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Der Bob und die Baumeister (Schauungen & Prophezeiungen)

Fenrizwolf, Sonntag, 23.07.2017, 05:00 (vor 2441 Tagen) @ Dannylee (2342 Aufrufe)
bearbeitet von Fenrizwolf, Sonntag, 23.07.2017, 05:12

Hallo!

Fast jedes Jahrzehnt im vorigen Jahrhundert bot rückblickend doch zumindest etwas Charakteristisches an, das als jeweils zeitgenössische Mode aufgefaßt werden kann.
In den 60ern prägten die Beatles die Pilzköpfe, Bikinis galten nicht mehr als obszön, in den 70ern trug man hautenge Hemden zu überbreiten Hosenbeinen und Plateauschuhen, und in den 80ern gehörten die Dauerwelle, die verwaschenen oder gar löchrigen Jeans zum Straßenbild.

Aus Verklärung meiner Jugend denke ich gerne in die frühen 90er Jahre zurück, und finde dort als erinnerungswürdiges Merkmal vor allem Zeugnisse meiner musikalischen Sozialisation.
Die Rockmusik erreichte in allen erdenklichen Ausprägungen seine eigenen Endformen.

Ab diesem Zeitpunkt war allerorten epidemisch etwas auszumachen, war vormals so nie dagewesen war: eine Verschmelzung von Stilen.
Da wurde teils glücklich, teils unheilvoll verquirlt, was nur irgendwie zu vermischen war.
Retrospektiv erscheint mir das wie der letzte Atemzug der (Pop)Kultur, wenngleich das alles weitaus untergründiger und vereinzelter war, als heute vermutet.

Das ist nun eine sehr egozentrische Perspektive, aber bedeutsam ist für mich dabei, daß nichts Neues mehr hinzugekommen ist.
Der letzte Winkel der Extreme ist ausgeleuchtet; die Alten sind qualitativ kaum mehr überboten worden, und nach der Verquickung mit allem Erdenklichen, verlor man sich in Selbstkopien und Zitaten.

Eine bemerkenswerte Entwicklung ist, heute möglichst nah an den Klang von vor 30 – 40 Jahren heranzukommen, um etwas nostalgische Faszination zu reanimieren.
Anstatt Revolution folgt Imitation auf Imitation.
Das Rad ist nicht mehr Rund - es poltert, ruckelt, splittert aber kommt nicht mehr voran.

Als einzige damals wesentliche Ausgeburt der (Sub)Popkultur ist der sog. „Grunge“ zu nennen, der in keiner Weise extrem war, aber mit seiner Melancholie und Thematik den Verfall der Moderne vorab skizziert hat.
Bemerkenswert ist, daß in den letzten 20 Jahren fast alle Größen dieser Gattung kurz nach ihrer Blüte den Freitod gestorben sind.

Meine Deutung ist, daß bis in die letzte Subkultur hinein das letzte Wort gesprochen und die letzte Synergie aus Bärlauch, Einhorn, gelsenkirchener Barock und Neonlicht erträumt wurde.
Die schöpferische Vision und Kraft zum erreichen neuer Ufer ist verglommen.

Der Schlagersänger der 70er „Heino“ biedert sich einer ehemaligen Punk-Kapelle der 80er „Die Ärzte“ an, welche längst Allbekanntheit in der öffentlichen Wahrnehmung erreicht haben. Was zunächst ulkig wirkt, beleidigt und entblößt letztendlich beide.

Allein der technische Fortschritt bietet neue Annehmlichkeiten, die schneller in den vollendeten Mißbrauch führen als ein Mensch jenseits der 25 Lebensjahre noch erfassen kann.

Dennoch böte die allumfassende Korrespondenz eine theoretische Chance zur Aufklärung und Demaskierung, doch ist die Masse seiner Wurzeln schon so weit verlustig gegangen, daß eigene Werte derentwegen es auszuhalten lohnte, nicht mehr ausreichend vorhanden sind, und der letzte gefährliche Mann ist im spinnennetzartigen Zaumzeug der Moderne unbeweglich inhaftiert, und seine intimsten Stellen zum Beschuß durch das ver(n)einte Weltorchester freigegeben.

Zur Frisurmode:
Spätestens seit den frühen 80er Jahren, als Punk und Gothic die Weltbühne öffentlich betraten, sind „Rabenköpfe“ jedweder Vorstellung insgeheim Bestandteil jeder Stadt.
Während Punk eine linke, aufbegehrende Jugendbewegung im versumpfenden England war, ist diese „Gruftie-Geschichte“ eine sehnsuchtsvolle Ausdruckform auf der Suche nach intrinsischen und romantischen Werten.
Meiner Auffassung nach sind beide längst totgelaufen und nahezu kommerzialisiert. Die wesentlichen Größen haben heute graue Haare und ein leeres Bankkonto.
Das mir seit Ende der 90er begrifflich bekannte „Wave Gothic Treffen“ in Leipzig ist ein gutes Anschauungsobjekt bezüglich der Vermischung und Verwischung von Endzeitkulturphänomenen.
Zwischen feinsinnigen Schwärmern und venezianisch anspruchsvoller Maskerade einerseits ist es andererseits ein unappetitlicher Karneval der narzißtischen Selbstdartellung Perverser. Wobei auch nicht alles so heiß gegessen wird, wie es gekocht wird.
Schließlich reichen im Zeitalter der 5-Minuten-Terrine schwül laue 45 Grad zum durchgaren der dicksten Nudel in der Schüssel.

In demütigem Gedenken an meine „Arsch-links-köpfigen“ Lehrkörper der 90er Jahre

Fenrizwolf


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