Die Grenze zwischen Wissenschaft und Glaubenssystemen (Freie Themen)

Ranma (らんま), Donnerstag, 07.06.2018, 02:34 (vor 2122 Tagen) @ schwelmi (2232 Aufrufe)

Hallo!

Bei den meisten Punkten stimme ich dir völlig zu. Aber nicht bei dem einen:

Mit deinem Beitrag implizierst du, dass Wissenschaft kein Glaubenssystem darstellen würde. An diesem Punkt möchte ich mein Veto einlegen.

Ich hatte Physikunterricht an der Schule und ich hatte Physik als Nebenfach an der Uni. In beiden Fällen wurden klassische Experimente wiederholt.

Es wurden Experimente zur Mechanik durchgeführt, zum Beispiel auf den berüchtigten Luftkissenschienen, die immer wieder die Frage aufwerfen, warum Schwebebahnen nicht so funktionieren. Man kann jederzeit Experimente zur Mechanik wiederholen, sogar jedes Billardspiel zählt darunter. Das ist Wissenschaft. Aber kein Glaubenssystem.

Experimente zur Optik, zum Beispiel die Aufspaltung von weißem Licht in Spektralfarben, führten wir auch durch. Daß sich weißes Licht aus farbigem zusammensetzt, muß man niemandem einfach glauben. Der Forumteilnehmer Harald Kiri hatte sogar mal jemandem hier zur Wiederholung des berühmten Doppelspaltversuchs eingeladen. Auch Experimente zur Optik sind klassisch und sind Wissenschaft.

Kalorische Messungen sind besonders langweilige Versuche. Die wiederholten wir trotzdem. Schließlich muß man auch zur Thermodynamik nichts einfach glauben. Die ist nämlich kein Glaubenssystem, sondern Wissenschaft.

Mit elektrischem Strom experimentierten wir auch etwas herum. Das Einzige, das ich dabei lieber glaubte als es auszuprobieren, war der Hinweis, daß elektrischer Strom gesundheitsschädlich sein kann. Aber du hast jederzeit die Möglichkeit, dich raus aufs Land zu begeben und mal mit beiden Händen herzhaft in einen elektrischen Weidezaun zu greifen, falls du den Warnhinweis nicht einfach glauben willst. Dann erarbeitest du dir dieses Wissen selbst und das ist der Unterschied zwischen Glauben und Wissenschaft.

Allerdings gibt es modernere Bereiche der Physik, aus denen Schüler und Studenten keine Versuche wiederholen. Wir haben weder Schwarze Löcher in einem Teilchenbeschleuniger erzeugt noch eine Atombombe gezündet. Das ist nicht so einfach durchführbar. Daher haben wir hier eine Grenze erreicht, an der Wissenschaft in Religion übergeht. Von der Wirkung der Atombombe zeugen immerhin Filmaufnahmen und das zerstörte Hiroshima. Obwohl das Experiment nicht im Schulunterricht wiederholt werden kann, ist es wenigstens möglich, Beweise vorzulegen. Deshalb bezeichne ich das als die Grenze. Noch schwieriger nachvollziehbare Experimente können dafür sorgen, daß wir uns in der Religion wiederfinden, wenn nämlich nichtmal mehr klare Beweise vorgelegt werden können.

Die nicht mehr nachstellbaren Experimente stammen aus dem zwanzigsten Jahrhundert, die in der Schule nachgestellten klassischen Experimente stammen aus früheren Jahrhunderten. Deshalb ist Glaube das Resultat des Niedergangs der Wissenschaft.

Gruß,
Ranma


Gesamter Strang: