mein Brief an mich - von aahm Mercedes Diesel (Freie Themen)

Baldur, Samstag, 28.04.2018, 13:19 (vor 2162 Tagen) @ Baldur (3306 Aufrufe)
bearbeitet von Baldur, Samstag, 28.04.2018, 13:49

Hallo,

die erste Frage beginnt schon damit, ist zu erwarten, dass man 2028 selbst noch lebt?

Ich wäre dann ein alter Mann, der, sofern er noch einen Job hätte, kurz vor dem Absägen in die Altersverwahrung und -Entsorgung stünde, vor dem unvermeidlichen Fall in die Altersarmut - es sei denn, die Sicherungsstricke der alternativen Investmentstrategie hätten gehalten - was völlig unsicher und absolut offen ist.

Wäre ich in keinem Job mehr, sehe ich mich in einem eher kargen Dasein auf niedrigem Niveau in einer ländlichen, abgelegenen Gegend, alleine.
Wo, kann ich nicht sagen, aber mit grosser Wahrscheinlichkeit nicht mehr zwischen Nordsee und Alpenhauptkamm.

Hier kommt eine Variante ins Spiel, ein Medium "sah" mich in einer Beziehung zu einer Frau in einem warmen, dschungelähnlichen Gefilde. Eher Südostasien, muss aber nicht dort sein.
Was ich mir derzeit noch nicht vorstellen kann.

Weiter im gefühlt-fiktiven Text:

Irgendwann wurde mir der Irrsinn zu viel, ich stieg aus und schmiss hin. Komplett. Recht bald sogar. Der Alltagsunsinn wurde einfach unerträglich.

Verkaufte, was da war, und machte mich auf die Reise. Lebe derweil mobil, primitiv, aber glücklich und sorglos. Fast wie N0by aus dem gelben Forum. Nur eben dauerhaft.

Europa veränderte sich, es glich stellenweise dem Libanon während des Bürgerkriegs oder den französischen Banlieus, also Alltagsgewalt und Kriminalität durch Banden und Co. als Normalzustand und überall.
Trotzdem war das nicht schlimmer, als Zustände in Sao Paulo oder Mexico heute. Äh, damals, natürlich. Man gewöhnte sich dran. Schliesslich war Friede und Sicherheit im öffentlichen Raum ja voll Natsieh, oder so, weisch.

"Es" arrangiert sich eben mit allem, das Leben.

Der grosse Kräsch blieb aus, die Blasen fielen in sich zusammen, aber nicht auf Null. Es war eher eine Seitwärtsbewegung. Das System erwies sich als einfallsreich, trickreich, und ausgebufft.
Natürlich war es immer noch eine heisse Luftnummer, aber der Laden lief, oder eierte oder schlidderte - weiter - wie immer.

Die Bevölkerungsstruktur hat sich verändert, es wurde - wie in vielen Metropolen zuvor - ein Durcheinander, flächendeckend.

Wer arbeitet und Abgaben leistet, ist der Dumme, wer Transferleistungen bezieht, fein raus. Über alle Bevölkerungsgruppen. Aber das war schon 1960 so. Nur die Namen haben gewechselt, das System hat sich nicht verändert, für den, dem genommen wird.

Die Alten beklagen noch immer, wie früher, dass die, die nachkommen, dümmer und unbrauchbarer sind, als sie selbst.
Und sie sind es auch - trotzdem läuft es irgendwie weiter.

Schon damals war ein sogenannter "Handwerker" in Blöddummistan unfähiger, als ein deutscher Handwerksmeister im Jahre 1980 mitsamt Meisterprüfung, aber deswegen überleben die na-so-lala-geht-irgendwie-oder-auch-nich-was-solls.-Scheiss-die-Wand-an Leute in Blöddummistan auch. Irgendwie eben, anders.

Am Teutschen Wesen wird die Welt eben nicht genesen, denn zum deutschen Wesen gehören offensichtlich auch Gestalten wie Merkel, Maas und Mumpitz.

Die Tüchtigen und Fähigen haben sich, wie schon vorher, in die ganze Welt verstreut. 250.000 Deutsche verliessen ihre Heimat pro Jahr im Schnitt. Die Besten gingen und sind weg. Die Lücke, die sie hinterliessen, hat sie vollständig ersetzt.

Es wird immer sein, wie´s immer war.

Zurückzukommen auf ein österreichisches Mundartlied von einem, der auf ein Taxi wartete:

I woart auf a Taxi, aber es kummt net, i woart auf a Taxi, aber es kummt net,
I woart aufs Brummen von aaahm Mercedes Diesel, aber es brummt net.

Godot wartet auch immer noch. Und wird ewiglich warten.

Es gab kein Himmelskreuz, kein Wunder in Garabandal, der Papst geniesst noch immer feinste Speisen im Vatikan, gesponsort von den Gläubigen, ohne, dass man ihn derweil vertrieben hätte, und es fühlt sich fast so an, als sei kaum Zeit zu 2018 vergangen. Und doch ist so viel passiert, dass es fremd geworden ist.

Und wir, wir sind alt geworden. Merken, dass das Transportband zum individuellen Exit unbeirrt weiterläuft.

Deswegen ist es so gewaltig anders, dass man sich nicht mehr wohl fühlt. Man passt in diese neue Welt(UN)ordnung einfach nicht mehr rein, und man sehnt sich zunehmend, seine Ahnen zu treffen.
Vielleicht, nein, wahrscheinlich, bin ich länsgt weg und dort, im Jahre 2028.

Oder so. Ich mach mir da nix vor.

Die Wéltgeschichte rechnet als Masseinheit nicht in Jahren, sondern in Jahrzehnten, eher Jahrhunderten, das 20. Jahrhundert war erst das Jahrhundert der grossen Diktatoren, danach das (Halb-)Jahrhundert der Wohlstandsexplosion in den westlichen Besatzungszonen, das 21. Jahrhundert muss erst zeigen, wie sehr man Fakten biegen und Illusionen zum Anknüpfungspunkt machen kann, ohne, dass es - wie immer zuvor - kollabiert.

Beste Grüsse vom Baldur


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