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Mit der Faust gearbeitet (Schauungen & Prophezeiungen)

Taurec ⌂, München, Dienstag, 20.12.2016, 20:15 (vor 2681 Tagen) @ BBouvier (4024 Aufrufe)
bearbeitet von Forumsleitung, Dienstag, 20.12.2016, 22:48

Hallo!

"Akustik" würde auch die irrige/falsche Orthographie bei Namen,
die Nostradamus erwähnt, erklären.

Es würde auch ein Erklärungsmodell für die zahlreichen Wortneuschöpfungen durch alle Centurien bieten, die offenbar keiner bekannten Sprache angehören. Manche lassen sich nur mühsam in französische Wörter auseinanderdividieren, was womöglich von einer allzu flotten Sprechweise des ebenfalls Mittelfranzösisch sprechenden Geistes zeugt.

Recht verblüffend ist auch dieser Vierzeiler, der historisch so unbedeutsam ist wie sonst nur was.

V/58
De laqueduct d’Vticenſe, Gardoing,
Par la foreſt & mont inacceſſible:
En my du pont ſera taſché au poing,
Le chef nemans qui tant ſera terrible.

Vom Aquädukt1 von Uzés2, Gardon,
Durch den Wald und unzugänglichen Berg.
Inmitten der Brücke wird mit der Faust gearbeitet3,
Das Oberhaupt von Nîmes4, das so schrecklich ist.

1 In der Ausgabe Moskau 1557 steht „l’archeduc“ („Erzherzog“), was der ersten Zeile eine ganz andere Bedeutung verleihen würde.
2 „Uticense“ ist nicht zu verwechseln mit der nordafrikanischen antiken Stadt Utica, von der sich u. a. der Beiname Catos des Jüngeren Uticensis ableitet. Es ist Uzés nahe Avignon gemeint, welches im Mittelalter Sitz des Bistums Uzés war (lat. „Dioecesis Uticensis“).
3 Frz. „tâcher“ = „zusehen, daß“, „bemühen, daß“, „versuchen, daß“ von lat. „taxare“ („einschätzen“, „abschätzen“), das von „tangere“ („berühren“) abstammt. Das französische „tâche“ heißt „Arbeit“, „Aufgabe“.
4 Lat. „Nemausus“ = „Nîmes“. Das zugehörige lateinische Adjektiv lautet „nemausensis“ („nemausisch“, „aus Nîmes“).

Z. 1: Beschreibung der Region, in welcher der Vierzeiler spielt. „Gardoing“ = der Fluß Gardon oder Gard. Das besagte Aquädukt ist die Pont du Gard, die ursprünglich Teil einer antiken Wasserleitung von Ucetia (Uzés) nach Nemausus (Nîmes) war.
Z. 2: Berghänge und Wald in der Umgebung der Pont du Gard (siehe Bild auf Wikipedia).
Z. 3: Dort wird mit der Faust gearbeitet. Und jetzt kommt's! Im Jahre 1627 fügte der Herzog Henri II. de Rohan-Gié der Pont du Gard beträchtlichen Schaden zu, als er seine Soldaten die Brückenbögen der zweiten Etage auf zwei Drittel der ursprünglichen Breite verschmälern ließ, um Platz für die Artillerie zu schaffen, welche die Brücke überqueren sollte. Siehe hier. Dort wurde mitten in/auf der Brücke massiv „Hand angelegt“ (= mit der Faust, also gewaltsam gearbeitet)!
Z. 4: Nîmes (der ursprüngliche Endpunkt der Wasserleitung, siehe Z. 1) war die Hauptstadt der Hugenotten in dieser Gegend. Henri II. de Rohan-Gié war einer derer Anführer (= Oberhaupt von Nîmes) und hob zu dieser Zeit Truppen aus, die er eben über die Pont du Gard zu transportieren suchte. Für den erzkatholischen Nostradamus war der Protestant Rohan-Gié ein ganz schrecklicher.

Nostradamus beschreibt hier eine Arabeske der unter Ludwig XIV. wieder aufgeflammten Hugenottenkriege zwischen 1621 und 1628, rund 60 Jahre nach Nostradamus Tod.

Es dürfte wohl schwer fallen, eine treffendere Alternativerklärung zu finden, die das Geschehen in die Vergangenheit vor Nostradamus verlagert, bzw. auf ein schon damals historisches Geschehen bezieht.

Dieser Vierzeiler zeigt auch, welches schier enzyklopädische Wissen man benötigt, um Nostradamus nur annähernd knacken zu können. Welcher Laie kennt denn (hier pars pro toto für die vielfältigen Spezialgebiete, die man kennen müßte) solche Nebensächlichkeiten militärischer Binnenkonflikte in Frankreich des 17. Jahrhunderts? Diejenigen Spezialisten, die es wissen, interessieren sich nicht für Nostradamus. Wer sich für Nostradamus interessiert, bringt in der Regel das nötige Faktenwissen nicht mit.
Derzeit haben wir durch die Recherchemöglichkeiten des Internets die einmalige historische Situation, daß beides ausnahmsweise zusammentreffen kann. Bereits in 50 Jahren könnte das wieder passé sein. Nostradamus ist dann wahrscheinlich für alle Zeiten unlösbar, da im selben Zuge das Wissen über die Geschichte und die kulturellen Grundlagen des Abendlandes für die Abendländer selbst verloren geht. Das fängt schon mit der mittelfranzösischen Spezialbedeutung mancher Wörter an.

Gruß
Taurec


„Es lebe unser heiliges Deutschland!“

„Was auch draus werde – steh zu deinem Volk! Es ist dein angeborner Platz.“


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