@ Ricaro (Schauungen & Prophezeiungen)

Ulrich ⌂, München-Pasing, Mittwoch, 08.08.2012, 00:17 (vor 4251 Tagen) @ ricaro (10814 Aufrufe)
bearbeitet von Ulrich, Mittwoch, 08.08.2012, 00:24

Hallo Ricaro,

Also der freie Wille besteht nur in der Stellungnahme zu den Ereignissen.
Die Eckpunkte (Stationen des Lebens) scheinen bereits determiniert.

was heisst "nur", was will man mehr? :-)

Wenn "Schicksal" keine leere Phrase ist, sondern eine 'sinnvolle' Ordnung der Ereignisse bezeichnet, dann kann man meines Erachtens damit zufrieden sein.

Wenn ich mit der Bahn von München-Pasing nach Gelsenkirchen fahre und viermal umsteigen muss, beruhigt es mich zu wissen, daß ich mich darauf beschränken darf, den jeweils angenehmsten Platz auf dem Weg von hier nach da zu wählen und mich weder um Hydraulik, Elektrik, Weichen oder Signale kümmern muss. Fühle ich mich trotzdem in einem Anfall von Zuständigkeitswahn dazu berufen, werde ich wohl die Erfahrung machen, daß man mir Schranken setzt und mich auf meinen Platz verweist. Für 'freien Willen' ist auch beim Umsteigen gesorgt: Wenn ich trödelig oder orientierungslos bin, verpasse ich den Anschluß und muss warten, verwechsle ich den Anschluss, habe ich die freie Entscheidung, entweder zurückzufahren oder für die Streckenänderung nachzuzahlen und habe außerdem mit Irritationen zu rechnen:
Lapidare Bemerkung eines bayrischen Zugbegleiters zu einem Fahrgast, der beklagte, man habe die Reservierung seines Platzes irrtümlich auch an mich verkauft: "Ja, das ist Ihre Platznummer. Aber das ist nicht Ihr Zug. Der ist vor drei Minuten in die andere Richtung abgefahren."

Wie weit das auf das kollektive Schicksal zutrifft ist mir noch nicht klar.

Meiner Erfahrung wesentlich mehr als auf individuelles Schicksal. Nicht wegen des Einflusses und der Verführung der 'Masse' durch finstere Mächte (die ach so bösen Medien, die verschlagenen Eliten, die Verleugner des fliegenden Spaghettimonsters), sondern wegen des schlichten Herdenmechanismus, der dem Individuum in der Herde die Richtung auch dann mit sanftem Nachdruck vorgibt, wenn nicht alle aber viele über diese übereinstimmen und dabei auf die bequeme Bereitschaft treffen, die eigene Entscheidungsfähigkeit an das Kollektiv abzugeben, sich schieben zu lassen. Der Neu-Sprech-Begriff 'Schwarm-Intelligenz' scheint dieses Übel schönreden zu wollen.

Trotzdem würdest Du mit Deinem Roulette-Erlebnis vermutlich keinen Skeptiker von einer zeitübergreifenden Festlegung von Eckpunkten überzeugen können, weil der, wenn er es nicht als Zusammentreffen von Zufall und Zwangsneurose abtäte ("Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen"), dies bestenfalls als einen Fall von Präkognition einer offenen Zukunft ansehen würde und sich z.B. auf C.F. von Weizsäcker berufen könnte, der die Existenz einer "zeitüberbrückenden Wahrnehmbarkeit" für gegeben hält - obwohl dieses wahrgenommene Zukünftige nicht 'festgelegt' wäre ("Aufbau der Physik").
Paradox - aber was soll man erwarten von Leuten, die den Ehrgeiz haben Atome zu spalten.

Gruß
Ulrich

p.s.:
@ DerBerliner
Wie immer - ohne Lexikon!


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