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Die große Weissagung, moderne Schauungen, jenseitige Quelle, Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens (Schauungen & Prophezeiungen)

Taurec ⌂, München, Freitag, 09.09.2016, 18:42 (vor 2748 Tagen) @ Explorer (8481 Aufrufe)

Hallo!

Wie hoch würdest du die Wahrscheinlichkeit dafür, dass es sich dabei wirklich um eine Art Wahnvorstellung handelt einschätzen?

Die Höhe der Wahrscheinlichkeit einzuschätzen, bringt gewisse Schwierigkeiten mit sich. Die Rahmenbedingungen sind immerhin umreißbar.

Festzuhalten bleibt, daß man bei älteren Prophezeiungen bei Nachforschungen in der Regel statt auf hartes Fundament irgendwann wie in ein nebulöses Loch greift.

  • Arthur Hübscher hat in seinem Buch "Die große Weissagung" zentrale Motive entwicklungsgeschichtlich auf ihre wahrscheinlichen Wurzeln zurückverfolgt. Dazu zählen z. B. der große Monarch, der Engelspapst, die Endschlacht, die Verfolgung der Kirche, das Strafgericht/jüngste Gericht, die anschließende Friedenszeit. Die Tradition dessen, was er "die große Weissagung" nennt, eine zusammenhängende Überlieferung immer derselben Endzeitgeschichte versiegt in der Neuzeit mehr oder minder, weil sie an Anziehungskraft verloren hat. Sie lebt im Untergrund, in der Volkssage weiter und begegnet uns ab dem 19. Jahrhundert wieder vermehrt als ein Nachhall der Überlieferung früherer Zeiten bei den Quellen, die wir hier überwiegend behandeln, bis hin zu Irlmaier und dem Waldviertler, welche die obigen Motive ebenfalls behandeln. Vor diesem Hintergrund wirken der russische Feldzug, die Papstflucht, die Kirchenverfolgung, die Finsternis, der Kaiser lediglich wie eine späte Abwandlung der älteren Motive. Daß all diese Quellen, auch die älteren, das selbe gesehen hätten, ist da nur ein unbewiesenes Axiom. Nicht minder wahrscheinlich, eher sogar wahrscheinlicher ist die Annahme, sie würden auf die selbe Tradition, den selben Ideenkreis zurückgreifen.
  • Im "Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens" sind als Ergänzung zu Hübscher ebenfalls die gängigen Motive in ihrer Entwicklung dargestellt. Ein paar der Stichwörter habe ich in die Sammlung eingearbeitet und werde das gelegentlich nach Lust und Laune vervollständigen.
    Es ist nicht anzuraten, Prophezeiungen einfach zu glauben, ohne zum Beispiel die ganzen Hintergründe der Endschlacht als Wandersage zu kennen. Der Großteil der Prophezeiungsszene tut das aber noch.
  • Ältere Quellen sind in der Regel nicht als Personen nachweisbar. Das trifft nicht nur auf Volkssagen wie Mühlhiasl zu, sondern auch z. B. auf Antonius von Aachen, der wesentliche Details des russischen Feldzugs am Rhein schildert und im Norden nahtlos mit der Birkenbaumsage ineinandergreift, deren Ursprünge auf ebendiese "große Weissagung" im Mittelalter zurückgehen. Siehe hierzu auch das Buch "Die Völkerschlacht der Zukunft am Birkenbaum" von Zurbonsen, in dem er alle kulturellen Ursprünge und Einflüsse auflistet (christliche, germanische, historische), die weitaus älter sind als die druckmäßige Dokumentation der Sage aus dem Jahre 1849.
    Im romanischsprachigen Raum sind es oftmals irgendwelche Priester oder Nonnen, die als Personen nicht nachweisbar sind und deren Aussagen erst Jahrzehnte nach ihrem angeblichen Tode veröffentlicht wurden. Der Inhalt: Abwandlungen derselben christlichen Endzeitsage.
    Manche Quellen sind schon als Fälschungen erkannt: Spielbähn, der blinde Jüngling, Mother Shipton, das Testament des fliehenden Papstes etc.

Nun haben wir auch eine Reihe neuerer Schauungen von Personen, die nachweisbar lebten. Teils handelt es sich um Menschen aus den Foren, teils um Zufallsbekanntschaften, welche Autoren wie Bouvier, Berndt und DeGard machten, teils um Menschen, die sich sonst irgendwie äußerten. Diese schildern Details aus Blitzvisionen: Überflutungen, Naturkatastrophen (Impakte, Druckwellen, Verdunkelungen) die Anwesenheit russischen Militärs (nicht zwingend als "Überraschungsangriff" im Rahmen des altbekannten russischen Feldzuges), Bürgerkriegszustände etc.
Hier gibt es eine gewisse Ähnlichkeit zur "großen Weissagung", aber keine völlige Entsprechung. In älteren Prophezeiungen ist quasi nie von Überflutungen die Rede, nicht von physikalischen Details, die zu Impaktgeschehen passen (heiße Asche, Säuren, Druckwellen, flachgelegte Wälder), auch wenn die Seher offen christlich sind (z. B. Bauer-Rapp, Bariona). Zwar ist in älteren Aussagen von "Himmelszeichen" die Rede, aber nicht vom runden, rötlich-braunen Himmelskörper. Das paßt auch nicht mit der alten Angst vor Kometen und Sonnenfinsternissen zusammen. In älteren Aussagen ist von Überfällen von Fremdvölkern die Rede, nicht aber von russischen Truppen, die Ordnungsaufgaben wahrnehmen.
Manche schildern eine Zeit gesellschaftlichen Niedergangs und Verwahrlosung, die nicht zwangsläufig mit den älteren Prophezeiungen über Sittenverderbnis, Teuerung, neuen Steuern usw. in der Endzeit zusammenhängen.

Die Frage: Haben wir es hier, in jüngster Zeit, quasi am Bugwasser der großen Weissagung auf ihrer Fahrt durch die Zeitalter, mit echten Schauungen wirklicher zukünftiger Ereignisse zu tun oder sind die Schauungen (die unterm Strich echt sind, also wirklich gesehen wurden) aus jenseitigen Quellen gezapft, die lediglich moderne Varianten der alten Motive enthalten?
Abdrushin schrieb sinngemäß von "Gedankenzentralen", in denen sich gleichartige Gedankenformen sammeln und die per Resonanz auf die damit verbundenen Menschen zurückwirken, so daß man seiner geistigen Neigung entsprechende Ideen bekommt. Ein etwas ähnliches Konzept sind Sheldrakes morphische Felder.
Denkbar wäre, daß ein jenseitiger Fundus von Motiven besteht, der von Menschen erzeugt wurde, die in der Vergangenheit an die "große Weissagung" glaubten, der darüber hinaus aus diversen Katastrophenbefürchtungen besteht, sich aber im Laufe der Zeit mit dem Zeitgeist weiterentwickelt hat, so daß er heute in modernisierter Fassung als Kriegs-, Besatzungs- und Katastrophenschauungen auf uns, bzw. Seher zurückkommt.

Ein ziemlich ketzerischer Gedanke, der weder völlig beweis- noch falsifizierbar ist, den man aber im Hinterkopf behalten sollte.
Da echte Präkognition nachgewiesenermaßen funktioniert, auch auf geschichtlicher Ebene (Feldpostbriefe), meine ich ausschließen zu können, daß die Variante morphisches Feld/Gedankenzentrale/"kollektive Wahnvorstellung" restlos zutrifft. Ob und in welchem Grade sie aber zutrifft, vermag ich nicht zu sagen, so daß die Frage nach der Höhe der Wahrscheinlichkeit einstweilen offen bleiben muß.

Zudem wäre noch folgendes möglich: Wenn sich die Geschichte entsprechend metaphysischer Gesetzmäßigkeiten entwickelt (Modell: morphisches Feld als Grundmuster), wäre es möglich, daß sich nicht nur der realgeschichtliche Ablauf, also unsere erlebte Geschichte danach richtet, sondern auch Schauungen, die dieses Feld anzapfen, echte zukünftige geschichtliche Ereignisse zeigen.
Es wäre nur eine Form der platonischen Idee aus dem Höhlengleichnis. Wir sehen im Diesseits nur die Schatten an der Wand, die vom Licht in unserem Rücken erzeugt werden. Die Ideen, also die schattenwerfenden Dinge, sind zugleich Ursprung der (oder mancher) Schauungen, wie auch der Ereignisse selbst.

Postscriptum:
Frage zum Handwörterbuch an die Kundigen: Wie ist dazu die momentane Urheberrechtslage? Ich meine, mich zu erinnern, daß seit 2012, 70 Jahre nach dem Tode des letzten Herausgebers Hanns Bächtold-Stäubli die Regelschutzfrist abgelaufen wäre. Oder ging das Urheberrecht auf eine andere Person/Institution über?
Da mir die Software "Digitale Bibliothek" abhanden gekommen ist und ich mich an wechselnden Standorten aufhalte, habe ich das ganze Handwörterbuch zum Eigengebrauch als HTML auf den Forumsserver hochgeladen, aber nicht öffentlich verlinkt. Sollte das Werk tatsächlich gemeinfrei sein, würde ich erwägen, es in der Bibliothek für alle zu verlinken.

Gruß
Taurec


„Es lebe unser heiliges Deutschland!“

„Was auch draus werde – steh zu deinem Volk! Es ist dein angeborner Platz.“


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