweis, daß elektrischer Strom gesundheitsschädlich sein kann. Aber du hast jederzeit die Möglichkeit, dich raus aufs Land zu begeben und mal mit beiden Händen herzhaft in einen elektrischen Weidezaun zu greifen, falls du den Warnhinweis nicht einfach glauben willst. Dann erarbeitest du dir dieses Wissen selbst und das ist der Unterschied zwischen Glauben und Wissenschaft.

Allerdings gibt es modernere Bereiche der Physik, aus denen Schüler und Studenten keine Versuche wiederholen. Wir haben weder Schwarze Löcher in einem Teilchenbeschleuniger erzeugt noch eine Atombombe gezündet. Das ist nicht so einfach durchführbar. Daher haben wir hier eine Grenze erreicht, an der Wissenschaft in Religion übergeht.

Wenn Wissenschaft und Religion nicht grundsätzlich die selbe Sachen wären, gäbe es überhaupt keine Grenze, an der die Dinge ineinander übergehen könnten.

Die nicht mehr nachstellbaren Experimente stammen aus dem zwanzigsten Jahrhundert, die in der Schule nachgestellten klassischen Experimente stammen aus früheren Jahrhunderten. Deshalb ist Glaube das Resultat des Niedergangs der Wissenschaft.

Glaube ist regelmäßig Resultat der Wissenschaft. So bestätigen etwa reproduzierbare Ergebnisse von Experimenten den Glauben an die geprüften Annahmen. Da Experimente in der Schule mitnichten zur Generierung neuer Erkenntnisse dienen, scheint es sich mir dabei im Wesentlichen um eine andere Art des Religionsunterrichts zu handeln, in der man klassische Glaubensfundamente (z. B. die newtonschen Gesetze) erzählt, um die Pennäler zum rechten Glauben zu bewegen.
Der Niedergang liegt darin, daß die Wissenschaftler ihre eigene Natur nicht erkennen und vermeinen, sie bewegten sich tatsächlich in etwas anderem als einem ausgefeilten Glaubenssystem und wären etwas Besseres.
Zugleich scheint es mir (aus eigener Bekanntschaft mit einigen Wissenschaftlern) dem Grundethos jedenfalls des modernen Wissenschaftlers durchaus zu entsprechen. Wie für letzte Menschen typisch sagen sie, "wir haben das Glück gefunden", und vermeinen, durch ihren Ansatz alle vermeintlichen historischen Irrtümer, worunter sie die ganze alte Religion subsumieren, überwunden zu haben. Das ist der Irrglaube an den Fortschritt, der die moderne Welt immer tiefer in den Abgrund bewegt.
Allzuviele kommen aus einem irgendwie religiös gearteten Elternhaus (z. B. frömmelnde Mutter) und scheinen z. B. durch ein Physikstudium ihre Überfütterung mit Bibelunsinn kompensieren zu wollen. Es liegt auf der Hand, daß Gift und Gegengift eine innere Verwandtschaft haben müssen, um aufeinander wirken zu können. Das bedeutet auch, daß das Gegengift bei Überdosierung zum Gift werden kann und umgekehrt.

Auf der Hand liegt ebenfalls, daß man mit solchen Leuten abendfüllende Diskussionen über Darwinismus und Kreationismus führen kann, wobei sie ersteren wie zuvor letzteren hündisch verehren. Sie haben lediglich einen Glauben durch einen anderen ersetzt, was nicht heißt, daß sie nicht innerhalb ihres aktuellen Glaubenssystems mit seiner Methodik reliable und womöglich gar objektiv wahre Ergebnisse liefern könnten.

Sofern Du Dein Studium aufgenommen hast, um Deinem Elternhaus zu entfliehen, bist Du am Ende nur in anderer Gestalt an dem Punkt angekommen, von dem Du ausgezogen bist.

Gruß
Taurec


„Es lebe unser heiliges Deutschland!“

„Was auch draus werde – steh zu deinem Volk! Es ist dein angeborner Platz.“


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