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Nostradamusverse (Freie Themen)

Taurec ⌂, München, Dienstag, 21.03.2017, 17:33 (vor 2586 Tagen) @ Malbork (3761 Aufrufe)
bearbeitet von Taurec, Mittwoch, 30.08.2017, 14:47

Hallo!

I/72
Du tout Marſeille des habitans changée,
Courſe & pourſuitte iuſques au pres de Lyon:
Narbon. Tholoze par Bourdeaux outragée,
Tués captifz preſque d’vn million.

Von ganz Marseille die Bewohner ausgetauscht1
Lauf & Verfolgung bis nahe Lyon.
Narbonne, Toulouse von Bordeaux geschmäht2,
Getötete Gefangene fast eine Million.

1 Frz. „changer“ = „wechseln“, „verändern“, „ersetzen“, „tauschen“.
2 Frz. „outrage“ kann auch physisch „verletzen“ bedeuten.

Z. 1: Möglicherweise/spekulativ: Völkische Umformung Südfrankreichs? Bereits jetzt sind 30 bis 40 % der "Marseiller" Moslems.
Z. 2 bis 4: Dagegen spricht allerdings der Rest des Verses, der ein Kriegsgeschehen zu schildern scheint. Offenbar findet hier eine größere Vertreibung im Bereich südlich Lyons statt. Werden hier die restlichen Franzosen verfolgt und genozidiert oder die Invasoren? "Eine Million" ist lediglich eine sehr große Zahl, die pars pro toto für "sehr viele" steht.

In diesem Zusammenhang sollte man sich auch IX/75 ansehen, der von einer dauerhaften Veränderung der Kultur in der Provence kündet.

V/26
La gent eſclaue par vn heur martial,
Viendra en haut degré tant eſleuee:
Changeront prince, naiſtre vn prouincial,
Paſſer la mer copie aux monts leuee.

Das slawische1 Volk durch ein kriegerisches Glück,
Kommt in hohem Grade dermaßen empor.
Sie wechseln Fürst, geboren ein Ländlicher2,
Überquert das Meer die Truppe3 geht auf Berge.

1 Frz. „esclave“ = „Sklave“ vom byzantinisch-griechischen „σκλάβος“/„σλαβικός“ („sklávos“/„ slavikós“ = „Sklave“, aber auch „Slawe“).
2 Frz. „provincial“ = „kleinstädtisch“, „ländlich“, „provinziell“.
3 Lat. „copia“ = „Heer“, „Mannschaft“, „Truppe“, „Menge“, „Fülle“.

Einer der sehr wenigen Verse, der sich tatsächlich ausdrücklich auf Slawen/Russen bezieht. Allerdings ist er sehr allgemein gehalten.
Falls Nostradamus tatsächlich in die fernere Zukunft sah, ist hier eine russische Großmachtstellung beschrieben, die sich über Land und Meer erstreckt. Selbst auf den Bergen finden sich dann Russen. Die schaffen es sozusagen überall hin.
Der Machthaber ist offenbar kein Adliger und kein Moskowiter, sondern einer aus der russischen Basis. Die Zeile kann als direkte Anspielung auf Iwan den Schrecklichen gewertet werden, der erst wenige Jahre der erste russische Zar war, als Nostradamus den Vers schrieb. Ein solcher ist dann nicht mehr an der Macht.
Polen sucht man in diesem Vierzeiler allerdings vergeblich.

V/55
De la felice Arabie contrade,
Naiſtra puiſſant de loy Mahometique:
Vexer l’Eſpaigne conqueſter la Grenade,
Et plus par mer à la gent Lyguſtique.

Aus dem Gebiet1 der Arabia Felix2,
Erwächst mächtig aus dem mohammedanischen Gesetz.
Quälen Spanien, erobern Grenada,
Und mehr übers Meer das ligurische Volk.

1 Prov. „countrada“ = „Gegend“ von ital. „contrada“ („Straße“, „Gegend“, „Gefilde“).
2 „Arabia Felix“ war der antike römische Name für den fruchtbareren Südteil der arabischen Halbinsel, der u. a. den heutigen Jemen umfaßt.

Der Vierzeiler gehört in Nostradamus' Handlungsbogen einer zukünftigen islamischen Expansion, die aus Persien/Arabien kommt, wobei der Initialimpuls (anderen Vierzeilern folgend, u. a. I/73, II/96) wohl von Persien ausgeht. Das hat mit dem gegenwärtigen Entwicklungen noch nichts zu tun, sondern liegt wohl in einer ferneren Zukunft. Ligurien ist die Gegend um Genua. Hier sind also Spanien und Italien betroffen.
"Puissant" könnte auch "ein Mächtiger" sein.

V/68
Dans le Danube & du Rhin viendra boire,
Le grand Chameau ne s’en repentira:
Trembler du Roſne & plus fort ceux de Loire
Et pres des Alpes coq le ruinera.

In der Donau und vom Rhein zu trinken kommt,
Das große Kamel wird es nicht bereuen1.
Zittern an der Rhone und stärker jene der Loire
Und nahe den Alpen vernichtet es der Hahn.

1 Frz. „repentir“ = „bereuen“ von lat. „paenitere“ („missbilligen“, „bereuen“). Die Zeile kann auch so verstanden werden, daß das Kamel seine Meinung nicht ändert, bzw. nicht zurücktreten wird (trotz Mißerfolgen).

Der Vierzeiler entspricht im Wesentlichen der Version des Pseudo-Methodius, die 1488 von Johannes Lichtenberger im "Prognosticatio in latino" gedruckt wurde:
„Darum sagt Methodius: Es wird die Zeit kommen, daß die Agareni noch ein mal in deutschen Landen versammelt aus der Wüstenei gehen werden, und werden der Welt Kreis einnehmen, im Lande des Mondes, acht Jahr lang, und ihre Reise wird die Agarener Reise genannt werden. Denn sie werden Städte und Reiche umkehren und die Priester werden sie in den geweihten Stätten erwürgen. Daselbst werden sie bei den Weibern schlafen, und aus den heiligen Gefäßen werden sie trinken, und ihre Tiere werden sie an der Heiligen Gräber binden, um der Bosheit willen der Christen, so zu der Zeit sein werden. Aber bei dem golden Apfel zu Cöln werden sie umkommen und vertilget werden.“

Für die Bedeutung von "Agareni" kann man den Heiligen Isidor von Sevilla heranziehen (Etymologiae IX, 2,6):
"Ismael filius Abraham, a quo Ismaelitae, qui nunc corrupto nomine Saraceni, quasi a Sarra, et Agareni ab Agar."

"Ismael, Sohn des Abraham, von dem die Ismaeliten [abstammen], die nun mit entstellter Bezeichnung Sarrazenen [genannt werden], weil angeblich von Sarra, und Agareni von Agar." Siehe den Zusammenhang von Sarah und Hagar.

Man kann hier einiges Herumbiegen und sich denken, mit dem Kamel könnten auch die Russen gemeint sein. Allerdings macht man sich da meines Erachtens selbst etwas vor. Die Weissagung stammt aus einer Zeit, als die Russen noch nicht die Moslems in der Rolle der endzeitlichen Horden aus dem Osten verdrängt hatten. Als die Türken nach oben kamen, wurden draus die Türken ("Türkenschlacht bei Köln"). Als deren Stern gesunken war, rutschten die Russen an ihre Stelle.
Nostradamus bewegt sich hier also auf dem Stand des Wissens seiner Zeit. Ob er zu obigen Geschehen überhaupt eine Schauung hatte, ist bestenfalls ungewiß.
Zumindest scheint er sich gedacht zu haben, daß der Ansturm Frankreich zwar in Aufruhr versetze, von den Franzosen aber noch auf deutschem Boden aufgehalten werde, was mit der Vorstellung korreliert, daß der Große Monarch ein Franzose sei. Dem entsprechend wäre der Vers in den Handlungsbogen Islamische Expansion Chyren Christliches Weltreich einzuordnen.

VI/80
De Fez le regne paruiendra à ceux d’Europe,
Feu leur cité, & lame trenchera:
Le grand d’Aſie terre & mer à grand troupe,
Que bleux, pers, croix, à mort dechaſſera.

Von Fez die Herrschaft gelangt zu denen von Europa,
Feuer ihrer Stadt und Klinge schneidet.
Der Große von Asien Land und Meer mit großer Truppe,
Die Blauen, Blaugrün1, Kreuz in den Tod er vertreibt.

1 Frz. „pers“ = „blaugrün“. „Persisch“ hieße „perse“. Es ist nicht ausgeschlossen, daß dies gemeint ist oder als verschleierte Bedeutung im Vers liegt.

Z. 1: Fez ist eine Stadt im Norden Marokkos. Die Herrschaft über Marokko erlangen jene aus Europa (Christen).
Z. 2: Die Stadt wird mit Feuer und Eisen genommen.
Z. 3: Aus Asien (dem Nahen Osten) naht die moslemische Gegenbewegung.
Z. 4: "Pers" ist ein typisches Beispiel für die schillernde Wortwahl des Nostradamus. Wörtlich steht hier "Blaugrün", wofür auch "bleux" spricht. In der Tat könnten hier aber als zweite Bedeutung "Perser" unterlegt sein. Möglichkeit: Blau war einst die liturgische Farbe Mariens, steht also für Jesus/Christen. Grün ist die Farbe des Islams. "Blaugrün" könnte also für Konvertiten von der einen auf die andere Seite stehen, die den Christen in den Rücken fallen. Das Kreuz wird wieder aus Marokko vertrieben.
In welche Zeit dieser Vers einzuordnen ist, hängt völlig in der Luft.

IX/85
Paſſer Guienne, Languedoc & le Roſne,
D’Agen tenens de Marmande & la Roole,
D’ouurir par foy parroy, Phocẽ tiẽdra ſon troſne
Conflit aupres ſaint Pol de Manſeole.

Zu durchschreiten die Guyenne, Languedoc und die Rhone,
Haltend Agen, Marmande und La Réole,
Für Öffnen durch Glauben die Mauer1, Phocaea2 hält seinen Thron
Streit nahe bei Saint-Paul-de-Mausole.

1 Frz. „paroi“ = „Wand“, „Innenwand“, „Bergwand“.
2 Phocaea war eine ionische Stadt an der kleinasiatischen Küste. Sie war die Mutterstadt von Massilia, dem heutigen Marseille, welches hier wohl gemeint ist.

Was hier passiert, ist reichlich unklar, da keine der Parteien namentlich genannt ist. Glauben scheint eine Rolle zu spielen, aber nicht zwingend der Islam.
Z. 1: Landstriche in Südfrankreich, aufgezählt von West (Guyenne) nach Ost (Rhone)
Z. 2: Drei Städte in der Gascogne/Aquitanien. Hier hat womöglich die Partei ihren Ursprung, die Richtung Rhone marschiert.
Z. 3: Wer (er)hält in Marseille seinen Thron?
Z. 4: Saint-Paul-de-Mausole ist das Kloster vor Nostradamus' Küchenfenster, rund 70 km von Marseille entfernt. Dort gibt es keinen Streit. Gemeint ist das Umfeld der Stadt bzw. allgemein die Provence.

Was ist hier gemeint? Möglicherweise eine Episode aus der Geschichte Marseilles, das immer wieder gegen die Zentralregierung aufstand, beispielsweise in der Zeit von 1593 bis 1596. Man konsultiere hierzu die französische Wikipedia hier und hier. Eine Randeepisode der Beendigung der Religionskriege durch Heinrich IV. 1593 schwor dieser dem protestantischen Glauben ab. Der Papst erkannte ihn als König von Frankreich an. 1596 tat dies auch der Herzog von Mayenne (Anführer der Katholischen Liga), mit dem Marseille zu jener Zeit "liiert" war. Allein die Stadt versagte dem neuen König die Gefolgschaft und holte sich Unterstützung bei den Spaniern. Die Folge: Königstreue Truppen wurden vor der Stadt zum Angriff zusammengezogen. Der Durchbruch gelang am 17. Februar 1596, als Pierre de Libertat, der Kommandant des Stadttores "Porte Réale" den Marseiller Anführer Charles de Casaulx ermordete, während sich vor der Stadt die königlichen Truppen zum Angriff formierten. Libertat hatte man allerhand Ämter, Schiffe und 160.000 Kronen versprochen ( Der Glaube öffnet die Mauer?). Die Stadt konnte ohne Kampf genommen werden. Die Reaktion Heinrichs IV. auf die Nachricht der Kapitulation Marseilles: "Jetzt bin ich König von Frankreich!" (In den Worten des Nostradamus: "Phocaea hält seinen Thron.")
Wie passen die ersten beiden Zeilen hier hinein? Die Gascogne war hugenottisches Kernland und umfaßte (als Kulturgebiet) u. a. Pau, wo Heinrich IV. geboren wurde. Von dort trat er seinen Aufstieg zum König von Frankreich an, der mit der Einnahme Marseilles beendet war. Der Vers beschreibt im Wesentlichen das endgültige Ende der letzten Reste der Katholischen Liga, die den konvertierten Protestanten Heinrich IV. (Heinrich III. von Navarra) nicht anerkennen wollte.

Die räumliche Verteilung der Fraktionen im betreffenden Gebiet zur betreffenden Zeit:

[image]

Diese Deutung ist natürlich nur ein Vorschlag. Es könnte auch etwas anderes gemeint sein.

Gruß
Taurec


„Es lebe unser heiliges Deutschland!“

„Was auch draus werde – steh zu deinem Volk! Es ist dein angeborner Platz.“


Gesamter Strang: