längerer Text (Schauungen & Prophezeiungen)

Hope, Dienstag, 25.02.2014, 07:46 (vor 3705 Tagen) @ offtopic (5913 Aufrufe)

Hallo offtopic!

Du schriebst:
"Es kann nicht mehr gehen: man möge sich doch bitte mal in die Lebensqualität einer Person in dieser Zeit hineinversetzen. Da sind wir total verweichlicht dagegen. Wenn DIE schon sagt, es geht länger bergab, was werden WIR da wohl noch sehen? Wir fangen doch gerade erst einmal an, das Bequemste gegen das Angenehme zu tauschen. Die Wirtschaftskrise heute und die gleich kommende sind doch nur Kleinigkeiten für solche Menschen. Ich kann es echt nicht glauben, dass jetzt schon wer daran denkt, hier wäre auch nur im Entferntesten schon die Fahnenstange erreicht."

Dem muss ich jetzt mal vehement widersprechen. Ich lese immer öfter, dass die Jugend, auch wir selbst, total verweichlicht sind.
Nun...ich arbeite im Pflegeheim (als Betreuerin) mit eben genau der Generation, die im 2. Weltkrieg Krieg junge Erwachsene waren.
Bzw. nach dem Krieg dann ihre Familien gründeten.
Ich bringe mal ein paar Zitate, damit du verstehst was ich meine:
"Ich konnte ja nicht arbeiten gehen, ich hatte 2 Kinder."
aha. Ich arbeitete trotz meiner 3 Kinder. Vollzeit. Und für 2 hatte ich keinen Hortplatz.
Die meisten Frauen waren zu Hause. Heute gehn die meisten Frauen arbeiten. Nicht wegen der Selbstverwirklichung, sondern weil es ansonsten einfach nicht mehr reicht.

"Ich arbeitete 2 mal die Woche im Laden meines Mannes. Jeden Tag wäre mir das
zuviel gewesen - ich musste ja meinen Haushalt machen."
Soso...also eine 5-Tage Woche war der Frau, ohne Kinder, nicht zumutbar. Sie ist jetzt 94 und sagt des öfteren, dass wir ja nix mehr arbeiten wollen. Als ich ihr erklärte, dass ich 5 Tage in der Woche arbeite, und immer an Heilig Abend, war sie richtig schockiert. Wobei ich sage, dass mich mein Job nicht umbringt. Ich bin zwar abends k.o., aber mir geht es gut dabei.

"Die Erntezeit war zwar anstrengend, aber auch schön. Wir feierten dann oft abends. Die Burschen kamen und machten uns den Hof. Wir saßen dann zusammen und sangen Lieder."
Naja...eine Bäuerin. In meinem Freundeskreis habe ich 2 Landwirtschaftsfamilien. Die arbeiten Akkord. Eine davon erhält zusätzlich Hartz4. Weils sonst nicht ausreicht. Und singen tun die abends nicht. Die fallen fix und alle ins Bett.

"Wir sangen immer bei der Arbeit. Ich nähte Knöpfe an. Der Meister war ein Hund. Der trieb uns immer an. Der sang dann aber auch mit."
Nun denn...ich arbeitete mal für 2 Jahre in einem Callcenter. Inbound für einen Stromkonzern. Also das letzte was ich dort hätte machen dürfen, wäre singen gewesen. Ich durfte ja noch nicht mal ein paar Worte mit meinem "Wabennachbarn" wechseln.
Auf Toilette durfte ich auch nur per Anfrage. Singt von euch jemand bei der Arbeit?

Ich könnte das jetzt endlos fortführen. Ganz klar, unsere Altvorderen hatten es mit dem, ich zitiere "dreckigen Krieg", sehr schwer. Allerdings nicht ihr ganzes Leben. Es war ein Abschnitt gewesen. Die Ansprüche die sie hinterher hatte, egal in welchem Bereich, waren nicht weniger als heute. Wobei man uns heute ständig unter die Nase reibt, dass wir ja nix arbeiten, dass wir verweichlicht sind etc...
Meine eigene Mutter, die immer arbeiten ging sagte, dass sie heutzutage nicht mehr würde arbeiten gehen wollen. Das wäre ihr zu arg.
Fängt ja schon damit an, dass sie keine einzige Bewerbung hatte schreiben müssen. Sie ging einfach ans Fabriktor und hatte am nächsten Tag eine Stelle. Heutzutage muss man sich für jede beschissene Schrottarbeit ins Zeug legen mit Bewerbungsmappe, Vorstellungsgespräch etc...für einen oft nur befristeten Job mit schlechten Konditionen. Da kann man weder Hausbau noch Kinder wirklich planen.
Ach ja...Kinder. Meine Mutter jammert heute noch, dass es "schlimm" für sie war, für uns Schuhe zu kaufen.
Heute ist es sogar schlimm, wenn das neue Schuljahr beginnt. Da legt man teils schon ordentlich hin, um die ganzen "Schulcerealien" anzuschaffen. Von Schuhen abgesehen. Klar gibt es Kindergeld. Aber das wird schon allein von den Fixkosten gefressen.
Ich will hier nicht rumjammern. Mir geht es ja gut, auch finanziell. Mittlerweile jedenfalls.
Ich wurde zur Bescheidenheit, Rückhaltung, Mithilfe erzogen. Irgendwann stellte ich fest, dass meine Mutter, die bei mir da so großen Wert legte, selbst weder bescheiden, besonders hilfsbereit noch zurückhaltend ist. Im Gegenteil.
Und nicht nur sie, ihre Generation und die, die älter sind als sie, fordern ihr Recht und sind wirklich auf zack, wenn ihnen was versagt bleibt. Entweder haben sie dieses teils wirklich egoistische Verhalten, weil sie derben Mangel durch den Krieg erleiden mussten, oder es war schon immer so bei ihnen. Uns hat man eingebleut, dass harte Arbeit normal ist. Nur selbst haben sie garnicht so hart gearbeitet oft, wie sie einen weis machen wollen.
Ich bin jedenfalls geheilt davon zu denken, wir sind alles Weicheier. Im Gegenteil.
Meine Kinder, mittlerweile erwachsen, müssen teils sich ganz schön verbiegen, um auf einen grünen Zweig zu kommen. Mein jüngster arbeitet als Maler und Tapezierer. Im Akkord.
Meine beiden ältesten sind noch im Studium und arbeiten nebenher. Zitat von meiner Mutter: wie soll man das denn hinbekommen? Auch noch lernen?

Ehrenamtlich arbeite ich mit 13-14jährigen sozial auffälligen Jugendlichen. Die haben keine Perpektive, weil ihre Eltern keine haben. Aber fordern kann man sie. Die Perspektive wurde gekappt. Durch Billiglöhne, Befristung und aufgeweichten Arbeitsschutz. Ich machte mit denen ein Gartenprojekt. Mit den Jugendlichen. Die haben angepackt, sich die Hände dreckig gemacht, geschuftet und geschwitzt. Und das mit Begeisterung. Manchmal haben sie auch gejammert, aber das waren kurze Ausfälle. Ich bin sicher, in Grenzsituationen stünden sie sozusagen ihren Mann.
Auch damals hat man die verzogenen Abiturientenbübchen eingezogen. Und sie packten es. Zumindest nach außen hin. Nach dem Inneren fragte ja keiner.

Schaut euch mal die Texte der alten Schlager an. (Die singe mich ein Mal in der Woche im Pflegeheim mit den Leuten dort).
Es handelt vom Saufen (Sorgen wegtrinken), den Kummer für sich behalten etc...
Übrigens - viele von den Alten sind Alkoholiker. Sollte man sich auch mal überlegen. Heutzutage spricht man von postraumatischen Belastungsstörungen. Das gabs früher auch schon. Den hat man einfach im Suff ertränkt.

puh...so, das musste ich mal loswerden. Also nix für ungut.

In Schauungen, wo man gesehen haben will, dass die Leute auf dem Felde arbeiten, sehe ich als Synonym für einfache Arbeiten. Und nicht, dass jeder auf dem Feld steht. Damals stand auch nicht jeder auf dem Feld.

lg
Hope


Glaube denen, die die Wahrheit suchen, und zweifle an denen, die sie gefunden haben.
André Gide


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