Das ist eine Antwort, ... (Schauungen & Prophezeiungen)

Sagitta, Donnerstag, 07.01.2016, 07:12 (vor 3026 Tagen) @ Ulrich (9796 Aufrufe)

auf die ich gerne wieder antworte und für die ich mich bedanke, Ulrich!

Denn Du wirfst eine Frage auf, die absolut zentral ist für die (literaturkritische) Analyse und Beurteilung von Schauungen bzw. Prophezeiungen:

ob eine Übereinstimmung [zwischen zwei Schauungen]
auf die Wiedergabe von vorher Angelesenem [bzw. vorher Gehörtem] hinweist
- oder aber [die Übereinstimmung] ganz im Gegenteil die Glaubwürdigkeit unterstreicht.

[Ergänzungen in eckigen Klammern von mir]

Die gängige Argumentation ist ja die: je mehr Seher „das Gleiche“ sehen, umso „wahrscheinlicher“ sei dieses.

Wenn die Seher aber einander nachplappern oder wenn von ihren Herausgebern nachgeplappert wird, dann ist dieser Argumentation völlig die Grundlage entzogen.
Wer das Nachplappern dann entlarven will (und das ist als Dienst an der Wahrheit sehr zu begrüßen), der muss dann aber auch sachlich die entsprechenden Nachweise erbringen.

Etwa indem aufgezeigt wird, dass der eine Text vor dem andern schon da war und den Epigonen auch bekannt gewesen sein dürfte.
Noch enger in der Beweisführung wird es, wenn beim Nachplappern ein identischer Wortlaut gebraucht wird.

Ist Letzteres bei den von Dir zitierten Stellen der Fall?

+ Prokop spricht von brennenden Waldbäumen (in einem Feuersturm), der Selber Bauer von verkohlten Stümpfen, die aus dem Sand [?] ragen.
[d.h. einmal wird ein Vorgang beschrieben, das andere Mal das Resultat eines Vorganges].
+ Prokop spricht von feuerroten Wolken und von Blitzen ohne [!!!] Donner, der Bauer von einer schwarzen Wand sowie von Donner mit unvorstellbarem Lärm.
+ Prokop spricht vom fehlenden Wasser, der Bauer von einer Bewirtschaftung, nachdem das Wasser wieder da ist.
+ Prokop spricht [weiteres Beispiel von mir] von einem zitronengelben, tiefhängenden Himmel [erweckt in mir die Vorstellung von gelben Nebelschwaden***], der Bauer redet von einem Staub, der vom Himmel fällt.

Hier ist es nun eine Frage der sorgfältigen, möglichst vernünftigen Abwägung, ob man dem späteren, also dem Bauern, im Ergebnis unterstellt, dass er nachgeplappert hat (und womöglich ein paar phantastische Ergänzungen hinzugedichtet oder gar, um seine Lügerei zu kaschieren, bewußt umformuliert hat).

Ich komme bei meiner Abwägung im Falle des Selber Bauern zu dem vorläufigen Schluss, dass er nicht nachgeplappert hat.
Aber es steht Dir frei, zu einem anderen Ergebnis kommen.

Jedenfalls wird, wenn zwei Berichte deutlich in Einzelheiten und in der Sprache voneinander divergieren, jedoch erkennbar ein ähnliches Geschehen beschreiben, die Wahrscheinlichkeit wieder etwas größer, dass die Berichte authentisch sind – und dass das Geschehen somit „real“ bzw. wenigstens objektiv ist. Selbst wenn der eine Berichterstatter zeitlich nach dem anderen liegt.

Die Situtation bei der Analyse und Interpretation von Schauungen ist ähnlich der vor Gericht. Als Richter muss man erst ein hochnotpeinliche Befragung durchführen (oft von Zeugen dritter und vierter Hand) und dann auch noch ein Urteil fällen. Es gibt aber einen Unterschied. Nach dem Gericht muss der Verurteilte die Konsequenzen tragen, bei den Schauungen ist es der Richter selbst.

Mit freundlichem Gruß,
Sagitta

*** es könnte sein, dass die gelbe, giftige Materie hier auf eine feuchte, regnerische Wetterlage trifft, während andernorts ein klarer Himmel herrscht. Im meines Erachtens authentischen und originalen Bild von Irlmaier haben wir (wenn ich mich richtig erinnere) eine helle Mondnacht, während der die Flugzeuge von dem weißen Sand aufsteigen.


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