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Umgang mit dem Thema (Schauungen & Prophezeiungen)

Taurec ⌂, München, Sonntag, 20.12.2015, 14:12 (vor 3043 Tagen) @ Tribun (3059 Aufrufe)
bearbeitet von Taurec, Sonntag, 02.04.2017, 11:54

Hallo!

Und diese hier geführte Diskussion kommt mir so vor, als stellt sie den Schauenden - Irlmeier total in Frage.

Ja, das ist das Grundaxiom, das gelegentlich wohl überproduziert wird.

1. Es gibt schon linguistisch einen Unterschied zwischen Schauung und Prophezeiung. Siehe: Schauungen, Prophezeiungen
Wer den nicht kennt, vermeint, bei den Aussagen Irlmaiers und anderer älterer Quellen handele es sich um Schauungen und nicht etwa menschengemachte Prophezeiungen mit ungewissem Gehalt an Schauungsbestandteilen.

2. Die Aussagen, die in der Literatur als "Irlmaier" kursieren, stammen tatsächlich nicht von Irlmaier, sondern seinem Verleger Conrad Adlmaier. Dieser hat die Aussagen Irlmaiers mutmaßlich stark abgefälscht, manipuliert und Irlmaier Elemente der älteren Prophezeiungstradition in den Mund gelegt. Irlmaier selbst wiederum hat die adlmaier'sche Konstruktion bereitwillig angenommen und im persönlichen Gespräch mit Zeitzeugen selbst weitererzählt. Beide waren womöglich in gutem Glauben, nichts Falsches zu tun, da die Prophezeiungen im Grunde ja echt wären, von Gott stammten, eintreffen würden.

3. Adlmaiers Prophezeiungsschöpfung hätte natürlich nicht diese Verbreitung gefunden, wenn Irlmaier nicht tatsächlich massivst seherisch begabt gewesen wäre. Diese Begabung ist insbesondere durch Zeitzeugenberichte belegt. Das macht es wiederum nicht gänzlich unwahrscheinlich, daß in die an sich unauthentischen Irlmaieraussagen doch Elemente echter Schauungen eingeflossen sind. Hier gilt es, quellenkritisch genau abzuwägen und nicht über das Ziel hinauszuschießen, in dem man pauschal alles verteufelt.

4. Prophezeiungstradition: Diese entspricht einem christlichen Ideenkreis, der sich im wesentlichen aus der Bibel, der Offenbarung und einer aus der Kultur des nahen Ostens stammenden Endzeit-Erlösung-Erwartung nährt und über viele Jahrhunderte einen Satz Motive hervorgebracht hat, der in Abwandlungen in allen Prophezeiungen vorkommt, entweder direkt angesprochen oder als stillschweigende Grundlage. Dazu gehören zum Beispiel:

  • Antichrist in Rom
  • Flucht des Papstes
  • Endschlacht gegen die Völker aus dem Osten (alias Gog und Magog; je nach Epoche sind das mal die Türken, dann die Russen oder Preußen)
  • Strafgericht (hat sich im Laufe der Zeit als "dreitägige Finsternis" verdichtet)
  • Krönung eines "großen Monarchen", der dann in Verbund mit dem Papst die Welt im katholischen Sinne neu ordnet, den Glauben erneuert, das Schlechte ausmärzt usw.
  • Ein goldenes Zeitalter, Widerkehr Jesu. Die Geschichte ist dann quasi zuende und das Reich Gottes bricht an.

Das Problem: All diese Ideen verlieren sich im Grau der Vorzeit und lassen sich nicht auf nachweisbare Seher zurückführen.
Wenn man streng urteilt, kann man das gesamte Prophezeiungsszenario in die Tonne treten und die sich deckenden Aussagen verschiedener Propheten nicht als Beweis für Echtheit (also "dasselbe gesehen") erachten, sondern für die gemeinsame Abstammung aus dem genannten Ideenkreis, der nicht auf Schauungen beruht, sondern religiöse Erwartungen formuliert und ausbaut.
Die Frage, die daraus zwangsläufig folgt, die aber noch nie beantwortet wurde, wohl wegen der Konsequenzen für die Beschäftigung mit dem Thema: Ist das tatsächlich alles eine kollektive menschliche Wahnvorstellung, in der sich uralte Sehnsüchte ausdrücken — oder steckt hinter all dem auch ohne nachweisbare Schauungsgrundlage eine Ahnung über den Lauf der Welt, die sich irgendwann verwirklichen wird?

In letzterem Falle wäre wohl der Inhalt der Prophezeiungstradition als grobes Grundgerüst aufzufassen, das im Laufe der Zeit durch allerhand menschliche Einfälle aufgefüllt wurde. Heißt: Daß irgendetwas passieren wird, wäre anzunehmen. Je mehr man jedoch ins Detail geht, desto zweifelhafter, unsicherer werden die Aussagen.
Völlig fehl ginge man indes, betrachtete man die Aussagen als bare Münze, weil sie mit der Titulatur "Seher" versehen wurden. Bei vielen scheint das schon zu reichen, um jede tiefergehende Kritik zu erübrigen.

Die Beschäftigung mit dem Thema zerfällt eigentlich in zwei Teile, die allerdings ineinanderfließen:
1. Quellenkritik der Prophezeiungen, um zu erkennen, wie die Texte untereinander zusammenhängen, wer von wem abgeschrieben hat, um die Ideen zu identifizieren und auf ihre religiöse, chiliastische Grundlage zurückzuführen. Hier geht es im wesentlichen darum, die menschlichen Vorstellungen von etwaigen echten Schauungselementen abzusondern.
2. Sammlung und Auswertung neuerer Schauungen, die von nachweisbaren, lebenden Personen stammen. Hierbei geht es darum, ein Instrumentarium zu entwickeln, um echte Schauungen zu erkennen und von Einbildungen zu unterscheiden. Das hat z. B. Alexander Gann versucht. Das Problem ist, wenn die Personen wiederum von der Prophezeiungstradition beeinflußt sind und diese wiedergeben.

Neue Schauungen, die von Personen z. B. in diesem Forum erlebt und veröffentlicht werden, sind ungeheuer wertvoll, weil sie das wackelnde Thema an sich erhärten.

Allgemein: Die Frage, ob die Schauungen eintreffen, ist vor dem Eintreffen schlechterdings unbeantwortbar.

Gruß
Taurec


„Es lebe unser heiliges Deutschland!“

„Was auch draus werde – steh zu deinem Volk! Es ist dein angeborner Platz.“


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