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Authentizität (Schauungen & Prophezeiungen)

Taurec ⌂, München, Sonntag, 28.06.2015, 23:37 (vor 3186 Tagen) @ Sagitta (4350 Aufrufe)

Hallo!

Möglicherweise wurde in der erwähnten Forumsdiskussion der Konsens erzielt, dass der "prophetische Franzose" nicht nur eigene Schauungen hatte sondern die alten Prophezeiungsmaterien ebenfalls kannte und sie in eigenen Formulierungen weitergegeben hat - ich jedenfalls gehe davon aus.

Ja. Das ist aus meiner Sicht offensichtlich.

Der Pater und der parapsychologische Forscher hätten als "Gelehrte" das aufzeigen müssen - insofern ist die Wiedergabe in den Missionsblättern oder die Anaylse von Bender aus historisch-kritischer Methodik keineswegs vorbildlich sondern ausgesprochen mangelhaft bzw. tendenziös.

Bender war Parapsychologe, aber kein Volkskundler oder Literaturwissenschaftler.
Frumentius war keines von beidem, sondern vielmehr interessierter Laie, ähnlich wie wir hier. Im Gegensatz zu uns hatte er jedoch noch nicht das Internet zur Verfügung und die Möglichkeit, Texte elektronisch abzuspeichern und zu vergleichen.
Einflüsse älterer Prophezeiungen auf die Briefe wurden von uns hier ja überhaupt erst aufgedeckt, z. B. "Markustag auf Ostern".
Unsere Vorgänger waren im Gegensatz zu uns noch naiv und leichtgläubig, wobei auch wir noch nicht bis zum Kern der Dinge vorgedrungen sind.

Der "letzte Rest" aber ist für mich nicht von vorneherein wahr, sondern er muss sich erst als wahr bestätigen.

Da wir nun wissen, daß sich die Briefe aus Aussagen von verschiedenen Quellen zusammensetzen, kann auch das Argument, weil Teile bereits eingetroffen seien, würden sie auch in Zukunft eintreffen, nicht mehr pauschal gelten.

Ich habe diesbezüglich seinerzeit Fragen auch ans Forum gestellt, die bislang noch nicht beantwortet werden konnten. Nicht dass ich Antwort hier erwarte - sondern ich stelle diese Fragen eigentlich mir selbst, habe aber die Lösung selbst noch nicht gefunden.

Etwa die Frage: Sind es die Feldpostbriefe, die als erste "Quelle" in der gesamten Prophezeiungsliteratur einen Angriff aus dem Osten mit der Naturkatastrophe verknüpfen? Wenn das so wäre, dann wären die Feldpostbriefe eine beachtenswerte Quelle.

Was halbwegs dazu paßt, ist Antonius von Aachen (1872), der sah:
"Während der Endschlacht in Westfalen richtete sich meine Aufmerksamkeit auf Köln und alle Länder, die der Krieg heimgesucht hatte. Dort wütete eine schreckliche Krankheit, der jene zum Opfer fielen, die das feindliche Schwert verschont hatte."
Und:
"Als mir hierauf Frankreich und dann Deutschland gezeigt wurden, schauderte ich darüber, wie wenig bevölkert beide Länder waren."

Blöderweise läßt sich Deine Frage nicht eindeutig beantworten, weil Antonius von einer "Krankheit" spricht.

Ich halte es für wahrscheinlich, daß er damit die mit der Weltenwende verbundenen Naturkatastrophen meint und dem auch eine echt Schau zugrundeliegt. Wenn Antonius nur religiöse Mythen über die Finsternis weitererzählt hätte, so würde die Aussage besser darauf passen und würde Elemente religiöser Prophezeiungen enthalten. Daß er aber diffus von einer "Krankheit" spricht, deutet meines Erachtens darauf hin, daß etwas gesehen, aber nicht richtig verstanden wurde. Daß er nun nicht tatsächlich eine Krankheit sah, läßt sich wiederum aus jüngeren Aussagen über Naturkatastrophen, etwa in den Feldpostbriefen, beim Waldviertler und anderen schließen. Die Elemente meiner Argumentation stützen sich hier wie ein Kartenhaus.

Oder die Fragen in https://schauungen.de/forum/index.php?id=26795 - hier stellen die Feldpostbriefe Behauptungen auf und treffen Aussagen, die wir zur Beurteilung des aktuell vor unseren Augen ablaufenden Geschehens nützlich einsetzen können. Beispielsweise reflektiert die Schweiz gerade militärisch ihr Verhältnis zu Europa (Verhalten im Falle von europäischen Bürgerkriegen). Und ganz generell ist die Behauptung (ich sage ausdrücklich Behauptung und nicht Schauung oder Voraussage), dass die Schweiz in Deutschland militärisch aktiv werde, eine sehr kühne (egal ob 1914 oder 1953 ausgesprochen). Solche bemerkenswerten inhaltlichen Konfiguration sind es, die mir die Feldpostbriefe interessant machen und nützlich erscheinen lassen - aber nicht irgendwelche Feststellungen, ob sie echt oder wahr sind.

Auch Benders Expertise kommt nicht direkt zu dem Schluß, daß die Feldpostbriefe echt seien. Vielmehr lautet das Urteil, daß Anhaltspunkte für eine Fälschung nicht gefunden werden konnten, bzw. an ihrer Authentizität kaum ein Zweifel möglich sei. Daher ist davon auszugehen, daß sie nicht von einer einzelnen Person frei erfunden und einem sagenhaften Franzosen post mortem zugeschrieben wurden.
Über die Trefflichkeit der Aussagen an sich ist mit dieser Beurteilung keine Wertung vorgenommen worden. Das ist eine ganz andere Frage, wie Du ja selbst feststellst.
Auch wenn mittels verschiedener Argumente sich die Indizien für das Vorliegen einer Schau verdichten lassen, ist damit nicht sicher, daß noch ausstehende Schauungen eintreffen. Man kann höchsten sagen, mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit liege eine authentische Schau vor. Das ist dann "Echtheit". Authentizität bedeutet Echtheit im Sinne von "als Original befunden". Näher kommt man mit dem Verstand an die Validierung einer Schau nicht heran, weil es sich eben (das ist die Grundannahme) um Zukunft handelt.

Ich muss Baldur in einer Sache unbedingt Recht geben: nicht nur die Amerikaner nach 1945 sondern die Katholischen seit 100 Jahren stellen uns Russland ständig als Reich des Bösen dar. Diese (missionarische) Haltung schwingt auch im Hintergrund der Feldpostbriefe und ihrer Veröffentlichung gerade im Jahr1953 mit. Ich bin kein Russlandliebhaber, aber das ist ein widerliches Bestreben, bei den Amerikanern wie bei den Katholen, und läuft bei mir unter Völkerverhetzung. Und das wirft einen deutlichen und sehr dunklen Schatten auf die Feldpostbriefe.

Ich vermute hinter dieser Rußlandfeindlichkeit zweierlei:
1. einen tief liegenden und empfunden Gegensatz zwischen Abendland und russischer Kultur. Aus dem selben Grunde können Europa und die islamische Welt auf der Gesamtebene nicht friedlich koexistieren, auch wenn einzelne Vertreter beider Welten sich zur jeweils anderen hingezogen fühlen können.

2. ein uraltes Motiv, das tief ins religiöse Fundament gesunken ist und aus dem sich im äußersten Fall der russische Feldzug als Idee überhaupt entwickelt hat. Bereits in frühchristlicher Zeit sollte der "Antichrist" aus dem Osten kommen und die Völker Gog und Magog, die irgendwo in Asien hinter einer Mauer verborgen sind, in der Endzeit hervorbrechen und die christliche Welt verheeren. Das Motiv wandelte sich. In der Antike waren es die Perser, später die Moslems und bei uns wurde der imaginäre Feind als die Slawen identifiziert.
Diese Zusammenhänge liegen tief im kulturellen Unbewußten verborgen und sind wohl kaum mehr rational aufzudröseln. Man lese, um ein Gefühl hierfür zu bekommen, etwa Zurbonsens Analyse der Birkenbaumsage. Ob es einen wahren Kern gibt oder alles eine bloße Phantasie ist, liegt durchaus im Auge des zu- oder abgeneigten Betrachters.

Gruß
Taurec


„Es lebe unser heiliges Deutschland!“

„Was auch draus werde – steh zu deinem Volk! Es ist dein angeborner Platz.“


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